Occupy-Proteste: spontan, unerwartet und kreativ (Update)


Kaum ploppt eine neue Bewegung auf, wird sie erstmal von links zerlegt: Sozialdemokratisch, irgendwie antisemitisch sei der Protest, eine verkürzte Kapitalismuskritik und bürgerliche Gewissenberuhigung sowieso.

Natürlich kann dieser Eindruck aufkommen, wenn Leute Schilder tragen, die einen Ackermann für all „das Böse“ verantwortlich machen und viele nicht verstehen, dass diese Personalisierung dem Kapitalismus in die Hände spielt. Klar, kommt mir als antinationalem Menschen die Galle hoch, wenn Leute Parolen rufen, die das Wort „Volk“ enthalten. Und natürlich sind da viele Menschen dabei, die in der Krise um bürgerliche Aufstiegschancen und materielle Sicherheit bangen und nur deswegen politisiert sind. Und logisch, rege ich mich über die obrigkeitshörigen „Aktivbürger“ auf, die verhindern wollten, dass nach der ersten Polizeiaktion wieder Zelte in die Sitzblockade gebracht werden, da das ja eine ganz ganz schlimme Provokation gegenüber der Polizei sei.

Auf der anderen Seite sind spontan, unerwartet, bunt und kreativ zehntausende in diesem Land auf die Straße gegangen. Sie eint bisher nur ein „nicht weiter (so) mit dem Kapitalismus“. Viele von ihnen haben zum ersten Mal demonstriert, haben wenig Erfahrung, aber ein Schild gemalt. Das war am Samstag ein bunt zusammengewürfelter Haufen, ein recht diverser Querschnitt der Gesellschaft – und gerade eben nicht die üblichen Verdächtigen. Obwohl die auch da waren. Neben von Banken geprellten Rentnern, neben Hipstern auf Technowagen, (spanischen) Studierenden, Vätern mit Kindern, Nerds mit Anonymous-Masken und wütenden BVG-Angestellten. Neben Erwerbslosen und gutverdienenden Mitvierzigern. Neben bärtigen Altkommunisten und politisierten Jugendlichen. Das ist erstmal ein guter Anfang, denn ein breiter Protest ist für Regierungen immer ungemütlicher als eine leicht zu kriminalisierende linke Politgruppe.

Und die Leute auf der Straße haben erkannt, dass es sich um ein globales Problem handelt, wegen dem sie auf der Straße sind. Überall wurde auf der Demo in Berlin, Solidarität mit Protesten in anderen Ländern gezeigt, ob nun mit den Leuten vor der Wallstreet oder der Revolution in Ägypten. Hier wird Bezug genommen auf die anderen und vielen ist endlich klar, dass der Kapitalismus eben eine weltweite Scheisse ist. Auch das ist gut in einer Welt, in der Arbeitnehmer gegen andere Arbeitnehmer mit vermeintlichen Standortvorteilen ausgespielt werden.

Wer heute kritisiert, dass an den offenen Mikrofonen auch Spinner und Freaks zu Wort kamen, der hat Recht, verkennt aber dass diese Form der Redebeiträge eben etwas anderes ist, als diejenigen auf der immergleichen 15.000-Euro-Bühne bei Gewerkschaftsdemos oder auf dem Truck der Revolutionären Antifa.

Was überhaupt ein Eindruck auf der Demo war: hier gab es keine Organisatoren, die mit eisenharter Hand den Ablauf der Demo deckelten. Es wurde versucht, Partizipation und Offenheit auf der Demo selbst zu üben. Redner konnten und wurden „abgewählt“, wenn sie Scheisse laberten. Und diese etwas sonderliche kirchenähnliche Form der Kommunikation in der Sitzblockade: eine Person redet, die anderen verstärken das durch Wiederholung mit ihrer eigenen Stimme. Mitmachen und miteintscheiden statt bloß Demo-Konsument sein. Das ist zwar kein neues Phänomen, aber ich habe es seit längerem nicht erlebt. Und die Leute waren deswegen zu Recht beseelt von genau dieser spontandemokratischen Atmosphäre, die in krassem Widerspruch zu dem steht, was sie sonst als Politik in den Medien erleben.

