31c3 – Die letzte Bastion

Foto: CC-BY Der Robert (Flickr)

Ein paar persönliche Beobachtungen, warum der Kongress das diesjährige Motto „A new Dawn“ (Ein neuer Aufbruch, Ein neuer Tag, Ein neuer Morgen) voll einlösen konnte. Ich lasse bewusst mal berechtigte Kritik an Folklore, Personenkult und Heldentum heraus, weil sie für meinen positiven Gesamteindruck vernachlässigbar ist:

Vielfalt & Vernetzung
Der Kongress war schon immer international, es gab schon immer Vorträge zu Kultur, Gesellschaft und Politik. Jetzt aber öffnet er sich rasant für Teilnehmende aus gesellschaftlichen Bereichen, die nicht primär von der technischen Seite oder aus der Hackerszene und ihrem Umfeld kommen. Auf einmal sitzt der Intendant des Schauspiel Dortmund neben dir im Vortrag und du merkst, dass hier Welten zusammenwachsen und sich befruchten werden. Diese Öffnung, die auch dem Umzug von Berlin nach Hamburg geschuldet ist, eröffnet völlig neue Möglichkeiten gesellschaftlicher, kultureller und politischer Zusammenarbeit und Vernetzung.

Demokratie & Grundrechte
Der 31c3 fühlt sich an wie die letzte Bastion der Verfechter/innen einer freiheitlichen, demokratischen, transparenten, offenen Gesellschaft, in der das Individuum durch starke Grundrechte vor dem Staat geschützt ist. Meine Beobachtung ist, dass sich auf dem Kongress mittlerweile sehr viele der relevanten Player und NGOs aus dem Bereich Demokratie/Grundrechte/Menschenrechte  versammeln und vernetzen. Bei der Strahlkraft des 31c3 könnten es bis zum nächsten Jahr noch mehr werden.

Selbstorganisation & Unkommerzialität
Neben den 186 festen Vorträgen und Workshops gab es unzählige selbstorganisierte Veranstaltungen. Das ganze Kongresszentrum ist ein wuseliger Haufen von Veranstaltungen, so dass man sich eigentlich permanent fragt, ob man nicht wieder etwas Tolles verpasst. Das zeigt einmal mehr, dass der der CCC-Kongress vom Mitmachen und Selbermachen lebt. Mehr als 1000 Menschen helfen als Freiwillige („Angels“) auf dem Kongress. Alle achten darauf, dass der Kongress rund läuft, weil sie es als ihren Kongress und ihre Verantwortung sehen. So etwas ist nur möglich, weil alle wissen, dass der CCC kein Geld mit dem Kongress verdient. Diese Stimmung des Nicht-Kommerziellen ist überall spürbar – und großartig!

Frauen & Gender
Jemand erzählte mir die folgende Anekdote: Eine Frau, die zum ersten Mal auf dem Kongress ist, sagt zu einer Frau, die schon sehr oft da war: „Krass, die Frauenquote hier!“ Sagt die, die schon oft da war, zur Erstbesucherin: „Ja, genial wie viele Frauen hier sind.“ Das beschreibt sehr treffend, dass die gefühlten 15-20 % Frauen auf dem Kongress immer noch zu wenig sind, aber das im Vergleich zu früher sehr sehr viele Frauen auf dem Kongress teilnehmen und auch sprechen. Der Kongress ist auf einem guten Weg, aber es gibt noch viel zu tun.

Medien & Rummel
Es ist beeindruckend, welche mediale Durchschlagskraft der 31c3 entwickelte. Und viele Berichte beschäftigen sich nicht mehr nur mit den Superhacks und Sicherheitslücken, die präsentiert wurden. Das gewaltige Medieninteresse spiegelt nicht nur die Wichtigkeit des Digitalen, sondern auch den Stellenwert des Kongresses und die Vielfalt der Teilnehmenden wider.

