Warum Corporate PR keine aggressiven NGO-Kampagnen versteht

Ich finde es ja schön, wenn ein PR-Mann mit den Worten populistisch, propagandistisch und polemisch herumhantiert. Suggeriert es doch, dass diese Dinge in der PR keinen Platz hätten. In der Auseinandersetzung Greenpeace vs. Nestlé hat sich jetzt Mirko Lange von der Agentur Talkabout mit zwei Artikeln in die Debatte eingeschaltet. Und der sagt:

Ich fange an mir Sorgen darüber zu machen, ob die ehemals Ohn-Mächtigen anfangen, Macht zu missbrauchen.

Mal abgesehen davon, dass PRler meistens nur bloggen um zu zeigen, wie toll sie Social Media und Krisen-PR können, finde ich diese Aussage doch einigermaßen unangebracht. Wir reden hier von Nestlé, dem größten Lebensmittelkonzern der Welt mit 109,9 Milliarden Schweizer Franken Umsatz im Jahr 2008. Ein Konzern, der Spitzel in Attac hereinschleuste, Genfood anbieten will und mit dem Mugabe-Regime eng zusammenarbeitete.

Doch PR-Lange sagt:

… ich fange auch langsam an, mich auf die Seite des schwächeren zu stellen. Und im Social Web scheinen mir die Unternehmen die schwächeren zu sein. Sie haben vermeintlich kaum eine Chance, gegen solche Form von Propaganda vorzugehen.

Was Herr Lange so gar nicht versteht, ist die Dramaturgie und Choreografie von aggressiven NGO-Kampagnen. PRler lernen so etwas nicht, weil sie immer mit der angezogenen Handbremse die weichgespülten Kernbotschaften ihrer Kunden durchkauen müssen. Aber zumindest sollten sie auf solche Kampagnen vorbereitet sein.

Diese Kampagnen sind nicht fair. Sie müssen es auch nicht sein. Denn sie handeln sie nach dem Motto: „Bestrafe einen, erziehe hundert“. Und darum geht es Greenpeace. Da bietet sich Nestlé als Großkonzern, als Inbegriff des Bösen für jeden Öko oder Lohas, als Konzern, den man jeden Scheiss zutraut, das ideale Ziel für eine Kampagne, mit der man auf die Palmöl-Urwald-Problematik hinweisen will. Hier soll ja ein Exempel statuiert werden, genauso wie Nike damals die ganze Sweatshop-Nummer abbekommen hatte, obwohl Adidas, Reebok & Co. unter genauso miserablen Bedingungen ihre Schuhe produzierten.

Da wundert sich der PR-Mann dann:

… ich kann keinerlei Belege für die Behauptungen von Greenpeace finden, Nestlé vernichte Orang-Utans und Regenwald. Nur viele Behauptungen, schlimme Bilder, Nebelkerzen, Unterstellungen und Kommunikationstricks, die einen Zusammenhang suggerieren.

Da hilft dann auch nicht die wohl beliebteste Nebelkerze der PR-Branche – die gute alte Meinungsumfrage. Denn den Zusammenhang von Nestlés Schokoriegeln und Orang-Utans gibt es in der Logik der Greenpeace-Kampagne schon, auch wenn Greenpeace das nur recht dünn belegt. Wenn Nestlé 0,7 Prozent der Weltproduktion an Palmöl in Schokoriegel und ähnliches verbaut, dann hat Nestlé doch einen erheblichen Einfluss auf die Art und Weise der Produktion dieses Grundstoffes. Und zudem wird die Kitkat-Killer-Story die Branche gehörig aufschreckt haben. Denn mit blutenden Orang-Utan-Fingern will niemand in Verbindung gebracht werden.

Der PR-Mann dann weiter:

Es scheint mir immer wahrscheinlicher, dass Greenpeace ganz systematisch etwas konstruiert, um ihrer Kampagne Nachdruck zu verleihen. Das ist ja auch aufgegangen. Indem man Nestlé als „unfreiwilliges Zugpferd“ der Kampagne auserkoren hat, hat das Ding wirklich mehr Pep und Dramatik.

