Der Eichmann-Prozess war schon gut irgendwie, aber das mit der Banalität des Bösen hätte nicht sein müssen

In ihrer Standardversion geht die Eichmann-Story in etwa so: Fieser Obernazi organisiert die Deportation von Millionen europäischer Juden in Vernichtungslager, haut nach dem Krieg nach Lateinamerika ab, dort hat er erstmal Ruhe, weil die Deutschen ihre Vergangenheit verdrängen und sich deshalb für Nazi-Emigranten wie ihn nicht interessieren, zum Glück wird er dann aber vom Mossad aufgespürt, nach Jerusalem verfrachtet und zum Tode verurteilt, was nicht nur für die Israelis super war, sondern auch für die Deutschen, weil denen der Eichmann-Prozess unter die Nase rieb, dass das mit der Verdrängung nicht so weiter gehen konnte, von jetzt an war Aufarbeitung angesagt, ganz langsam und oberflächlich zuerst, dann immer schneller und gründlicher, heute gibt es für die ermordeten Juden ein fußballfeldgroßes Mahnmal und im Fernsehen lief gestern ein Dokudrama über „Eichmanns Ende“, das sogar anprangert, welch „schwieriges Unterfangen“ die strafrechtliche Verfolgung ehemaliger Nazis war „in dem Land, in dem viele Täter schon wieder im Staatsdienst arbeiten“, Halleluja.

Es ist sicher nicht alles falsch an dieser Erfolgsgeschichte. Einiges aber schon.

Getrost bezweifelt werden kann zum Beispiel, dass der Eichmann-Prozess die ‚Vergangenheitsbewältigung‘ vorangebracht hat. Natürlich hat er dazu geführt, dass man in der westdeutschen Öffentlichkeit über den Völkermord an den Juden diskutierte. Allerdings war die Arte und Weise, wie darüber diskutiert wurde, wenig geeignet, die im ‚Dritten Reich‘ begangenen Menschheitsverbrechen zu verstehen. Im Gegenteil. Ging doch sogar Hannah Arendt diesem hornbebrillten Spießbürger auf den Leim, der da so ungeniert und stoisch von Pflichterfüllung und Fachverstand schwadronierte, dass der Deutschen liebste Rechtfertigungsfigur erstmals nicht mehr nur von ihnen selbst geglaubt wurde.

Ende der vierziger Jahre noch, als Arendt an ihrem Buch über ‚Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft‘ arbeitete, war sie ganz selbstverständlich davon ausgegangen, dass die „recht umfangreiche Memoralienliteratur“, die „von ehemaligen Nazigenerälen und hohen Funktionären in die Welt gesetzt wurde“, für die wissenschaftliche Forschung vollkommen unbrauchbar war. Und zwar ausdrücklich nicht, weil „sich Verteidigungsschriften dieser Art nicht gerade durch Ehrlichkeit auszeichnen“. Sowas verstehe sich „von selbst, und sollte uns nicht davon abhalten, sie zu berücksichtigen.“ Viel ärgerlicher sei, dass „diese Erinnerungen ein so frappantes Unverständnis für die tatsächlichen Ereignisse und die Rollen“ offenbarten, „die die Verfasser selbst in ihrem Verlauf gespielt haben, dass sie sich selbst disqualifizieren und allenfalls noch ein gewisses psychologisches Interesse beanspruchen können.“1

Dass Arendt in Jerusalem weit hinter diese Einsicht zurückfiel und ihr Essay über die ‚Banalität des Bösen‘ zu einem internationalen Bestseller wurde, hatte leider nicht nur für die Geschichtsschreibung verheerende Folgen, die jahrzehntelang den falschen Fährten hinterhertappte, die Eichmann in seiner Glasbox ausgelegt hatte. Was 1945 niemand bezweifelt hätte, stand auf einmal als ernstgemeinte Frage im Raum: ‚War Eichmann Antisemit?‚ Der Herr Obersturmbannführer selbst konnte von soviel Blödheit zwar nicht mehr profitieren, seine Volksgenossen aber sehr wohl – egal ob sie in Lateinamerika für Daimler und Diktatoren arbeiteten (nach den angeblich 50.000 anderen Eichmännern dort krähte kein Hahn mehr), oder als Manager, Richter, Staatsanwalt und Ministerialbeamter das westdeutsche Wirtschaftswunder verwalteten.