Und natürlich kann man sagen, dass die Polizei die Demo für so harmlos einschätzte, dass sie die Menschen stundenlang illegal in der Bannmeile demonstrieren ließ. Doch auch das verkennt, dass eben tausende Leute diese Regelverletzung bewusst in Kauf nahmen und zivilen Ungehorsam ausübten. Dafür wurden sie später von der Polizei ruppig geräumt und mit Tritten, Schlägen, Schmerzgriffen sowie mit Pfefferspray eingedeckt. Auch das ist eine Erfahrung, die Protestneulinge und Staatsgläubige erst einmal machen müssen. Es schweißt zusammen und vertieft den Graben zwischen Mensch und dem Staat, dem er bis vor kurzem noch treu die Stange hielt.

Es gibt gewichtige Gründe, die „Occupy“-Bewegung als Chance für eine außerparlamentarische emanzipatorische Politik zu begreifen:

  • sie ist in ihren Zielen noch diffus und offen für Verbündete aus verschiedenen Strömungen
  • sie ist international und bezieht sich aufeinander
  • sie setzt nicht auf Parteien, Anführer und Organisationen
  • sie ist divers und bringt Leute aus verschieden Teilen der Gesellschaft auf die Straße
  • sie ist entschieden außerparlamentarisch
  • sie benutzt das Wort „Kapitalismus“ und sieht sich im Widerstreit gegen diesen

Und noch etwas sollte uns zu bedenken geben. Politiker/innen aller Parteien haben „Verständnis“ für die Protest gezeigt. Das ist immer ein gutes Zeichen, denn die Parteipolitik fürchtet sich um Verluste ihrer Wählerstimmen, sieht sich in die Enge getrieben und versucht den Protest hilflos zu umarmen. Sie versucht die Doof-Parolen vom bösen Ackermann aufzugreifen und in Pille-Palle-Maßnahmen wie eine Deckelung der Bankergehälter zu kanalisieren. Als allerletzte Bastion des Turbokapitalismus traut sich nur noch ein Joachim Gauck aus dem Bunker, während Spiegel Online titelt„Politiker erklären Banken zum Staatsfeind“ und scheinheilig behauptet, die Protestierenden hätten jetzt in der Politik einen Verbündeten.

Hoffen wir, dass sich die Menschen nicht einlullen lassen. Arbeiten wir dran, dass diese Bewegung größer wird, geben ihm auch aus emanzipatorischer Perspektive eine Chance – und bringen wir unsere Argumente, Analysen, Erfahrungen und Ideen mit ein.

Alles andere wäre ein Fehler.

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Update: In Teilen der Linken scheint der Wunsch nach Zusammenarbeit und Verbünden auch zu bestehen. Auf der Seite der Gruppe FelS gibt es ein Diskussionspapier der Interventionistischen Linken zu lesen. Dort steht unter anderem:

Wir denken aber, dass dies einer der Augenblicke ist, die wir als Linke ergreifen sollten. Wir meinen, dass die Bereitschaft zur Teilnahme wichtiger ist als die kritischen Vorbehalte, die einem schnell einfallen, wenn man in Deutschland mal auf die unmittelbare Empörung der Menge setzt.

Die Bewegungen der letzten Monate sind trotz ihrer Plötzlichkeit nicht vom Himmel gefallen. Einiges von dem, was jetzt auf den Plätzen geschieht, kennen wir aus den Protesten des letzten Jahrzehnts – Stärken, aber auch Schwächen. Dazu gehört die prinzipielle Offenheit der Versammlungen, zu der nicht wenige Naivitäten gehören. Wir wissen, dass diese Offenheit auch von reaktionären Kräften genutzt wird, auch und gerade hier, in Deutschland und Europa. Ein Grund mehr, dabei zu sein und einzugreifen.

