Da kotzt der Bürgerrechtler II

In NRW soll ein neues Gesetz verabschiedet werden, dass es dem Verfassungsschutz erlaubt „Emails auf Festplatten“ zuhause lesen zu dürfen. Das ist eine neue Dimension der Überwachung. Schon wieder. Natürlich werden auch hier die allgegenwärtigen Terroristen ins Feld geführt, denn sie sind momentan das unschlagbare Argument im Spiel mit der Angst der Bürger. Dass der Verfassungsschutz seine Befugnisse und Beobachtungsobjekte gerne etwas großzügiger auslegt, wissen wir nicht erst seit dem Verfassungsschutzskandal in Berlin. Dort beobachtete der Geheimdienst mit der Begründung „infiltrierende autonome Gruppen“ konsequent ein Sozialforum, dem Gewerkschafter, linke Parteien, Uni-Professoren, Arbeitsloseninitiativen und ähnliches angehören. Beim Verfassungschutz fangen „Bestrebungen gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung“ eben schon da an, wo der Kapitalismus kritisiert wird. Und nicht erst dort, wo Leute Bomben werfen und den Staat gewaltsam stürzen wollen. Das sollte bei jeder Erweiterung der Befugnisse dieser demokratischen Fremdkörper, was Geheimdienste nun einmal sind, beachtet werden.

Die eh schon kleine Bürgerrechtsbewegung steckt in einem Dilemma. Niemand hört ihr zu. Bürger und Parteien, bis hin zu den Grünen, schreien nach mehr Überwachung. Auf öffentlichen Plätzen. Beim Telefonieren. Im Internet. Wer diesen Abbau an Grund- und Freiheitsrechten verhindern will, gilt als Bremser. Als Sicherheitsrisiko. „Denn Datenschutz ist Täterschutz“ sagen die Sicherheitsfreaks. So befinden sich Bürgerrechtler in einer schwierigen Situation: sie kämpfen einen Abwehrkampf, bei dem sie im besten Fall die fortschreitende Erosion der Grundrechte minimal verlangsamen können. Das ist nicht sexy. Doch jede Bewegung, die etwas erreichen will, muss attraktiv sein, muss eben sexy sein – und muss nach vorne schauen. Positive Forderungen nach mehr Freiheit formulieren – statt mühsamer Abwehrkämpfe, die gegen ein Kartell der Sicherheitsfanatiker nur verloren werden können.

Bei der Argumentation jeder Verschärfung wird von einer „sorgsamen Abwägung von Sicherheit und Freiheit“ gesprochen. Abgesehen davon, dass es eben kein „Grundrecht auf Sicherheit“ gibt, geht diese Abwägung in den letzten 35 Jahren konseqent zu Lasten der Freiheit. Die im Grundgesetz verbrieften Grundrechte sind der Schutz des Bürgers vor dem Staat. Sie sind das einzige, was uns Sicherheit vor dem Staat – eben politische Freiheit – gibt. Diese Freiheit muss immer verteidigt oder neu erkämpft werden. Sonst wird sie nach und nach verschwinden.

Es gibt verschiedene Modelle eines Staates: kommunistische Regime bieten Gerechtigkeit aber wenig Freiheit, die klassische liberale Idee bietet wenig Gerechtigkeit, aber viel Freiheit – wir aber befinden uns auf einem doppelt schlechten Weg. Sowohl Gerechtigkeit wie auch Freiheit werden abgebaut. Wir sind noch lange nicht am Ende dieses Prozesses, aber diese Entwicklung läuft langfristig auf einen autoritären Kapitalismus hinaus. Und der ist die schlechtest mögliche Variante.

Man kann nur hoffen, dass sich wieder ein Bewusstsein für die Wichtigkeit von Freiheit entwickelt. Momentan sieht es nicht so aus.

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