Pressekonferenz: Gewerkschaft ver.di gespalten beim Urheberrecht

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Bei der Pressekonferenz „Diebstahl geistigen Eigentums im Netz: 5 vor 12 für die Kreativwirtschaft“ gab die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di in ihrer Berliner Zentrale verschiedenen Lobbyorganisationen der Rechte- und Contentindustrie Raum zur Darstellung ihrer Positionen. Dies nutzten gleich verschiedene Vertreter (Dieter Gorny, Alexander Skipis, Jürgen Doetz), um die Gesetzeslage in Frankreich und England zu loben und ein 2- oder 3-Strikes-System auch für Deutschland zu fordern. Neue euphemistische Sprachregelung scheint hier die Forderung nach einen „Verwarnsystem“ oder „Warnmodell“ zu sein. Mit diesem sollten die Nutzer_innen über ihr Fehlverhalten „aufgeklärt“ werden, so Skipis vom Börsenverein des deutschen Buchhandels.

Den metaphorischen Tiefpunkt der Veranstaltung leistete sich Dieter Gorny von der Musikindustrie. Er verglich das Internet mit einem Buch, das ohne das Schaffen der Urheber (er meinte damit die Content-Industrie) nur weiße unbedruckte Seiten hätte. Nach dem Motto „Ohne uns, Internet leer“ ignorierte er die, gerade im nicht-kommerziellen Bereich, zunehmenden Qualitätsinhalte im Netz. Gorny forderte außerdem, dass man den “Leitmarkt der Creative Industries nicht auf dem Altar der digitalen Coolness opfern” dürfe.

Einhellig lehnte die Runde bis dahin auch die Kulturflatrate ab. Christiane von Wahlert von der Filmindustrie sah in der Flatrate „überhaupt keine Lösung“, weil sie ein Konstrukt von lauter Ungereimtheiten sei.

So weit, so vorhersehbar. Für ver.di saß überraschenderweise nicht mehr der angekündigte stellvertretende Vorsitzende Frank Wernecke in der Runde, sondern Heinrich Bleicher-Nagelsmann. Er hatte schon im Vorfeld sein Statement austeilen lassen und verlas dieses zum Abschluss der einseitigen Runde, von der außer repressiven Maßnahmen, keine innovativen Denkanstöße für ein zukunftsfähiges Urheberrecht zu erwarten waren.

Er betonte, dass die Pressekonferenz „aus dem gemeinsamen Auftreten der Gewerkschafts- und Arbeitgeberverbände im Sozialen Dialog auf europäischer Ebene“ resultiere. Und dann wurde hin- und herlaviert: einerseits sagte Bleicher-Nagelsmann, dass ver.di mit aller Entschiedenheit für Kommunikations- und Meinungsfreiheit im digitalen Bereich eintrete, die Vorratsdatenspeicherung und Elena ablehne. Doch schon im nächsten Satz hieß es dann, es sei ein Anliegen, dass der Datenschutz „in angemessener Form“ gewährleistet werde. Das lässt Spielraum für Interpretationen. Es gehe es „darum, geeignete Rahmenbedingungen zu schaffen, die die Rechte der Urheberinnen und Urheber zu stärken“. Dann wieder betonte er, dass ver.di Netzsperren ablehne, weil sie Zensur beförderten. Und dass schon heute Richter auf Grundlage der bestehenden Rechtsgrundlage wirkungsvolle Maßnahmen ergreifen könnten. Bei der vorgestellten Tera-Studie kritisierte er die Methodik und sah Überprüfungs- und Korrekturbedarf. Dennoch müssten die Zahlen (in der Studie wird das Horrorszenario von 1,2 Millionen verlorenen Arbeitsplätzen in der EU bis 2015 beschworen) nachdenklich stimmen.

Auf die Frage, ob ver.di sich von 2- oder 3 Strikes ablehne, antwortete Bleicher-Nagelsmann, dass ver.di beides ablehne. Des weiteren sei die heutige Pressekonferenz kein Auftakt eines Bündnisses:

„Wir haben darüber diskutiert, ob es eine gemeinsame Position geben kann, die wir hier präsentieren können. Wir haben festgestellt: es gibt diese nicht. Deswegen gibt es auch kein Bündnis.“

Ver.di musste sich aus dem gut gefüllten Raum auch Fragen gefallen lassen, warum man weder Vertreter_innen von gegensätzlichen Positionen eingeladen habe, noch innovative Ansätze für ein zukunftsfähiges Urheberrecht entwickeln wolle. Genauso wurde auch kritisiert, dass mit der Tera-Studie eine Studie präsentiert wurde, die nur den gesellschaftlichen Schaden analysiere, nicht aber die positiven Seiten der digitalen Entwicklung, die auch Jobs schaffe.