Foto: CC-BY-NC JamesReaFotos

7 Kommentare

  1. Nic says:

    Wo darf ich hier unterschreiben? ;-)
    Ich habe das so formuliert: „Hier for­miert sich eine neue Bürgerbewegung. Eine, die sich selbst noch nicht viel zumu­tet und eine, die sich erst kon­sti­tu­ie­ren muss. Einig sind sie sich nur darin, dass das beste­hende Wirtschaftssystem, dass die Schere zwi­schen Arm und Reich immer wei­ter klaf­fen läßt, ver­än­dert wer­den muss. Die Einen for­dern dafür eine Revolution, die ande­ren wol­len das erst ein­mal aus­dis­ku­tie­ren.“ (http://nicsbloghaus.org/2011/10/17/15-oktober-2011/ )

  2. word says:

    Genau so ist es. Und wenn mir was auf den Geist geht, sind es paternalistische deutsche 80er/90/2000er-Linksradikale, die in Deutschland der Europa so gut wie nix zustande gebracht haben, die sich in bizarren Minisekten organisieren, wo sie dann darüber reden, wie scheiße doch die Bevölkerung ist. Da ist kein echtes Interesse an irgend einer Veränderung, da kocht man nur in der eigenen pseudoradikalen Identitätssuppe, plappert die Mode-Rhetorik nach, die gerade angesagt ist, imitiert Aktionsformen, die andere erfunden haben, schreibt verquaste Manifeste, und dann wird man erwachsen und kriegt einen tollen Elitejob.

    Was für ein Unterschied zu den Leuten aus den 60ern, zur Situationistischen Internationalen in Frankreich etwa, die damals einen Generalstreik im Mai 68 mitanstieß, ohne ihn irgendwie dominieren oder vereinnahmen zu wollen. Was für ein Mangel an Phantasie, Einfühlungsvermögen, Respekt… gibt zwar natürlich auch gute schlaue Leute, die jetzt schon mitwerkeln. Aber die Musik spielt gerade woanders – bei den Internetkids, deren Parole ist „ihr werdet euch noch wünschen, wir wären politikverdrossen“. Von denen bin ich sehr, sehr positiv überrascht.

  3. Johnny says:

    Antideutsche(also die oben verlinkten „linken“ Blogs) sind keine Linken sondern stehen auf anderen Seite der Barrikade.

    Leute die sich als selber als Abrissunternehmen der Linken bezeichnen, Leute die imperialistische Angriffskriege bejubeln und die sich in einen wahnhaften Hass gegen Moslems als Ursache allen Übels steigern kann man bei besten Willen nicht erst nehmen.
    Leider wurde diese Sekte noch nicht mit der gebotenen Vehemens aus linken und emanzipatorischen Zusammenhängen geworfen.

    In diesem Sinne OCCUPY – WE ARE THE PEOPLE

  4. John F. Nebel says:

    Auf schwarz-weiß Antideutschdiskussionen habe ich keine Lust. Schnöde Antimperialisten, die unkritisch die Intifada bejubeln und Amerika für den Ursprung allen politischen Übels halten, sind mir genauso zuwider. Das Fass ist mir alt, um es nach all den Jahren wieder aufzumachen.

  5. Johnny says:

    Dann lass die Typen(Anti-Ds) halt weiter die Linke kleinhalten, und wundert euch nicht wenn wirklich keine_r mehr die „Radikale Linke“ für voll nimmt.

    btw ich bin kein „schnöder Antiimp“ ich bin ein Mensch der sicherlich friedliches Zusammenleben der Menschen auf diesem Planeten für besser erachtet als Angriffskriege, Neokolonialismus und Rassismus.

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