Deutsche Wikipedia in der Relevanzfalle

Nach der Löschung des Wikipedia-Eintrags von Mogis stehen die deutschen Wikipedia-Admins schwer in der Kritik. Diese Kritik fällt teilweise heftig aus wie bei fefe oder auch etwas dezidierter wie bei fxneumann oder isotopp, der eine Studie über Wikipedia-Admins anführt. Im Kern geht es um die Relevanzkriterien, die besonders in der deutschen Fassung der Enzyklopädie viele neue Artikel unmöglich machen.

Ich selbst habe diese unselige Relevanzdiskussion auch schon zweimal miterlebt. Einmal als ich einen Artikel über eine immerhin internationale politische Gruppierung mit recht großer Außenwirkung geschrieben habe. Ein Admin stellte sofort einen Löschantrag und ließ keine Argumente gelten. Als ich mich dann auf der persönlichen Seite dieses Admins umschaute, fand ich eine stolze Auflistung von Artikeln über Rücklichter von Eisenbahnen, die dieser Admin erstellt hatte.

In einem zweiten Fall hatten Nutzer eines nicht unbedeutenden deutschen Start-Ups (ich kann hier den Namen leider nicht verraten, da ich indirekt für dieses Unternehmen gearbeitet habe) einen sehr ausgewogenen Artikel über das Unternehmen, Geschäftsidee und Funktionsweise geschrieben. Obwohl dieser Artikel hochwertig und gut geschrieben war, Konkurrenten nannte und eine neutrale Informationsquelle darstellte, wurde er sofort von einem Admin gelöscht. Das Unternehmen hätte bestimmt 500 Presseartikel – von BILD bis ARD Tagesthemen – vorweisen können. Dieses Argument wurde von den Autoren in der Löschdiskussion auch angeführt, doch das Urteil des Admins stand schon fest: irrelevant.

Das führt uns zu einer Grundfrage: Was ist relevant? Für mich ist immer das relevant, was für mich relevant ist. Für den einen sind dies unterschiedliche Typen von Eisenbahn-Rücklichtern und für den anderen sind es irgendwelche politische Gruppierungen. Das Internet ist ein Ort, in dem Platz sein sollte für jegliche noch so unbedeutende Information. Und das bestenfalls in einem der Ausgewogenheit verpflichteten Ort wie der Wikipedia. Das einzige Problem, das ich sehe, wenn für den Mainstream absolut irrelevante Artikel in Wikipedia veröffentlicht werden, ist die mangelnde Pflege dieser Artikel und auch das fehlende Wissen des Korrektivs, das Wikipedia zu einer recht zuverlässigen Quelle gemacht hat. Das bedeutet natürlich, dass irgendwo eine Grenze gezogen werden muss, damit nicht ein kleiner – sagen wir Volleyballverein mit 12 Mitgliedern – einen eigenen Artikel erhält, den niemand auf seine Richtigkeit überprüfen kann.

Aber wie kann es sein, dass einzelne Admins entscheiden, was wichtig ist. Warum sollten Menschen sich nicht neutral über ein Unternehmen informieren dürfen, das ständig in den Medien ist? Wie kann es sein, dass die Admins der Wikipedia selbstherrlich und in bester Kleingärtnermanier entscheiden, was relevant ist? Warum sammelt sich eine bestimmte oberlehrerhafte und rechthaberische Type von Mensch in diesem wunderbaren Projekt? Das ist ein Fehler im System Wikipedia, das jetzt einige verächtlich Adminpedia nennen.

adminpedia.png

Was wäre die Lösung des Problems? Ich kenne mich technisch mit Wikipedia und Wikis nicht so gut aus. Aber wie wäre es, wenn man ein Wiki baut, das auf Wikipedia aufsetzt. Das die Artikel der offiziellen Wikipedia nutzt und eine Erweiterung um weniger relevante Artikel erlaubt. Ein Modellversuch um zu sehen, was passiert, wenn Relevanzkriterien eine unergeordnete Rolle spielen. Im Netz ist genug Platz, wir sollten die Wahrheit nicht von einigen wenigen Admins interpretieren lassen. Das ist die gute alte Einbahnstraße und damit rückwärtsgewandt.

14 Kommentare

  1. Zu deinem Beitragsende: Seit 2004/2005 kommt in den Diskussionen immer mal wieder die Diskussion um einen Fork auf. Gerne auch „auf Basis eines P2P-Netzwerks“ (seufz).

    Es gibt durchaus Ansätze, die in die Richtung gehen, gelöschte und irrelevante Beiträge zu bewahren. Als Beispiel seien nur die Deletionpedia oder das Marjorie-Wiki (oder in engen Grenzen das Vereins-Wiki) genannt.

