Fuck you, verfleißigte Vollkaskogesellschaft!


Der Politik fällt ja schon lange nichts mehr ein. Außer Verboten. Jeden Tag aufs Neue, muss man von Gesetzen lesen, die die Freiheit der Menschen einschränken. Schritt für Schritt befinden wir uns auf dem Weg dahin, entmündigte Volltrottel zu werden, die permanent „vor sich selbst geschützt“ werden und dabei möglichst mehr Arbeitsleistung erbringen sollen.

Nach Gurtpflicht und Handy-am-Steuer-Verbot, beides ja irgendwie noch nachvollziehbar, wurde das Rauchen in den meisten Bundesländern aus öffentlichen geschlossenen Räumen komplett verdrängt. Schon 2005 kamen Forderungen findiger Politiker auf, dass auch das Rauchen am Steuer verboten werden sollte. Wer auf die Straße schaut, sieht heute jeden Dritten mit Fahrradhelm und Neonweste rumfahren. Die Kriminalität sinkt und doch werden ständig Gesetze verschärft. Überall sollen wir auf den rechten weg gebracht werden.

Nun also soll der Alkohol ins Visier der Gesundheitsmafia geraten, schreibt die FAZ. Und dieser Prozess sei nicht aufzuhalten, meint der Autor prophetisch.

Angefangen hat die Alkohol-Verbieterei mit städtischen Verordnungen. Besonders hervorgetan hat sich hier die Stadt Freiburg, die im Innenstadtbereich das Trinken von Alkohol verbieten ließ. Mit massiver Polizeipräsenz wurden die Trinkenden von ihrem Tun abgehalten. Und am Ende verkaufte Freiburg das Alkoholverbot als Erfolg: die Gewalt sei zurückgegangen. Bleibt die Frage offen, ob das nicht mit den an jeder Ecke patroullierenden Polizisten zu tun hat, und weniger mit dem Alkohol. Der dann übrigens woanders getrunken wird.

Ich will hier gar nicht die Gefahr des Alkohols kleinreden. Alkoholismus ist eine fiese Krankheit, die Menschen und ihre Beziehungen zu anderen Menschen ruiniert. Aber darum darf es letztlich nicht gehen, weil sich mit dieser Argumentation praktisch alles verbieten ließe:

Nehmen wir mal ein anderes, aber sehr passendes Beispiel: Arbeit. Arbeit ist ein Vorgang, der viele Menschen physisch und psychisch schädigt. Ob der Bauarbeiter einen Bandscheibenvorfall bekommt oder ein Lehrer die Depression – arbeitsbedingte Krankheiten und Schäden gehören zum Alltag dieser Gesellschaft. Vermutlich gehen mehr Leute an ihr zugrunde als durch Alkoholkonsum. Aber niemand käme auf die Idee, Arbeit zu verbieten.

Was ja auch klar ist. Die Maßnahmen für mehr Gesundheit, Alkoholverbot, Rauchverbot oder der Nationale Aktionsplan IN-FORM, sind alle darauf ausgerichtet, dass wir fitter für die Arbeit sind, mehr – und mit Hinblick auf die Erhöhung des Rentenalters – länger Leistung bringen können. Es geht schon lange nicht mehr um die religiöse Verurteilung von Genuss. Die Beinträchtigung der Leistungsfähigkeit ist die neue Sünde.

In der Anti-Alkohol-Strategie der EU wird explizit betont, dass Alkohol die Arbeitsleistung mindere. Alkohol habe „negative Auswirkungen auf die Produktivität (beispielsweise durch Arbeitsunfähigkeit)“. Die EU-Kampagnen sollen die Menschen für die schädliche Wirkung des Alkohols auf die Arbeitsfähigkeit sensibilisieren.

Dem Nationalen Aktionsplan „In Form“, in dem es um Bewegung und Ernährung geht, wird vorangestellt:

Mit dem Nationalen Aktionsplan will die Bundesregierung erreichen, dass Kinder gesünder aufwachsen, Erwachsene gesünder leben und dass alle von einer höheren Lebensqualität und einer gesteigerten Leistungsfähigkeit profitieren.