Für all diese Leute war der Eichmann-Prozess nicht der Beginn einer unangenehmen Aufarbeitungsphase, sondern ein willkommener Schlussstrich, der den Bullshit, den sie seit 1945 vom Stapel ließen, gratis in die Welt hinausposaunte.

14. Auflage, Pieper, 1995, S. 480.

5 Kommentare

  1. daneil says:

    I dont see your point. Soll das ne Rezension zum Film sein? Warum hat der Prozess nicht die Vergangenheitsbewältigung vorangebracht? Was spricht gegen die These von der Banalität des Bösen? Was ist deine These, was deine Argumente, wo soll das Ziel des Artikels sein?!

  2. nike says:

    Nein, keine Rezension, nur ein Kommentar zur dominierenden Deutung der Eichmann-Story. Das schlechte an der These von der Banalität des Bösen ist, dass sie nicht stimmt. Eichmann war wie die meisten seiner Kollegen ganz einfach Antisemit und hat nicht als banaler Beamter gehandelt, sondern als Überzeugungstäter. So wie du aus Überzeugung deinen Nazi-Nachbarn scheiße findest oder nicht zu McDonald’s gehst. Eigentlich ziemlich einleuchtend. Nur blöd, dass nach dem Prozess alle Welt dachte, dass die Dinge vielleicht doch komplizierter ligen. Das hat dann der Vergangenheitsbewältigung eher geschadet als genützt.

  3. daniel says:

    ja, aber woher nimmst du die überzeugung, dass eichmann überzeugungstäter war? wo sind die quellen, auf was berufst du dich?

  4. nike says:

    Sorry, da hast du recht, das war wirklich nicht sehr deutlich. Dass Eichmann selbst Überzeugungstäter war, zeigt das Video, das oben bei ‚War Eichmann Antisemit?‘ verlinkt ist: http://www.youtube.com/watch?v=VwoS1WN8MKM&feature=related

    Davon, das die meisten seiner Kollegen es auch waren, ging Arendt wie gesagt in ihrer 1951 erschienenen Studie über ‚Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft‘ aus. Richtig belegt wurde derlei dann in der sog. Täterforschung, die erst in den neunziger Jahren so richtig in Fahrt kam, also drei Jahrzehnte nach dem Eichmann-Prozess (vgl. bspw. Michael Wildt, Generation des Unbedingten, 2008). In den Jahren zuvor beschäftigte sich die Forschung meist nicht mit konkreten Schreibtischtätern und ihren Motiven (die hielt man ja für austauschbar im Grunde genommen), sondern mit anonymen Strukturen und rätselhaften Dynamiken. Man musste ja dieser verzwackten Banalität des Bösen auf die Schliche kommen.

    Das ist jetzt natürlich sehr vereinfacht ausgedrückt und Arendts These war viel komplexer gemeint als von mir hier dargstellt, aber gelesen wurde sie doch in etwa so wie beschrieben – allem voran in der Bundesrepublik natürlich, wo deshalb Dutzende von Eichmanns Kollegen aus dem Reichssicherheitshauptamt straffrei ausgehen konnten. Rein aus Versehen, versteht sich: http://tinyurl.com/3yhz6y4

  5. daniel says:

    hi,

    nachdem ich die sache mir mal angeschaut habe, gebe ich dir teilweise recht. möglicherweise unterschätzt arendt den effekt der überzeugung von der nationalsozialistischen idee auf die motivation eichmanns.

    ich habe arendts banalitätshypothese immer als contra punkt zu den nürnberger prozessen gesehen, die versucht haben die angeklagten als dämonen/one-in-a-billion monster darzustellen. stattdessen ging es arendt, mE., darum aufzuzeigen, dass das böse eben nicht zufällig auftaucht (und die ausnahme ist), sondern ganz banal im menschen angelegt ist und unter den richtigen umständen in bspw. der eichmann’schen ausdrucksformen erscheint.

    vg

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