Warum die Lufthansa lieber keinen Widerstandskämpfer als Chef haben wollte

Arte zeigt heute Abend eine Dokumentation über „Die verdrängte Geschichte der Deutschen Lufthansa“. Sie wird unter anderem daran erinnern, dass deren von 1926 bis 1945 existierende Vorgängerin nicht nur den wahlkämpfenden Adolf Hitler durch die Gegend flog (umsonst, versteht sich), sondern auch jüdische und osteuropäische Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter einsetzte (ebd.). Im Konzern heißt es bis heute, man habe mit dieser traurigen Vorgeschichte nichts zu tun, weil man ja erst 1955 wieder das Licht der Welt erblickt habe. Ein lustiges Argument, das man sich bei der Bundeswehr merken sollte, deren saubere Vorgängerin ja ebenfalls 1945 als verbrecherische Organisation zerschlagen und erst ein Jahrzehnt später mit leicht veränderter Besetzung neu konstituiert worden war.

Wie weit die personalpolitische Renazifizierung des Konzerns schon vor seiner offiziellen Neugründung fortgeschritten war, verdeutlicht die erfolglose Bewerbung von Otto John um den ersten Präsidentenposten. John hatte in den dreißiger Jahren als Syndikus für das Unternehmen gearbeitet, musste jedoch 1944 als einer der Mitverschwörer des ’20. Juli‘ nach England fliehen, wo er unter anderem beim ‚Soldatensender Calais‘ tätig war. Was sich im Jahr 1945 nach einem 1a-Lebenslauf angehört hatte, galt jedoch schon Mitte der fünfziger Jahre als peinliches No-go. Die „Lufthansa-Leute hatten es schon durchblicken lassen“, schrieb der Spiegel am 28. Juli 1954 nicht ohne Schadenfreude: „Sie wollten einen Mann mit der Vergangenheit Otto Johns nicht.“ Der Artikel erschien eine Woche nach den Feierlichkeiten zum zehnjährigen Jubiläum des Hitler-Attentates, nach dessen Scheitern auch Otto Johns Bruder von der Gestapo ermordet worden war.

Dass John stattdessen zum ersten Präsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutz berufen wurde, hatte er dann einzig und allein dem Drängen der Alliierten zu verdanken, die beim Inlandsgeheimdienst natürlich etwas genauer hinsahen als bei der privaten Luftfahrt. Unmittelbar nach der Gedenkfeier im Bendlerblock (wo er zu jenen Hinterbliebenen zählte, deren Tränen den damals ebenfalls anwesenden Gedenkredner vom 20. Juli 2010, Fritz Stern, „zutiefst betroffen“ machten), ging John in die DDR, um von dort aus vor der schleichenden Renazifizierung seiner eigenen Behörde zu warnen. Im Westen hörte ihm ja keiner zu. Aber das ist eine andere Geschichte.

Update: Die Doku war sehenswert, obwohl gleich zu Beginn und offenbar allen Ernstes von der „Kollaboration“ des Unternehmens mit dem „Nazi-Regime“ die Rede war, ganz so als sei das ‚Dritte Reich‘ ein von der NSDAP besetztes Land gewesen und kein von großen Teilen der Bevölkerung begeistert mitgetragenes Kollektivprojekt. Die Otto-John-Geschichte kam nicht vor. Man erfuhr nur, dass 1955 mit Kurt Weigelt ein Arschloch den Posten des Lufthansa-Chefs übernahm, dem es zeitlebens erfolgreich gelang, seine SS-Fördermitgliedschaft zu verheimlichen.

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