Auch hier ist einer der Hauptgründe die Arbeits- und Leistungsfähigkeit – und das Wort „profitieren“ steht ja auch nicht umsonst da. Denn darum geht es, wenn Gesundheit mit Verboten und Repressalien erzwungen werden soll. Darum geht es, wenn Arbeitgeber anfangen, Menschen vor der Einstellung zum Drogentest zu schicken. Das Abweichen von der Norm der ständig abrufbaren Leistungsfähigkeit soll nicht mehr geduldet werden. Es fängt an mit Werbeverboten und endet in der sozialen Ächtung des sanktionierten Handelns.

Hier werden die staatlichen (und privaten) Eingriffe immer mehr zum Programm für eine „kapitalistische Volksgesundheit“. Im Unterschied zur Volksgesundheit des Dritten Reiches geht es zwar nicht mehr um Rassezüchten und besser mordende Gesundsoldaten, sondern eben um die Schaffung eines immer leistungsbereiten, fleißigen, produktiven Menschentypus. Und dies lässt in letzter Konsequenz keinen Spielraum für Ausschweifung und Genusserfahrungen jenseits der vorgegebenen Unterhaltungsmuster des „Good Clean Fun“. In einer solchen Gesellschaft, mit all ihren punitiven Ausprägungen und Ungesundheits-Repression, ist kein Platz für die selbstbestimmte Schädigung des eigenen Körpers. Kein Platz für die freie Entscheidung, etwas gesundheitlich Unvernünftiges zu tun. Hier wird uns unter dem Deckmantel der Gesundheitsvorsorge die Verfügungsgewalt über unseren eigenen Körper genommen.

Interessanterweise geht diese Entwicklung mit einem immer schlechter werdenden Gesundheitssystem einher. Weniger Leistungen bei höheren Kassenbeiträgen, aber der Joint bleibt aus, die Flasche bleibt zu, die Bullette darf kein Fett enthalten. Und nach dem Essen Zähneputzen und Joggen nicht vergessen.

Ich will in so einer Gesellschaft nicht leben. Denn diese Ideologie ist paradox. Einerseits sollen wir für uns vollkommen selbst verantwortlich sein – und auf der anderen Seite werden uns zunehmend Dinge verboten. Das hat mit Selbstbestimmung und Selbstverantwortung wenig zu tun. Während wir unsern eigenen Körper betreffend eine angebliche Verantwortung gegenüber Wirtschaft und Gesellschaft haben sollen, nämlich Produktivität und Leistungsfähigkeit durch Gesundheit, sehen sich eben jene uns gegenüber gar nicht in der Pflicht. Das zeigt nicht nur der Abbau des Sozialstaates der letzten Jahre, sondern auch eine stets geförderte Unkultur des Gegeneinanders und der Konkurrenz.

Schöne neue Welt: In Zukunft mache ich mich strafbar, wenn ich innerhalb von Kneipen rauche und außerhalb von ihnen Alkohol trinke.
Aber, wenn ich krank bin, dann soll ich Kombipräparate schlucken, die meine Krankheit übertünchen und meine Arbeitsfähigkeit vorrübergehend wiederherstellen. Kein Bier mehr also beim Sonnenuntergang im Park, aber zugepumpt und leistungsfähig auf der Arbeit. Und am Wochenende die verschleppte Krankheit auskurieren.

Mir fällt dazu nicht mehr ein als: Verfleißigte Vollkaskogesellschaft. Kapitalistische Kackscheisse.

Foto: CC-BY-NC-SA Vicky & Chuck Rogers

2 Kommentare

  1. O. says:

    Verboten, ich denke das ist das deutscheste Wort was es gibt. Einfacher wäre es alles zu verbieten und Erlaubnisschilder auf zustellen.

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