Der dreckige, aber unbekannte Palmöl-Produzent Sinar Mas eignet sich eben als Zugpferd nicht. Denn wir essen nun einmal Kitkat und haben mit Palmöl in seiner Rohform eben recht wenig zu tun. Und deswegen irrt lange auch mit folgender Aussage:

Der richtige Adressat der Kampagne wäre nicht Nestlé, sondern der Verbraucher. Denn der verlangt und kauft Schokolade.

Das ist Quatsch: Wir als Verbraucher ahnen ja gar nicht, was sich in einem leckeren Schokoriegel so verbirgt – bis uns Greenpeace oder irgendeine andere NGO mit einer Kampagne darauf aufmerksam macht. Die Attacke gegen Nestlé kann also nur ein erster Schritt sein, um auf die skandalösen Bedingungen der Palmöl-Produktion hinzuweisen. Letzere wird noch zunehmen, da Palmöl uns in Zukunft als Biosprit verkauft werden soll. Und der kommt dann nicht aus Indonesien von Nestlé, sondern von ENI aus den letzten unberührten Regenwäldern des Kongo (Studie als PDF).

Für den PR-Mann ist nach der Kampagne

… der Imageschaden bei Greenpeace […] deutlich größer als der bei Nestlé.

Bei mir nicht, aber ich muss ja auch keine neuen Kunden für meine Agentur gewinnen.

Update:
Greenpeace hat auch auf Mirko Langes Post reagiert.

Der Autor isst gerne Schokoriegel und hat PR für Firmenkunden & NGOs gemacht.

15 Kommentare

  1. Torsten says:

    Verwegene These, dass der „PR-Mann“ nicht versteht. Er versteht es vielleicht allzu gut.

    Wenn Nestle eh bestraft wird – ob sie nun an einem konkreten Umstand schuld sind oder auch nicht – pumpt Nestle ein bisserl mehr Geld in die PR. Verhaltensänderung bringt ja nichts, wenn man das corporate evil ist. Greenpeace verliert ein bisschen mehr Glaubwürdigkeit, münzt das aber in Spenden um.

    Gewinner auf allen Seiten und trotzdem möchte man kotzen.

  2. Mirko Lange says:

    Hallo John,

    ich verstehe die Vorbehalte. Und natürlich kann ich sie hier (z.B. durch einen Kommentar) kaum entkräften. Dazu müssten wir uns (gut) kennenlernen, damit jemand versteht, wie ich ticke – oder ob ich autentisch bin.

    Ich kann hier nur sagen – glaube es oder nicht – dass mir das Thema Populismus, Propaganda und Polemik sehr am Herzen liegt. In meiner täglichen Arbeit versuche ich sehr, ohne das auszukommen. Einfach weil ich weiß, dass man mit Authentizität und Offenheit deutlich weiter kommt. Mir sind Täuschungen und „Politik“ zuwieder.

    Ich hatte mal einen Kunden um einen Referenz gebeten, und er schrieb (unter anderem): „talkabout schützt seine Kunden vor der eigenen Propaganda“.

    Vielleicht kannst Du ja einfach mal das Experiment machen und versuchen zu verstehen, was dahinter steht. Lies vielleicht auch mal den letzten Beitrag. Ich mag und achte Greenpaece. Aber wie gesagt: Ich fühle mich getäuscht. Und grade weil ich die Tricks der PR beherrsche, kann ich sie auch entdecken. Auch wenn ich sie selber nicht anwende.

    Danke.

  3. Hallo Mirko,

    ich weiß, dass es in Teilen der PR eine Bewegung hin zu weniger Faken und mehr Transparenz gibt. Ich begrüße das, weil ich glaube, dass die PR an an der ganzen Verlogenheit selbst am meisten leidet und deswegen auch soviel auf den Deckel bekommt bzw. im Social Media Bereich praktisch keinen Fuß auf den Boden bekommt.

    Ich glaube trotzdem, dass NGOs die „dreckige“ Schiene fahren dürfen. Polarisieren, Polemisieren und Tiefschläge verpassen. Eine NGO, und selbst eine sehr reiche wie Greenpeace, hat nicht annähernd die PR-Mittel zur Verfügung, die Nestlé ausgeben kann. Um mal einen militärischen Jargon zu bemühen: Das ist ein asymmetrischer Kommunikationskrieg.

  4. K.P. says:

    Hallo Mirko,
    „Ach kann hier nur sagen – glaube es oder nicht – dass mir das Thema Populismus, Propaganda und Polemik sehr am Herzen liegt.“

    Achja, ehrlich?