    Dennoch ist nie etwas in Richtung eines „richtigen“ Forks passiert. Warum? Zum Einen liegt es sicherlich auch daran, dass Kritik und ein entsprechender Vorschlag einfacher ist, als eine Umsetzung :-)

    Zum Anderen muss man aber klar sehen, dass es extrem schwer ist, die WP zu forken. So wird zwar von Seiten der WP alles möglichst einfach gemacht – z.B. werden aktuelle Komplett-Dumps angeboten – aber es ist nahezu unmöglich „mal eben“ die notwendige Infrastruktur zu stemmen.

    Nehmen wir aber mal an, jemand würde es aus dem Stand gewuppt bekommen, die Infrastruktur zu stellen und dafür zu sorgen, dass sie halbwegs stabil angebunden ist (und gewartet wird – die Finanzierung des Betriebs ignorieren wir mal): Ein Fork wird in der Minute, in der er sich abspaltet, unaktuell.

    Man steht nun vor dem Problem, dass man a) entweder alle neuen Änderungen importieren muss oder b) einen entsprechend großen Teil der Nutzer von der WP auf sein Angebot ziehen muss. Beides wird nicht so ohne weiteres funktionieren.

    Und die Schwierigkeiten werden umso größer, je größer und umfangreicher die WP wird. Aus diesem Grund bezweifle ich, dass wir in den nächsten x Jahren einen Fork sehen werden.

    Das ist IMHO auch wünschenswert, da ein Fork das jeweilige Projekt schwächt und ich vermute, dass man die jetzige Situation eher in seinem Sinn beeinflussen kann, wenn man den entsprechenden Aufwand dafür nutzt, sich selbst in die WP einzubringen und die Dinge, die einem dort nicht passen, versucht vor Ort zu beeinflussen.

  2. Arne says:

    „[…], wurde er sofort von einem Admin gelöscht.“
    John, diese Formulierung ist nicht richtig, und daher auch die Begriffswahl „Adminpedia“ nicht. Diese Auffassung und Formulierung führt jedoch gerade zu diesem Löschnazi-Wikipedia-Blockwart-Adminclan-Missverständnis. Dass nämlich _Admins_ über Artikel und deren Fortbestand entscheiden.
    Beschäftigt man sich mit dem System der Artikellöschungen (es ist in der Wikipedia dokumentiert) erkennt man zwar, dass die tatsächliche Löschung (technisch) von Admins durchgeführt wird, aber _beschlossen_ wird die Löschung des Artikels eben nicht von Admins, sondern der Community, den hunderten aktiven Autoren. Diese Diskutieren den Fortbestand des Artikels, der Administrator wertet diese Diskussion lediglich aus.
    Gruß, Arne

  3. John F. Nebel says:

    Lieber Arne,

    in der besagten Diskussion um den Artikel haben sich alle User für den Artikel ausgesprochen. Den Admin hat dies nicht daran gehindert, die Diskussion wegzuwischen und gegen den Artikel zu entscheiden.

    Ich möchte nicht alle Admins hier verurteilen, da sind sicher auch Idealisten dabei. Bei zu vielen macht sich aber eine eklige Mentalität der Macht breit…

  4. Fred says:

    Hallo Arne,

    das ist wirklich nicht korrekt, was Du schreibst!

    Es gibt Artikel, die werden ohne Prüfung gelöscht. Entsprechend hat der Vorredner recht.

    Bitte keine falschen Behauptungen.

  5. Thomas says:

    @Arne:

    Ich habe ähnliche Erfahrungen wie John gemacht. Mein erster Artikel (ein IT-Thema) bei Wikipedia war auch gleichzeitig mein letzter – ist inzwischen übrigens wegen mangelnder Relevanz gelöscht.

    Was mich jedoch besonders geärgert hatte war folgendes: Um mit dem Artikel zu beginnen hatte ich zuerst den kurzen Artikel zum selben Thema der englischen Wikipedia übersetzt. Kaum hatte ich den Artikel veröffentlicht, war er schon binnen Minuten zum Löschen markiert. Das war wiklich ein sehr ermutigendes Erlebnis. Ich hatte bis dahin gedacht, dass man Kritik erst einmal auf die Diskussionsseite stellt und dass man dem Autor bzw. den Autoren die Möglichkeit lässt, den Artikel überhaupt erst einmal zu schreiben.

    Der Blockwart pochte jedoch auf den Relevanzkriterien herum. Für mich Klang das so, als müsse man bei Wikipedia erst einmal einen Antrag mit ausführlicher Begründung abliefern und einen Beschluss abwarten muss, bevor man einen Artikel schreiben darf.

