Holm bleibt Bewegung – Anmerkungen zum Rücktritt eines Hoffnungsträgers

Seine Ernennung war die mutigste und wichtigste Personalentscheidung der rot-rot-grünen Koalition in Berlin. Ein linker Überraschungscoup, der das Zeichen setzte: Jetzt wird sich etwas in der Mietenpolitik der Hauptstadt ändern! Ein Coup, der das Gefühl beflügelte, dass endlich mal ein glaubwürdiger Vertreter der sozialen Bewegungen auf eine wichtige Position berufen wurde. Ein Hoffnungsträger für alle Menschen, die eine gerechte und lebenswerte Stadt wollen. Und gleichzeitig ein rotes Tuch für skrupellose Investoren, Miethaie und all anderen, die von hohen Mieten, dem Gemauschel der Baubranche und der Gentrifizierung profitieren.

Jetzt hat Andrej Holm seinen Rücktritt erklärt. Eine soziale Wohnungspolitik sei mit SPD und Grünen nicht zu machen, schreibt Holm in einer Pressemitteilung mit der Überschrift „Ein Rücktritt ist kein Rückzug aus der Stadtpolitik“:

In den letzten Tagen haben mir SPD und Grüne deutlich gemacht, dass sie mich als Staatssekretär politisch nicht unterstützen. Herr Müller von der SPD forderte öffentlich meine Entlassung. Damit wurde eine mögliche Zusammenarbeit in einer Koalition aufgekündigt. Die Koalition selbst steht an einem Scheideweg.

Heute ziehe ich eine Reißleine. Den versprochenen Aufbruch in eine andere Stadtpolitik hat diese Koalition bisher nicht ernsthaft begonnen – das allein mit meiner Personalie zu begründen, wäre absurd. [..]

Als ich dieses Amt vor fünf Wochen antrat, wollte ich ein bitter nötiges Reformprogramm für die Berliner Wohnungspolitik durchsetzen. Denn eines ist klar: Diese Stadt braucht eine Politik für die Mieterinnen und Mieter. Es muss Schluss sein mit einer Politik, die weiter die Profitinteressen der Immobilienbranche an erste Stelle setzt. Für diese Aufgabe bin ich mit den Hoffnungen, dem Vertrauen und der Unterstützung von vielen Berliner Stadtteil- und Mieteninitiativen, von kritischen WissenschaftlerInnen und der Partei DIE LINKE angetreten. Im Koalitionsvertrag war vereinbart, dass dieses Programm nicht nur gemeinsam mit diesen Kräften, sondern auch mit B90/Die Grünen und der SPD gestaltet werden wird.

Dass sich am Ende die Gegner Holms durchgesetzt haben zeigt, dass mit der Berliner SPD und mit großen Teilen der Grünen ein wirklicher Wechsel nicht zu machen ist. Die Geschwindigkeit mit der Ramona Pop und ihre Grünen von Holm abrückten, war phänomenal wie kurzsichtig zugleich. Hätten sich die Grünen von Anfang an hinter Holm gestellt, wäre dieser heute noch im Amt.

Beschämenderweise ist die Koalition auf eine hasserfüllte Kampagne angesprungen, die von einem rechten Mistgabelmob gestartet und permanent angeheizt sowie von ein paar schäumenden Hauptstadtblättern weitergekocht wurde. Dass es lächerlich war, einem 18-jährigen seine Beteiligung an der Stasi vorzuwerfen, war schnell den meisten klar. 27 Jahre später. Bei jemanden, der offen mit seiner Vergangenheit umging und sich von der DDR distanzierte. Damit ließ sich Holm nicht wegputschen.

Der Beton-SPD war alles recht, um Holm zu stürzen

Man stürzte sich deshalb auf den vermeintlichen Fehler beim Einstellungsfragebogen an der Humboldt-Universität, um die Glaubwürdigkeit von Holm zu untergraben. Hätte dieses Spiel nicht funktioniert, wäre als nächstes seine Nähe zur linken außerparlamentarischen Bewegung herausgekramt worden. Angeblich drohte der SPD-Innensenator Geisel sogar damit. Der Beton-SPD schien alles Recht, um den unbequemen Staatssekretär loszuwerden und den Status Quo bei den Hochpreismieten zu erhalten.

Mehr als 15.000 Menschen haben eine Petition für Andrej Holm unterschrieben. Der Mann hat starken Rückhalt aus der Stadtgesellschaft und bei politischen Initiativen in der ganzen Stadt. Er wird als Verbündeter gesehen für eine gerechte Stadt. Für preiswerten Wohnraum und eine vernünftige Mietenpolitik. Diese Chance auf einen echten Politikwechsel, der bei den Menschen auch praktisch ankommt, hat Rot-Rot-Grün ohne Not verspielt.

Zu Holms Plänen gehörten, wie der Freitag schreibt:

„eine ganz klare Priorisierung von sozialen Funktionen des Wohnens gegenüber privaten Profiten oder privaten Interessen“ [..], eine Überarbeitung des Zweckentfremdungsverbots, „sodass es tatsächlich hilft“, und seine Erweiterung von Ferienwohnungen auf spekulativen Leerstand. Eine Ausweitung der Milieuschutz-Satzungen, stärkere Nutzung des Vorkaufsrechts, Eigenkapitalaufstockung und mehr Grundstücke für die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften, 400.000 statt heute 300.000 landeseigene Wohnungen, Sicherung von 100.000 Sozialwohnungen, „Mitsprachemöglichkeiten der Bewohnerschaft wie im dänischen Genossenschaftswesen“.