Subversion & Rebellion
Ich kenne keinen Kongress in ähnlicher Größenordnung, bei dem sich so viele Menschen versammeln, die mindestens kritisch gegenüber Obrigkeit sind. Auffällig: Fast jede subversive Anmerkung, jeder Aufruf zum Protest, jede Kritik an den herrschenden Zuständen erhält Szenenapplaus. Nicht erst seit Snowden ist das Vertrauen in den Staat und seine Institutionen erschüttert. Doch die Tatsache, dass die Enthüllungen keine politische Veränderung gebracht haben, führt auf dem Kongress zu einer „Jetzt erst Recht“-Stimmung. Und die ist nur schwer in herkömmliche politische Schemata zu fassen. Die große Frage ist: Wie lässt sich diese Atmosphäre in noch mehr politische Schlagkraft transformieren?

Professionalität & Hoffnung
Ich bin beeindruckt, wie professionell der Kongress organisiert ist. Was möglich ist, wenn sich eine Menge Amateure zusammentun, um anderen Freude und Wissen zu bringen. Das sendet auch ein Zeichen an alle Anwesenden: Seht her, es ist nicht alles hoffnungslos, wir sind gut organisiert.

Tanzen & Freude
Ich kenne, abgesehen vom Weltkongress der Hedonistischen Internationale, keinen Kongress der Wissensvermittlung, Spaß, Austausch, Freude und Solidarität so gut verbindet. Die Parties in der Lounge sind echte Parties und nicht förmlich-steife-Socializing-Events, da wird nach nach den Vorträgen richtig abgetanzt und gefeiert. Auch das ist sexy und wird noch mehr Menschen in den kommenden Jahren anziehen.

Empfehlenswerte Vorträge:
Zu guter Letzt eine kleine Auswahl von Vorträgen, die ich besonders gut, unterhaltsam oder wichtig fand.

Schönes Fazit von jemand auf Twitter:

10 Kommentare

  1. lasse says:

    danke <3

  2. SirTomate says:

    Schöner Artikel. Vielleicht muss ich doch mal auf den Congress fahren. (:

  3. Christian says:

    Der Kongress scheint mittlerweile mehr mediale Aufmerksamkeit als die CeBIT zu kommen. Nächstes Jahr hält Angela Merkel die Eröffnungsrede ;)

  4. Christian says:

    Der Kongress ist in seiner Art einzigartig. Für mich die wichtigste Veranstaltung des Jahres. Das mit der Nichtkommerzialität ist ein wichtiger Punkt, den ich so noch nicht gesehen habe… aber absolut richtig: das Amateurhafte ist so entspannend und zugleich so motivierend, selbst aktiv zu werden. Jeder kann etwas tun! Quasi das open source Prinzip als Organisationsform. Und nebenbei die einzigen 4 Tage im Jahr, an denen man von idiotischer Werbung verschont bleibt.

    Der CCC hat noch eine ganz große Zukunft vor sich!

  5. maronivie says:

    hallo,

    ich bereite eben den 31c3 nach und bin auf deinen artikel gestoßen. vielen dank für die eindrücke. es scheint tatsächlich netter zu werden, eventuell traut sich eins dann auch mal hin. was mich aber auch interessieren würde ist, ob sich auch ältere menschen hingetraut haben. ich frag das in deiner kommentarfuntkion, weil mir scheint, du hast ziemlich genau hingeschaut.

    • John F. Nebel says:

      Ich weiß nicht genau, wie du „ältere Menschen“ definierst, aber ich habe recht viele Leute über 50 Jahre gesehen, obwohl natürlich der Anteil älterer Menschen gesamt gesehen eher gering war. Mein Eindruck war aber auch, dass ältere Menschen dort bestimmt freundlich aufgenommen würden. Und Barrierefrei ist der Kongress sowieso.

  6. thophaistos says:

    „Ältere …“
    Hey maronivie,
    ich bin 53 und Fan und Follower des CCC seit BTX-Hack selig 1984. Da hatte ich gerade das Studium aufgenommen und war w’lich nicht viel älter als Du jetzt. Und noch nix mit Internet & Co. („Aloha-Net“ gabs schon, lach)
    Auch „Ältere“ befürworten ganz erheblich die Gegenöffentlichkeit und die gesellschaftlichen Diskussionen und Events, die die Szene um den CCC und deren Protagonisten hat entstehen lassen. Mehr davon!!!
    Aus meiner Sicht ist also „älter“ 75 aufwärts – ein Personenkreis, der zunehmend mit sich selbst zu tun haben dürfte. Meine Generation darfst Du als voll im Bilde begreifen. Und wenn nicht, dann nicht des Alters wegen. Capisce?

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