    @John:

    Relevanzfalle ist wohl der passende Begriff. Wikipedia scheint sich da an Print-Lexika zu orientieren, die gezwungenerweise mit begrenzten Ressourcen in Form von Personal und Seiten im Buch zurechtkommen müssen. Wenn man sich überlegt, wie schnell sich die Welt verändert, werden die mit ihren Relevanzkriterien immer zweiter Sieger sein. Im Bereich IT-Themen lande ich am Ende immer bei der englischen Wikipedia, weil die in der deutschen Wikipedia immer fehlen oder nicht die geeignete Qualität haben. Was auch nicht verwunderlich, so wie man bei wikipedia.de behandelt wird. Da schreibt man am besten gleich auch Englisch.

  6. hanfbauer says:

    meine erfahrungen mit der deutschen wikipedia sind genauso wie oben geschildert. in meinem fall war der blockwart z.b. experte für das internationale pfadfinderwesen und in den erstellten artikeln ging es um einen tauschring mit eigener währung bzw. um eine kongressreihe mit rauschkunde-themen mit relativ viel europäischer und amerikanischer prominenz die ihrerseits größtenteils einen eigenen eintrag in der deutschen/englischen wikipedia hatten. wenn jemand pfadfinder für relevant hält aber alternative ökonomische experimente für irrelevant … ja mei! da hilft höchstens eine informelle „pressure group“ von leuten die sich ständig hinter die löscheinträge klemmen und deutlich stellung beziehen. obwohl – bei vielen admins ist wirklich hopfen und malz verloren.

  7. Saignee says:

    Bei fast 1 Millionen Artkel in der Wikipedia ist es ganz klar das es Relevanzkriterien geben muß, ansonsten, entsteht einfach „Wildwuchs“ (ich nenn da mal die Metzgerei von nebenan). Das man sich über die Relevanzkriterien und ihre Auslegung streiten kann ist auch klar (und wie ich finde, in einer „gesunden“ Community auch normal). Das mit der Dauer der Existenz der Wikipedia auch die Liste der gelöschten Artikel immer länger wird – und somit auch die Liste derer, die sich ärgern weil ihr Artikel gelöscht wurde, ist auch an der wachsenden Zahl der Fachwikis zu sehen.

    Und genau hier würde ich einen Lösungsansatz für den steigenden Mißmut sehen. Einige Wikipedians wie XenonX3, Textkorrektur (diese Benutzer haben noch nicht einmal ein eigenes Wiki, sondern hilfen aus Überzeugung) oder auch Johnny Controletti helfen bei dem Projekt „Andere Wikis“ indem sie in Löschdiskussionen darauf hinweisen, einen Artikel noch nicht zu löschen, weil er zuerst in ein bestimmtes Fachwiki importiert werden soll.

    Sinnvoll wäre es jetzt, in dem entsprechenden Hauptartikel auch auf diesen Export hinzuweisen. Zum Beispiel in einem Stadtartikel „Hintertupfingenhausen“: … gibt es einige Vereine, mehrere Einzelhändler und eine Pension… Hier könnten gut die Links auf z.B. das Vereins-Wiki, das Stadtwiki, Unternehmens-Wiki oder auch Wiki-Travel gesetzt werden (dies sind jetzt einfach Beispiel-Wikis), damit auch die Info zur oben beschriebene Metzgerei nicht verloren geht. Und auch z.B. das Marjorie-Wiki hätte seine Existenzberechtigung, für die Artikel die nicht in Fachwikis importiert werden.

    Diese Links dürfen zur Zeit aber (noch) nicht angebracht werden (Relevanzkriterien für Links!). Das sollte schleunigst geändert werden.

    Bei gelöschten Artikeln könnte als Zusatz das Import Wiki stehen:
    Dieser Artikel wurde gelöscht + in das XY Wiki importiert!

    Stichworte: Miteinander – Ergänzen – Netzwerk bilden!

    Im Prinzip wäre die Wikipedia „dumm“, würde sie sich die Chance entgehen lassen, relevanzübergreifend mit den anderen Wikis zusammen, ein rießiges „Netzwerk“ enzyklopädischens Wissens und weiterführender Informationen zu bilden.

    Das schafft natürlich nicht alle Streitfragen aus dem Weg, wäre meiner Meinung nach, aber ein guter Weg, die Anzahl der Relevanzstreitigkeiten erheblich zu reduzieren und dem steigenden Unmut der Autoren entgegen zu treten.

    Saignee

  8. Also wem die Relevanzkriterien bei Wikipedia auf die Nerven gehen, dem kann ich als Alternative WikiBay.org empfehlen. Dort gibt es sowas wie Relevanzkriterien nicht – da kann so ziemlich alles rein, solange der Inhalt stimmt. Man kann auch eigene Webseiten ohne das ?nofollow?-Attribut eintragen.

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