Holm selbst zählt folgende Ziele seiner Politik in seiner Presseerklärung auf:

  • eine Reform der AV Wohnen, so dass in Zukunft Hartz-IV-EmpfängerInnen nicht mehr durch Mieterhöhungen aus ihren Wohnungen vertrieben werden können,
  • eine Reform des sozialen Wohnungsbaus, so dass dieser seiner Aufgabe wieder gerecht wird,
  • eine soziale Neuausrichtung der landeseigenen Wohnungsunternehmen und mehr Mitbestimmung für die MieterInnen,
  • wirksame Maßnahmen gegen die steigenden Mieten auf dem freien Wohnungsmarkt,
  • einen Stopp der Verdrängung einkommensschwacher Bewohner.

Es wird sich zeigen, wieviele der guten stadt- und wohnungspolitischen Ansätze im Koalitionsvertrag diese Regierung ohne Andrej Holm überhaupt umsetzen wird. Ihre Glaubwürdigkeit auf diesem Feld hat die Regierung mit seinem Rauswurf schon jetzt verloren.

Andrej Holm geht jetzt wieder dahin, woher er herkommt. In die stadtpolitische Bewegung. Sie hat seine Nominierung erst möglich gemacht. In seinem Rücktrittsschreiben lädt er folgerichtig heute abend um 18 Uhr zu einer großen Versammlung ein, um über seinen Rücktritt und die Zukunft der Stadt zu sprechen. Und um dieser Regierung weiter Druck auf der Straße zu machen. Das ist gut so, denn es wird bitter nötig sein.

#holmbleibtbewegung

Versammlung, 18 Uhr
Ex-Rotaprint
Gottschedstr. 4
13357 Berlin

Ab 19 Uhr gibt es zudem eine Protest-Aktion am Gorki-Theater, wo Bürgermeister Müller auftritt.

7 Kommentare

  1. Maria says:

    Alles, wofür Holm eintritt und steht ist unumstritten wichtig, richtig und längst überfällig in der Berliner Stadtpolitik. Und dennoch komme ich immer dann ins Stottern, wenn die Frage lautet „Wieso sollten für einen Andrej Holm andere Regeln gelten als für jede*n andere*n Politiker*in und was wäre deine Meinung zu dem Thema, wenn wir eine*n rechtskonservative*n CDU-Kandidat*in unter der Lupe hätten?“. Er hat nicht nur sich, sondern auch der Linken damit ein Ei gelegt, an dem insbesondere zur Bundestagswahl noch viele brüten werden. Obgleich plötzlich Mietenpolitik Stadtgespräch ist, wäre meine Frage in die Runde, ob er nicht mehr Schaden angerichtet und der Glaubwürdigkeit der Linken und der Mietenprotestbewegung damit mehr Gegen- als Rückenwind beschert hat. Was meint der Online-Schwarm dazu? Hin- und hergerissen und mit solidarischen Grüßen.

  2. je suis sick of this shit says:

    @maria:

    andersrum war das noch nie ein problem, als rechter konnte man immer karriere in der politik machen und das auch bei der SPD. bin da über nen schönen tweet gestolpert, der das mal eben zusammenfaßt:

    https://twitter.com/liebernichts/status/821023497749233665

    da fehlen noch so einige wie zb. gehlen als geheimdienstchef, strauß war auch nazi-führungsoffizier und google auch mal waldheim und carstens. selbst der obertrottel lübke hatte braune flecken in der agenda.

    • V. says:

      Besonderst schockierend in der Liste ist die Person „Günter Hellwing“, der im von Nazi-Deutschland besetzten Frankreich verantwortlich für die Ermordung von Widerstandskämpfern war und nach 1945 bei der SPD Karriere gemacht hat. Dieser Mann war Mitglied der GdP, deren Berliner Klüngel jetzt moralisch über Holm richten wollte. Dazu sollte es mal einen Artikel geben …

  3. gregorius says:

    Eine Stasi Verpflichtung klebt auch nach heftigsten Unwettern am Schuh wie ein Kaugummi.
    Das hätte Holm bei all seiner Gewandtheit eigentlich klar sein müssen.
    Man macht es sich mit dem Vorwurf an die Betonparteien da etwas zu einfach, denn Angriffspunkt bleibt Angriffspunkt.

  4. lebowski23 says:

    Die Berliner sollten mal den Flughafen zu Ende bauen, bevor sie anfangen sich um schwierige Dinge zu kümmern. Was die Personalie angeht war doch von Anfang an klar, dass das keine gute Wahl war, da wundern mich ehrlich gesagt die Reaktionen vieler Leute.

  5. Götz says:

    Fürs Radio verarbeitet:
    http://www.freie-radios.net/81000
    Gruß und Dank, Götz
    Radio Corax Halle (Saale)

  6. Included says:

    Ich finds schade um ihn! Mit Holm wäre (vielleicht) endlich eine Wende in der verfahrenen Berliner Baupolitik geschehen.
    Aaaaber: bei so einem sensiblem Thema, wie auch nur an die Stasi gedacht zu haben, da hätte er wirklich anders, offener, auch gleich gegenüber der HU, reagieren müssen und sich offenbaren müssen. Ich verstehe nicht, wie ein so intelligenter Mensch, dass Thema missachten kann und glaubt, sich da einfach durchmogeln zu können. Wirklich schade! Naja, vielleicht gibts ja in einigen Jahren einen Neustart (wie Özdemir, Guttenberg usw.)

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