Linke Niederlage: Nazidemo durch Berlin-Friedrichshain

Wer erlebt hat mit welcher Power im Jahr 2004 den Neonazis der Weg im Berliner Stadtteil Friedrichshain versperrt wurde, der wurde heute vom Gegenteil überrascht. Während die Nazis damals von 5.000 Leuten weggeblockt wurden, konnten heute ungefähr 500-1000 Rechte fast unbehelligt vom Alexanderplatz aus durch den nördlichen Friedrichshain ziehen. Ihnen stellten sich gerade einmal 500 verstreute Antifaschisten in den Weg. Und das auch noch relativ mutlos, unkoordiniert und wenig entschlossen.

Wie kommt diese Niederlage zustande? Sicherlich, die Polizei hat mit den rund 1200 eingesetzten Beamten mal wieder kräftig den Weg freigeräumt. Die Polizei hat mal wieder Gewalt gegen junge Demonstranten angewendet, friedliche Sitzblockaden brutal aufgelöst und zahlreiche Menschen festgenommen. Und die Polizei hat die Nazis verbotene Parolen skandieren lassen. Aber daran liegt es nicht. Es liegt viel mehr daran, dass einfach niemand zum Protest gegen den braunen Mob auf die Straße gegangen ist. Klar, es war nicht lange Zeit zum Mobilisieren. Aber wo waren die Parteien, die noch am 12. September mit ihren Fahnen die „Freiheit statt Angst“-Demo im Wahlkampf vereinnahmt und gekapert hatten? Wo waren die Familien, Gewerkschafter und „Normalbürger“, die im Hintergrund oder auf Kundgebungen ihren Unmut geäußert haben? Wo waren die Hedonisten, die in den letzten Jahren mehrfach 3.000 Leute gegen Rechts auf die Straße gebracht haben? Wo waren die Antifas, die mutig entschlossen und mit allen Mitteln (wie im Netz ja auch angekündigt) den Naziaufmarsch verhindert haben?

Die Nazis werden sich jetzt ins braune Fäustchen (oder die ausgestreckte Hand) lachen, ihren vermeintlich großen Erfolg feiern und irgendwas von nationaler Solidarität und Parallelen zu Weimar salbadern. Sie haben jetzt einmal das geschafft, was Antifas seit Jahren ständig tun: in den Kiezen des politischen Gegners demonstrieren. Es wird sie bestärken Friedrichshain noch mehr in die Zange zu nehmen. Schon heute führt der Bezirk die Statistik rechter Gewalt an und es gibt Naziläden, aber dass offene Jagdszenen bei hellichtem Tag im Kiez möglich sind, das hätte ich nicht für möglich gehalten.

Der Verlauf der Nazidemo ist traurig für Friedrichshain und die Reste des alternativen und linksradikalen Selbstverständnisses im Bezirk. Wenn man dann noch von irgendwelchen Jung-Antifas beim Vorbeilaufen der Nazidemo „Ihr seid Schwuchtel“-Gegröle hören muss, dann tut mir das Herz weh. Für alle, die heute gegen die Nazis auf der Straße waren, war dieser Tag verdammt frustrierend. Das sollte nicht schöngeredet werden aus Propagandagründen oder weil man den Nazis nicht gönnt, dass sie sich darüber in ihren kleinen, miesen, menschenverachtenden Foren freuen können.

Und alle, die heute nicht auf der Straße waren, um diesem braunen Mob etwas entgegenzusetzen, müssen sich an den Kopf fassen. Sie sind es, die den Nazis den Weg freigemacht haben. Sie sind es, die mit ihrer Ignoranz und unpolitischen Selbstvergessenheit den Nazis neue Freiräume eröffnen. Gegen Nazis hilft nur eine schöne unübersichtliche, bunt-schwarze Mischung des Protests – vom SPDler bis zum Autonomen. Beim nächsten Mal dann hoffentlich wieder.

7 Kommentare

  1. Daniel says:

    Ob man das als Niederlage werten muss, wenn die Linke in Berlin mehr Leute mobilisieren kann als der Faschmob bundesweit zusammenkarren kann… Danke an alle, die da waren!

  2. John F. Nebel says:

    In absoluten Zahlen ist das vielleicht keine Niederlage, aber in Relation, was möglich war und auch heute noch möglich ist, auf jeden Fall. Mir geht´s auch nicht so sehr um die Niederlage, sondern einfach darum, dass wir den Nazis nicht jeden Raum geben sollten. Sonst gehen die irgendwann auch durch die Oranienstraße in Kreuzberg.

  3. verärgerter Hedonist says:

    Ihr könnt nicht überall rummotzen, auch wenn es berechtigt und verständlich ist, dass zu wenig Leute heute auf der Gegendemonstration präsent waren gegenüber den Aufmarsch der Nazis, und man findet hier zuvor z.B. keine einzige Zeile, geschweige einen Aufruf zur Gegendemo.

  4. John F. Nebel says:

    Stimmt, auf metronaut gab es auch keinen aufruf. Vielleicht haben sich auch alle darauf verlassen, dass schon genug kommen. So wie wir hier zum Beispiel.

  5. Klassenbester says:

    Vielleicht mal in Zukunft weniger Autos anzünden, dann kommen auch bestimmt wieder ein paar mehr….

  6. Mit dieser Ausrede nicht zu Demonstrationen gegen Nazis zu kommen ist doch Bullshit. Das ist doch genauso als würdest Du Deinen Computer nicht benutzen, weil Computer auch von Idioten benutzt werden.

  7. Enrico Morricone says:

    Drei Gründe für das Desaster:
    1. Ein Großteil der organisierten autonomen Antifas Berlins hat in Leipzig gegen die nationalen Feierlichkeiten zur sogenannten „friedlichen Revolution“ demonstriert. Und das war auch richtig so.
    2. Die qualitative und quantitative Zunahme militanter, linksradikaler Aktionen hat im Zusammenhang mit der damit einhergehenden medialen Kampagne zu einem Stimmungsumschwung in Berlin geführt. Viele Leute wollen eben nicht mehr mit den „Chaoten“ und „Hassbrennern“ demonstrieren – gerade aus den Parteien. Es wäre zu hoffen, dass sich das entweder ändert oder antifaschistische Gruppen wieder zu alter Stärke zurückfinden, damit sie solche Aufmärsche aus eigener Kraft verhindern können.
    3. Es gab bereits eine größere Nazidemonstration auf dieser Route. Die von der Polizeiführung gewählte Strecke ist sehr leicht zu kontrollieren und abzuriegeln, was Aktionen und Blockaden schwer macht. Das war auch vielen Antifas klar – und hat so sicher zur fehlenden Motivation beigetragen.

    Ich würde den letzten Samstag nicht unnötig dramatisieren. Eine Neonazidemonstration über die Frankfurter Allee oder durch die Oranienstraße ist auf absehbare Zeit nicht durchführbar. Und das immerhin ist auch gut so.

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