    Warum dann die Beurteilung: „Alles konstruiert?“
    Es ist definitiv nicht nur konstruiert, das gibt sogar Nestle zu. Auch Greenpeace legt die Argumentation dar. Es spielt dabei keine Rolle, wie schwer die Schuld wiegt. Nur wenn Nestle eine weiße Weste hätte, wäre das Vorgehen vielleicht frevelhaft.

    „Ich will mich nicht als Verteidiger von Nestlé aufspielen. Ich kenne das Unternehmen nicht, und ich würde niemals wagen zu sagen, Nestlé sei ohne Schuld. Ich möchte mich auch nicht als Ankläger von Greenpeace aufspiele, denn ich finde es wirklich gut, wie sich Greenpeace einsetzt.“

    Schönes einleitendes Statement. Der Text danach zeigt aber genau das Gegenteil. Feines rhetorisches Mittel :) Aber eben auffällig.

    „Denn ich kann keinerlei Belege für die Behauptungen von Greenpeace finden, Nestlé vernichte Orang-Utans und Regenwald.“

    Dann vielleicht nochmal genauer lesen. Ggf. auch mal in der Presseerklärung von Nestle. Selbst da steht es – zugegebenermaßen etwas umschrieben – drin.

    Insgesamt kommt mir hier auch der Eindruck einer Marketing Aktion für einen nächsten PR Auftrag.

    Nestle will sich bis 2015 Zeit nehmen. Das sind noch 5 Jahre. Es gibt keinen wirklichen Grund, nicht sofort zu handeln. Außer die Angst Umsatz zu verlieren. Hoffentlich lernen Firmen in Zukunft genauer bei ihrem Einkauf aufzupassen. Im Zweifel eben auch mal langsamer zu wachsen, als sich dem Risiko eines solchen PR GAUs auszusetzen.

  5. Haiwen says:

    Ja, die bösen bösen Verbraucher, die all das kaufen, was ihnen die Werbung schmackhaft macht und was auch noch so gut platziert im Supermarkt präsentiert wird. Verantwortung verlangen, gleichzeitig keine übernehmen und dann noch annehmen die Käufer_innen wären so blöd und merkten den Doppelstandard nicht…

  6. Torsten says:

    Offenbar teilt nicht mal Greenpeace Deine Straßenkämpfer-Attitüde.

    Soweit ich verstanden habe – korrigiert mich, wenn ich mich irre – kritisierte der „PR-Mann“ eine konkrete Broschüre, die schlichtweg nicht erklärte, wie real denn der Bezug zwischen Nestle und der Urwald-Zerstörung ist. Greenpeace hat in dem Update, das Du oben auch verlinkt hast, solche Hintergründe nachgeschoben.

    „Asymmetrischer Kommunikationskrieg“ wird durch starke Bilder, durch Authenzität und Engagement geführt, er besteht nicht in einem plumpen Wettbewerb, wer die Öffentlichkeit nun effektiver belügen oder manipulieren kann. Es gibt genug Leute, die das immer wieder probieren – und es geht fast immer schief. The road to hell is paved with good intentions.

  7. Maik says:

    „Der richtige Adressat der Kampagne wäre nicht Nestlé, sondern der Verbraucher. Denn der verlangt und kauft Schokolade.“

    „Das ist Quatsch: Wir als Verbraucher ahnen ja gar nicht, was sich in einem leckeren Schokoriegel so verbirgt – bis uns Greenpeace oder irgendeine andere NGO mit einer Kampagne darauf aufmerksam macht.“

    Oh, ich glaube der Adressat ist (auch) der Verbraucher. Wenn der Adressat nur Nestlé wäre, wär es doch für die Katz oder Ablage P.Der Verbraucher soll doch sensibilisiert werden kein Nestlé & Co. zu kaufen, solange die Palmöl von da beziehen. Und da darf man ruhig mal schocken, damit’s auch hängen bleibt.

  8. John F. Nebel says:

    @Maik: Aber das schreibe ich doch. Mirko Lange hatte in seinem Beitrag gefordert, dass sich Greenpeace an die Verbraucher richten – und nicht gegen Nestlé als einzelnes Unternehmen vorgehen solle.

