Netzaktivist: Arschloch!

Bei manchem Vertreter im politischen Geschäft macht sich gerade Nervosität breit. Ich hatte vor kurzem ein Gespräch mit einem nicht unbekannten Politiker. Der schimpfte über die Tyrannei der Transparenz, den unerträglichen Druck, der aufgebaut werde, diese ganzen nicht legitimierten Aktivisten, die medial getragen von Hysterie es immer wieder schafften, nicht nur Leute zu mobilisieren, sondern auch in die Presse zu kommen und dabei die alt-bewährten Mechanismen der Politik ins Wanken bringen würden. Nichts sei mehr, wie es einmal war und das müsse man ändern. Zum Beispiel, indem man die Legitimität der Knotenpunkte, der Multiplikatoren, der Aktivistinnen und einflussreichen Blogger in Frage stelle.

Mal ganz abgesehen davon, dass kein Politiker auf die Idee käme, die demokratische Legitimität von klassischen Presseerzeugnissen oder einem Fernsehsender in Frage zu stellen, zeigt diese Reaktion – die meines Erachtens von einem Großteil der Parteieliten getragen wird – dass ihnen der Arsch auf Grundeis geht. Dass ihnen ihre althergebrachten Felle wegschwimmen, das schöne Verhältnis zum Hofjournalisten, die Einschätzbarkeit von Medien, die bewährten Muster im Umgang mit den Bürgern. Alles wird schneller, einen Zacken aggressiver. Und ehe sich der Abgeordnete versieht, hat er 3 schlechte Artikel in Blogs, 40 miese Tweets, sechs Kommentare auf Facebook und 15 E-Mails im Postfach, die nervend nachfragen, wie er denn bei Abstimmung XY abstimmen wird.

Zur Industrie-Lobby mit ihren immergleichen Häppchen- und Schampusempfängen, Incentives und Amuse Gueules, ist die Lobby der Bürger getreten. Und zwar wuchtig und hörbar. Die organisieren sich entweder selbst oder in Vereinen und machen dann Dampf: auf Twitter, auf Facebook oder in Blogs. Oder eben direkt am Telefon, Fax oder der Mailadresse der Abegordneten.

So bekam dann wohl auch der ehemalige Grünen-Vorsitzende und heutige Europaparlamentarier einige Anfragen, ob er denn für oder gegen das Fluggastdatenabkommen stimmen würde. Bütikofer war in einem Kampagnen-Tool des Digitalen Gesellschaft e.V. als „Wackelkandidat“ (Gelb) aufgetaucht, weil von ihm keine Position zum Thema bekannt war.

Dieses Kampagnen-Tool hat eine klare Farbgebung: grün sind die Abgeordneten, die im Sinne der Kampagne stimmen werden und folglich nicht weiter angerufen und befragt werden müssen. Gelb sind alle, bei denen es die Position unklar, zweideutig oder unbekannt ist. Diese sollen dringend angerufen oder angemailt werden. Und rot sind diejenigen, die entgegen dem Kampagnenziel stimmen. Die eher hoffnungslosen Fälle. Auch diese Kategorie soll angerufen und befragt werden. Dabei sollen die teilnehmenden Bürger, die Antworten der Politiker zurück an die Kampagnenseite schicken, damit diese immer den aktuellen Stand wiedergeben kann.

Genau das passierte wohl auch bei Bütikofer. Als bekannt wurde, dass er gegen das Abkommen stimmen würde, wurde er als Gegner des Abkommens (Grün) eingeordnet.

Das hatte @bueti dann wohl nicht ganz mitbekommen und setzte gestern seinen „Arschloch“-Tweet ab:

Gerüchteweise hört man, dass Bütikofer nicht der einzige ist, der über die neuen Demokratie-Tools schimpft. Dabei eröffnen sie doch den direkten Kontakt zu den Wählern. Interessieren endlich mal jemanden für Politik in Brüssel. Das sind die Abgeordneten dort wohl noch nicht so ganz gewohnt.

Foto: CC-BY-NC-ND Akbar Sim

3 Kommentare

  1. Torsten says:

    „Mal ganz abgesehen davon, dass kein Politiker auf die Idee käme, die demokratische Legitimität von klassischen Presseerzeugnissen oder einem Fernsehsender in Frage zu stellen“

    Wo lebst Du? Die demokratische Legitimität von klassischen Presseerzeugnisse wird die ganze Zeit in Frage gestellt, zuletzt sehr prominent bei der Bundespräsidentenwahl.

  2. Mikael says:

    Das musst Du mir erklären, wo bei der Präsidentenwahl irgendein Politiker die Legitimität klassischer Presseerzeugnisse (vulgo Mainstreammedien) in Frage gestellt hat? Quellen?

  3. Sabie k says:

    Der bekannteste deutsche “ Aktivist“ für “ Netzfreiheit, TRanparez und für eineHerabstufung des Urhebrrechts im Netz, Markus Beckedahl, ist sich nicht zu schade, selbst üble Zensur auf seinen Block zu betreiben. Zu werden derzeit Beiträge, welche sich Kritisch mit seiner Buchverlegung bei dtv auseindersetzen , nicht gespostet, sondern nur gefällige Meinungen dazu druchgelassen.
    Deshalb hier ein Beitrag dazu, mit Grüßen an Markus.

    Herzlichen Glückwunsch Markus, tolle Sache. Wo kann ich das Buch denn kostenlos downloaden ? Ich lese dtv als Verlag. Ich wusste bis dato nicht, dass die dtv auch unter CC lizens geschaffene text herausgibt. Prima Leistung von Euch beiden, Ihr seit Vorbilder, räumt sogar bei diesen alten, verkrusteten Verlag auf.
    Ich freue mich schon sehr, auf den kostenlosen Downloadlink für meine Privatnutzung. Bitte beutet postet den kostenlosen Downlaodlink sobald als möglich.
    Herzlichst.
    Klaus Meier

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