20 Jahre Sivas Brandanschlag Demo in Istanbul am 2. Juli 2013, Kadiköy.

„Komm Tayyip, wir küssen dich!“

20 Jahre Sivas Brandanschlag Demo in Istanbul am 2. Juli 2013, Kadiköy.

Am 2. Juli 1993 wurden über 30 Künstler_innen und Intellektuelle von einem Mob Salafisten verbrannt. Polizei und Armee schauten zu. Der 20sten Jahrestag wird zum Symbol für den aktuellen ideologischen Konflikt und den Kampf für freie Meinungsäußerung in der Türkei.

Kaum in Istanbul angekommen, frisch geduscht, mache ich das Fenster auf und eine Meute winkt mich auf die Straße. Die Menschen auf den Balkonen klatschen, die Demonstrant_innen halten schwarz-weiss kopierte Portraits in die Luft, die mich in Ihrer Qualität an die Bilder von RAF-Fahndungsplakaten erinnern. Doch es sind Bilder von Künstler_innen und Intellektuellen, die bei einem alevitischen Festival starben, nachdem ihr Hotel von einem wütenden Mob angezündet wurde.

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Zufriedene Pöbel-Oma unterstützt die Aktivist_innen vom Balkon aus.

Dieser Tag steht für die ideologischen Kämpfe, die sich heute in den Straßen Resistanbuls widerspiegeln. Damals hatte der Satiriker Aziz Nesin, Übersetzer der satanischen Verse und bekennender Atheist, sich für demokratische Strukturen eingesetzt. Er wurde zum Hassobjekt der Konservativen im Land.

Murat, ein 41-jähriger Architekt, erzählt in einem Atmenzug vom Brandanschlag 1993 und den Protesten am Taksim: Es ist die Gewalt gegen Menschen anderer Meinung, die es explodieren lässt. Die Menschen am Taskim Platz kamen alle zusammen, weil sie die Repression spürten, nicht wegen der Bäume im Park. Und Erdogan fordere sie immer mehr heraus – so wie heute der Brandanschlag offiziell relativiert wird, werden die Demonstrant_innen vom Taksim Platz als gefährlicher Mob bezeichnet.

Die Stimmung bei der Demo ist anders: Sie singen „Komm Tayyip, schieß‘ dein Gas, aber dann komm runter, wir wollen dich küssen“. Sie fordern die Polizei ihre Gewehre wegzuwerfen, ihre Helme auszuziehen, und fragen: „wo ist der Mensch in dir?“. Sie lachen und klatschen, auch wenn sie von den brutalen Übergriffen der Polizei erzählen: „Mensch du hast die Party verpasst! Als die uns mit Tränengas beschossen haben wir die Milch gegen Magensäure auf unsere Gesichter gesprüht, das war lustig!“

gazdanam
Nationalistische Opposition macht mit dem Tränengas-Festival mobil.

Und es ist keine Bitterkeit im Lachen. Es ist ein verbindendes Lachen, was wie eine Befreiung von der Repression wirkt. Am 7. Juli geht die Party weiter: sie organisieren „Das erste Tränengas Festival„.

[Nachtrag: wie ich jetzt verstanden habe, wird das Festival von nationalistischen Kräften organisiert. Das heisst nicht, dass Sie islamistisch oder salafitisch motiviert seien, aber von einem nationalen Gedanken getragen sind. Wenn man auf das Bild klickt sieht man die UnterstützerInnen, vor allem Erdogan-kritische Medien.]

PS: In der Recherche zu diesem Beitrag stellte ich fest, dass Nadir.org in der Türkei zensiert ist:

Nadir ist in der Türkei zensiert. Warum auch immer.

Das kann man, wenn man möchte, mit schmuckem VPN umgehen, etwa von riseup oder ipredator (kommerziell).

Ein Kommentar

  1. Bitskin says:

    So versöhnlich sehen die Bilder aus der Türkei aber nicht aus! Von wegen „Komm Tayyip wir küssen dich“…Komm Tayyip wir grillen dich wäre realistischer

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