Bei ver.di selbst scheint die Pressekonferenz für einigen Streit zu sorgen. Vertreter_innen der Deutschen Journalisten Union (dju) verteilten eigene Statements, in der sie bürgerrechtliche Positionen vertraten, leider aber Zensursula, Netzsperren und 3-Strikes in einen Topf warfen und gerade letzteres nicht explizit nannten, wohl aber mit den anderen Begriffen meinten. (Danke an Digitale Linke für den Scan als PDF) Die dju betonte, dass es sich bei der Pressekonferenz um einen Alleingang handele, der keinen Rückhalt in der Gewerkschaft habe. Das ist angesichts der durchaus vorhandenen Fraktion der Urheberrechts-Hardliner bei ver.di noch zu bezweifeln.

Mein Fazit: ver.di hat sich mit dieser Pressekonferenz vor der Karren der Rechteindustrie spannen lassen. Denn die genoss es sichtlich, den Eindruck zu erwecken, dass man auch mit der Gewerkschaft ähnliche Positionen habe. Da half das Zurückrudern ver.di auch nicht mehr. Wer im eigenen Haus beratungsresistente Scharfmacher wie Gorny oder Skipis auftreten lässt, bietet diesen den Raum so zu tun als verträten sie die Interessen der gesamten Gesellschaft. Ein Lichtstreif bleibt: es gibt kein Bündnis mit der Rechteindustrie und ver.di wird wohl in Zukunft vorsichtiger agieren, wenn es um das Urheberrecht geht.

Zu meinem Austritt:
Mir persönlich war diese Pressekonferenz zuwider. Auch wenn mir mehrfach gesagt wurde, dass ein Gewerkschaftsaustritt nichts bringe, mache ich mich jetzt auf die Suche nach einer Vertretung, der solche Fehltritte nicht passieren.

10 Kommentare

  1. John F. Nebel says:

    Ich habe noch ein kleines Transkript von Gornys Aussagen hier. Köstlich:

    Gorny: Wir rutschen in der Debatte schon wieder auf eine Seite, was darf und soll der Nutzer? […] Es fehlen bisher überzeugende Argumente, die macht im Moment keiner, außer dass man versucht klarzumachen, dass in Zukunft die Schwarmintelligenz unsere Gesellschaft bestimmt und nicht mehr die individuelle Kraft des Einzelnen und der Kreativität. Das finde ich allerdings, und wenn sie mal sehen, was [unverständliche Passage] gerade deutlich macht, gefährlich für eine demokratische Gesellschaft – Stichwort digitaler Maoismus – das heißt dieses Netz kann viel viel mehr als, ich glaube, nur Urheberrecht wahrnehmen oder Urheberrechte verletzen. Und wenn wir uns nicht darüber nicht konzentrieren oder darüber in Dialog treten, auch strittig. Dann werden wir gerade hier in Europa verlieren. Und deswegen finde ich jeden Anlass wichtig und ich finde nur die Einseitigkeit der Debatte ganz schwierig und deswegen finde ich es auch wichtig, wenn gesagt wird, wir müssen die Verbraucher schützen, das Netz muss frei sein, aber die Urheberrechte müssen doch durchgesetzt werden, dass dann auch Antworten von diesenjenigen kommen, die das fordern, wie man das dann auch machen soll. Und nicht nur ein Postulat, wie man es machen könnte oder sollte.

  2. Tharben says:

    Danke für den ausführlichen Bericht. Für mich ist ver.di damit ebenfalls gestorben.

  3. Volker says:

    1. Das Internet hat schon Inhalte gehabt, als die Content-Industrie noch mit Bleibuchstaben gespielt hat.
    2. Sollte eine Gewerkschaft eigentlich wissen, dass Grundrechte nicht Gegenstand von ökonomischen Prozessen werden sollten (War das nicht einer der Grunde, warum sie entstanden sind?)
    3. Mir ist irgendwie schlecht…

  4. hest says:

    Siehe hierzu auch Artikel auf freitag.de:
    http://www.freitag.de/politik/1016-fragwuerdige-offensive

