Skandalbilder: So lagert Europa tote Mittelmeer-Flüchtlinge

17 Flüchtlingsleichen sind in Stoff- und Plastiksäcken in einer Kühlkammer des sizilianischen Krankenhauses „Ospedale e Muscatello Augusta“ achtlos aufeinander gestapelt. Die zugeknoteten Stoffsäcke sind verschmiert. Die marode Kühlkammer ist undicht, auf der linken Seite leckt eine schwarze Flüssigkeit hinaus, die augenscheinlich von den Leichen stammt. Eine große Pfütze hat sich unter einem schäbigen altarähnlichen Tisch gebildet. Die Bilder wurden am späten Nachmittag des 3. Juni 2015 von einem Mitglied des Zentrums für politische Schönheit (ZPS) aufgenommen. Das Mitglied ist der Metronaut-Redaktion namentlich bekannt, wir gehen nach eingehender Rücksprache von einer Authentizität der Bilder aus.

Heute wurden die Bilder nun von den Aktionskünstlern auf der Webseite www.unsere-schoene-grenze.de im Namen des Bundesinnenministers Thomas de Maiziere mit folgenden Worten veröffentlicht:

Wie Sie selbst sehen, ist Menschlichkeit dem Bundesministerium des Innern, der Bundesregierung und der Bundeskanzlerin nicht nur in Deutschland ein wichtiges Anliegen.

Das Perfide an den Bildern ist nicht nur die pietätlose Lagerung, diese menschenunwürdige Behandlung von Toten, sondern die Vorgeschichte. Das Mitglied des ZPS hat bei der Recherche für die Aktion „Die Toten kommen“ herausbekommen, dass die selben Leichen drei Tage, bevor diese verstörenden Bilder entstanden, in schönen Särgen aufgereiht im Hafen von Augusta gestanden haben sollen. Die 17 Flüchtlinge waren durch das Einatmen von Treibstoffdämpfen auf einem Schiff ums Leben gekommen.

Dies zeigt nach Auskunft der Künstlergruppe dieser Tweet der Ärzte ohne Grenzen:

Es ist ein Skandal, dass Europa mit seiner militärischen Sicherung der Außengrenzen vor Not, Verfolgung und Krieg flüchtende Menschen auf das unsichere Mittelmeer hinaus treibt – und damit alleine dieses Jahr schon mehrere tausend Tote zu verantworten hat. Dass die Leichen dann noch so unwürdig behandelt werden, ist die Fortsetzung dieser Politik über den Tod der Flüchtlinge hinaus. „Das ist Europas Abu Ghuraib“ sagte ein Hauptstadtjournalist, als er vor ein paar Tagen die Fotos zum ersten Mal sah. Wie auch immer man die Bilder einordnen mag, sie sind in jedem Fall die ethisch-moralische Bankrotterklärung des Friedensnobelpreisträgers Europas und der deutschen Bundesregierung, die als Hardliner in der Flüchtlingspolitik agiert.

Wer gegen die europäische Flüchtlings- und Einwanderungspolitik protestieren will, hat dieses Wochenende in Berlin gleich zwei Gelegenheiten dazu:

Am Samstag demonstriert ein breites Bündnis unter dem Motto „Europa.Anders.Machen“ ab 13 Uhr vom Oranienplatz in Berlin los. Eines der Themen ist die EU-Flüchtlingspolitik.

Am Sonntag gibt es dann ab 14 Uhr den „Marsch der Entschlossenen“ des Zentrums für politische Schönheit, bei dem tote Flüchtlinge direkt vor dem Kanzleramt begraben werden sollen. Gleichzeitig ist der Bau einer Gedenkstätte angekündigt – dafür sollen die Demonstranten „Blumen, Schaufeln, Spitzhacke oder gleich den Presslufthammer“ mitbringen, heißt es im Aufruf. Die Demonstration wird nach Informationen der Künstler von einem Bagger angeführt.

Beim Facebook-Event der Demo haben schon mehrere tausend Menschen ihr Kommen angekündigt – es bleibt spannend, wie die Polizei reagieren wird. Sie kündigte bislang an, dass die Errichtung eines Friedhofes nicht vom Versammlungsrecht gedeckt sei. Der Bezirk Berlin-Mitte will die Beisetzung der Flüchtlinge vor dem Kanzleramt polizeilich verhindern. Beim gestrigen Veranstaltergespräch waren nach Angaben eines Sprechers des ZPS sage und schreibe 16 Personen von Behördenseite anwesend – sogar das Bundeskriminalamt schickte einen Vertreter. Angeblich soll es ein eigenes Lagezentrum für die Aktionen geben. Das alles deutet darauf hin: Das Kanzleramt ist nervös.

Vor der Demonstration soll es am Freitag um 12 Uhr eine weitere Beerdigung geben. Zudem ist das Zentrum am Freitag um 9:30 Uhr auf Wunsch von internationalen Journalisten in die Bundespressekonferenz eingeladen und kann da noch einmal die große Bühne nutzen, um auf eine humanere Flüchtlingspolitik und das Ziel des europäischen Mauerfalls hinzuwirken. In Berlin-Kreuzberg hat die Idee mit den Gräbern schon um sich gegriffen. Unbekannte errichteten am Oranienplatz ein Grab auf dem Bürgersteig:

Vielleicht dreht sich die Diskussion in den nächsten Tagen nicht mehr länger um die leidige Frage „Was darf Kunst?“, sondern um die notwendige Frage „Wie ändern wir diese Politik?“.