    Das hielt ich für Quatsch, weil die Verbraucher ohne das „Spiel über die Bande“ Nestlé gar nicht so einfach zu erreichen wären. Von dem her ist die Strategie von Greenpeace kommunikatorisch absolut richtig.

  9. marcus says:

    „Der richtige Adressat der Kampagne wäre nicht Nestlé, sondern der Verbraucher. Denn der verlangt und kauft Schokolade.“

    Dieses Argument ließe sich dann auf alles Handelbare ausdehnen (Waffen, Kinderpornos, Menschen …).

  10. Niko says:

    Adressat der Kampagne IST der Verbraucher. Wer sonst?
    Nur wenn der über solche Kampagnen mobiliserte Verbraucher Druck auf Nestlé ausübt, hat der Konzern einen Anreiz, sein Verhalten zu ändern.

    Direkten Einfluss auf die Anbaumethoden haben weder der Verbraucher noch Greenpeace. Der Druck auf Konzerne wie Nestlé ist der einzige Ansatzpunkt einer solchen Kampagne. Und dieser Druck kann nur vom Verbraucher ausgehen, durch Imageverlust/Umsatzeinbußen, oder bei genügendem öffentlichen Interesse auf politischem Weg.

  11. Mirko Lange says:

    @ K.P.

    Fährst Du ein Auto? Angenommen, Greenpeace würde eine Kampagne gegen dich persönlich starten mit wirklich brutalen Bildern von sterbenden Kindern, Tierleichen, Tsunamis, hunderten Toten etc…

    Du ahnst sicherlich, worauf ich hinaus will. Es lässt sich leicht belegen, dass an den schlimmen Bildern oben die Klimakatastrophe Schuld ist. Die ist mitverursacht durch CO2, das durch Autos emittiert wird. Du hast ein Auto. Du bist verantwortlich.

    Richtig. Es ist alles ein Frage des Maßstabs. Bei dem gezeigten Bild ist es eindeutig übertrieben. Aber wo ist die Grenze? Ich würde immer so argumentieren, dass man sich nur auf einen konzentrieren darf, wenn dieser eine irgendetwas bewegen könnte.

    Greenpeace argumentiert (immer noch), dass durch den Bezugsstop durch Nestlé Sinar Mas an der Umweltzerstörung gehindert wird. Aber glaubst Du das wirklich angesichts des sehr, sehr kleinen Anteils, den „der Kunde“ Nestlé an Sinar Mas hat? Ich glaube nicht, dass ein Bezugsstop von Nestlé auch nur einen einzigen Orang Utan oder auch nur einen einzigen Baum in Indonesien retten würde. Aber alles in der Broschüre ist darauf ausgerichtet, uns das Glauben zu machen. Ich glaube, dass Greenpeace selber nicht an die Fakten glaubt – oder genauer: Dass irgendjemand aufgrund der Fakten glaubt, dass der Bezugsstop durch Nestlé etwas an der Situation in Indonesien ändert.

    Das meinte ich mit „konstruiert“.

  12. Mirko Lange says:

    Ich habe mich falsch ausgedrückt. Adressat der Kampagne ist tatsächlich der Verbraucher. Ich meinte eigentlich: Adressat des Appels. Nämlich dass der Verbraucher keine Produkte mehr kauft, in denen Palmöl ist – aber eben nicht nur Kitkat, sondern KEINES. Kitkat ist nur ein Produkt unter zigtausenden, die Palmöl enthalten. DAS würde etwas ändern. Und zwar 1.000 Mal mehr als jeder Bezugsstop durch Nestlé.

    Aber das ist illusorisch. Weil den Menschen ihre Bequemlichkeit und ein billiges Produkt viel wichtiger sind als der indonesische Regenwald. Das finde ich den Skandal. Und ich würde gerne mal wissen, wer von den Leuten, die das Video weiterleiten und sich über meine kritik beschweren, Produkte mit Palmöl kaufen und das auch weiterhin tun werden.

    Melde sich mal bitte auch nur einer hier, der konsequent Produkte meidet, die umweltgefährdend sind.

  13. Mirko Lange says:

    P.S. Ich finde Blogs irgendwie doof, die keine E-Mail-Benachrichtigung für Kommentare haben. Ich weiß dann gar nicht, wann jemand was geantwortet hat :-)

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