  5. Dem Austritt aus ver.di kann ich nur zustimmen. Ich habe diesen Schritt bereits im vergangenen Dezember vollzogen, nicht nur wegen der Rückständigkeit der Gewerkschaft, sondern wegen tiefgreifender Korruption, Ämterkauf und aktiver Beschädigung des eigenen Verbandes durch Vorstandsvertreter im VS NRW. Dort ist ein gewählter Schriftführer unmittelbar nach der Wahl – ohne Vertrag, durch Vorstandsbeschluss, an dem er selber mitwirkt – „Geschäftsführer“, behält das Ehrenamt bei, führt die (in einem VS-Förderverein, wo er ebenfalls Schriftgeschöäftsführer ist) VS-Kasse und zahlt sich ein Honorar für die VS-Tätigkeit. Seine Lebensgefährtin erhält den Auftrag, Internetauftritt und Corporate Design des VS NRW zu gestalten. Der Schriftgeschäftsführer ist sein eigener Arbeitgeber, sein eigenes Lohnbüro und sein Zahlmeister, Auftraggeber und Zahlmeister seiner Lebensgefährtin. Das alles mit Wissen und Billigung des Fachbereichsvorsitzenden und des Herrn Bleicher-Nagelsmann. Dessen Ausführungen im abgelesenen Statement sind übrigens unwahr: „Ein positives Beispiel aus der Vergangenheit ist das gemeinsame Auftreten des Schriftstellerverbandes VS in ver.di und des Börsenvereins des deutschen Buchhandels im Verbund mit der VG Wort bezüglich des Google Book Settlements. Gemeinsam konnte ausreichend Öffentlichkeit erzielt und Druck auf die Politik ausgeübt werden, um diese zum Handeln zu zwingen. Den Urheberrechtsverletzungen durch Google konnten im Interesse der deutschen Autorinnen und Autoren Schranken gesetzt werden.“ In Wahrheit hatte wesentlich früher, am 22. März 2009, der „Heidelberger Appel“ die Urheber alarmiert, und auf diesen, als offener Brief an die Kanzlerin gerichteten Appell, reagierte die Politik. Verdi ist ein unbeweglich einbetonierter Tanker. Selbst gewählten ehrenamtlichen Fachgruppenvorsitzenden und regionalen Ausschüssen wird das Recht abgesprochen, Presseerklärungen zu verfassen und über ver.di zu verbreiten. Und wie man beim Schriftstellerverband mit abweichenden Meinungen umgeht, mag man hier nachlasen: http://www.lesefrucht.de/WILLI_VOGT.pdf – die Konsequenz der hier aufgedeckten Vorgänge war, dass der Verfasser aus kulturpolitischen Gremien, in die er gewählt worden war, umstandslos entfernt, andere nichtgewählte Vertreter entsandt und ein verdi-NRW-eigenes Kulturpolitikgremium aufgelöst wurde. Wer die Grundrechte, die Demokratie und die Wahrheit liebt, sollte ver.di meiden.

  6. Lieber Nikolaus Gatter,

    du sagtst: „Selbst gewählten ehrenamtlichen Fachgruppenvorsitzenden und regionalen Ausschüssen wird das Recht abgesprochen, Presseerklärungen zu verfassen und über ver.di zu verbreiten.“ Das halte ich für pure Legendenbildung. Denn wer sich sich dieses Recht absprechen lässt – von wem auch immer, dem ist nicht zu helfen. Ich bin Landesvorsitzender der dju Berlin-Brandenburg und möchte wirklich gerne wissen, wer unserem Landesvorstand dieses Recht absprechen könnte, selbst wenn er wollte? Wir jedenfalls sind an keinerlei Weisung gebunden, nur an unsere Satzung. So musste die ver.di-Bundesverwaltung die Kröte schlucken, dass der ehrenamtliche dju-Landesvorstand mit einer offiziellen ver.di-Pressemitteilung den Rücktritt des damaligen dju-Bundesvorsitzenden forderte, als der Chefredakteur der Westfälischen Rundschau wurde.

    Also: sprich nur für Dich und vielleicht für kleine Teile des VS, die sich die Butter vom Brot nehmen lassen.

  7. Dr. Nikolaus Gatter says:

    Lieber Matthias Gottwald,
    meinen Glückwunsch, wenn du als dju-Landesvorsitzender über den Bundesverteiler Presseerklärungen absetzen konntest. Ich habe erlebt, daß ein fachgruppen-übergreifender kulturpolitischer Ausschuss des Fachbereichs 8 (Kunst, Medien, Industrie) eine – im übrigen ganz harmlose und keineswegs gewerkschaftskritische – Stellungnahme abgab, die dann auf Eis gelegt wurde, weil der verdi-Vorstand in Berlin sich noch nicht zum Thema geäußert hatte. Solltest Du in einem der Bundesgremien dem Vrositzenden der Bildenden Künstler, Lorenz Mueller-Morenius treffen, kannst du ihn gern danach fragen. Im übrigen finde ich es schon sehr sonderbar, daß verdi eine Pressekonferenz zum Thema „Diebstahl geistigen Eigentums im Netz: 5 vor 12 für die Kreativwirtschaft“ anberaumt, und dabei ein Papier des hauptamtlichen Kollegen Bleicher-Nagelsmann – m. W. weder Schriftsteller, noch Künstler, noch Journalist – verlesen wird, während die dju anderslautende Stellungnahmen auf fotokopierten Flugblättern verteilen darf. Ich finde, daraus geht das Missverhältnis einer sich von der Basis der Kolleginnen und Kollegen immer mehr in luftige Höhen abhebenden Raumkapsel „verdi-Bundesvorstand“ bildhaft und deutlich genug hervor, so dass ich hier zwar auch von meinen Erfahrungen, aber nicht nur von mir sprechen darf. Mit bestem Gruß und dem Wunsch, dass du trotz ver.di immer Butter genug auf dem Brot behältst, Nikolaus Gatter

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