3 Kommentare

  1. Monica says:

    „Das Perfide an den Bildern ist nicht nur die pietätlose Lagerung, diese menschenunwürdige Behandlung von Toten, sondern die Vorgeschichte.“

    Das echte Skandal ist das ein Krankenhaus so eine schlechte Kühlkammer hat – wenn die Bilder echt sind – aber das würde fur alle Leichenreste das gleich sein, oder?

    Die Vorgeschichte ist hier, es gab eine Investigation und dass muss bedeuten, es gab eine Autopsie, das muss der Grund sein warum die Leichen vom „schönen Särgen“ entnommen waren:

    „The corpses of 17 migrants were brought ashore in Sicily aboard an Italian naval vessel on Sunday along with 454 survivors as efforts intensified to rescue people fleeing war and poverty in Africa and the Middle East.

    More than 5,000 migrants trying to reach Europe have been saved from boats in distress in the Mediterranean since Friday and operations are in progress to rescue 500 more, European Union authorities said on Sunday. …

    The 17 corpses found on one of the boats arrived in the Sicilian port of Augusta aboard the Italian navy corvette Fenice. Italian prosecutors are investigating how they died.“

    http://www.reuters.com/article/2015/05/31/us-europe-migrants-idUSKBN0OG0GF20150531

    Ich unterstütze das ZPS und die Intention ihrer Aktionen, schon seit letztem Jahr mit der Kreuzen und die Aktion an den Grenzen, das war toll. Aber ich finde die „Satire“ da auf die Website nicht so cool. Wrong target, really… Die „italienische Partner“ in Sizilien – die Marine und Behörde und Ärtzte und auch viele lokale Organisationen, nicht nur MSF – arbeiten jeden Tag um Leute zu retten, hunderte, tausende jede Woche, und auch die schlechteste Bilder vom schlechteste Lagerung von Leicheneste sollen das nicht herabsetzen.

    Besonders weil Italien alles selbst bezahlt und noch keine Ünterstützung dafür von der EU bekommt. That’s the scandal inside the scandal. „Europa“ existiert nicht…

  2. Monica says:

    PS – ach, sorry, ich muss meinen vorherige Kommentar ergänzen – ich habe gerade einen Bericht auf italienisch darüber gefunden, auf einer lokale News-Website, die Situation mit der Kühlkammer war genau so schlimm :/

    Hier, mit Google-Translate (und edited by myself, sorry can only do that in English):
    http://translate.google.com/translate?u=http://www.augustaonline.it/camera_mortuaria_040615.html

    Health emergency? The bodies that no one wants.

    Bodies [finally] to be removed from the morgue
    June 6 – Finally the green light came to transfer the 18 corpses in various cemeteries in the province of Syracuse. The responsible authorities have issued the necessary order to bury the victims of the last shipwreck in the Sicilian Channel. The bodies had been piled in the cold room of the Muscatello hospital. The emergency situation had created some health and hygiene problems, also because of the strong odors that were felt in the vicinity of the place. The order issued by the city council of Augusta authorizes the transfer to be completed in the next few days.

    June 4, 2015 – In the vicinity of the morgue the stench is unbearable. Inside the situation is even more serious than you can imagine, so much so that the body of a man, Claudio Caruso, who died of a heart attack in the night, was transported to the morgue of the Municipal Cemetery, where there are already three or four coffins awaiting burial. An emergency of this kind had never been seen in Augusta. But what is most striking, even to those accustomed to all sorts of news, it is the pity [compassion] that one feels at the thought of 18 corpses wrapped in sheets and piled in a cold room that can contain just three. We dare not think how will the [hospital] workers deal with that when, at last, the order comes to transfer the bodies for burial.
    „How is it even possible that these human beings who flee their countries are treated like this? Because the other hospitals in the province did not want to accommodate the bodies awaiting a proper burial? You just need to go near the mortuary to notice the nauseating smell and understand the situation inside“. Domenico Fruciano, spokesman for the Tribunal for Patients‘ Rights of Augusta, does not mince words to denounce the unsustainable situation of health emergency. The bodies, arrived last Sunday, were transported to the hospital in Lentini for autopsies and then sent back to Augusta, where it seems they will remain pending a final settlement. It is a matter of practical opportunity, with moral and religious implications. The bureaucracy should not be an obstacle for such a serious situation.
    All are aware of the situation. The local health authority has already reported the issue in terms of hygienic/sanitary requirements. For the past four days, compassion seems to have been unable to prevail over the ongoing paperwork. The landing operation had already revealed some level of disorganization, a „short circuit“ in the synergy between all relevant agencies that are facing a real humanitarian emergency, which is probably underestimated by Europe. Meanwhile, landings continue, Augusta remains at the forefront daily, first with „mare Nostrum“ now with „Triton“. The name changes but the result is the same. An endless series of forced removals from the Strait of Sicily to the mainland. If to the tragedy of migrant smuggling you also add health problems for lack of burials, then the measure is full. It seems like the decision-making chain fell apart, now there needs to be an immediate remedy to the tragedy within the tragedy, we need someone in charge to order the proper burial for the group of migrants who arrived already dead at the end of their journey. – © 2015 © http://www.augustaonline.it

  3. John F. Nebel says:

    Die taz ist der Geschichte nachgegangen: http://www.taz.de/!5205181/

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