Nokia feiert die Freiheit. Und bringt iranische Aktivisten in den Knast.

Da gibt es einen Konzern, der sein Geld damit verdient, an Regierungen Technologie zur Überwachung ihrer Bürger zu verkaufen.
Da gibt es eine Bürgerbewegung, die sich über das Internet vernetzt, um diesen Konzern in seine Schranken zu weisen.
Das Problem ist: Der Konzern existiert nicht. Und die Bürgerbewegung ist nur eine Marketing-Inszenierung. Inszeniert von einem anderen, sehr realen Konzern, der wiederum Überwachungstechnologie an totalitäre Regimes verkauft.

Schon verwirrt? Also der Reihe nach:

Im Frühjahr startete eine virale Kampagne, die es bis auf Netzpolitik schaffte. In einem Video preist ein Sprecher des fiktiven Konzerns BlackwellBriggs Regierungsvertretern seine Überwachungstechnologie an, mit der gegen allerlei Bedrohungen vorgegangen werden könne, die durch die subversive Aneignung von Kommunikationstools durch terroristische Bewegungen entstünden.

Zeitgleich wird die Plattform Conspiracy for Good gelauncht, auf der sich Aktivisten gegen den fiktiven Konzern vernetzen. Man selbst kann sich einloggen und mitmachen, indem man versteckten Hinweisen im Netz nachgeht und mit dem Smartphone im realen Raum kleine Aufgaben und Rätsel löst, um die Story voranzubringen.

Das Ganze soll eine neue Form interaktiven Storytellings sein, die von Tim Kring kreiert wurde, dem Erfinder der TV-Serie „Heroes“. Er nennt das „social benefit storytelling“, weil die zu lösenden Aufgaben auch an Hilfsprojekte in der realen Welt gekoppelt sind.

Das ist eigentlich alles ganz hübsch gemacht und passt wunderbar in das neue Marketing-Paradigma, dem Konsumenten nicht mit lärmender Reklame auf die Nerven zu gehen, sondern ihn subtil zu involvieren und dabei auch noch das Gefühl zu geben, irgendetwas Gutes zu tun.

Deshalb verkauft Starbucks fairen Kaffee, schützt Krombacher den Regenwald und ist mittlerweile überhaupt jeder Laden, der etwas auf sich hält, mindestens grün, sozial und sowieso nachhaltig. Was selbstverständlich Bullshit ist, weil es an der Ursache der Probleme, die dieser moralische Kapitalismus zu lösen vorgibt, gar nichts ändert.

Nur haben wir hier einen besonders widerwärtigen Fall.

Denn bezahlt wird die Conspiracy for Good von Nokia, das damit seine Smartphones mit Ovi-Store bewerben will.

Nokia wiederum verkaufte mit seinem Joint Venture Nokia Siemens Networks im Jahr 2008 Monitoring-Technologie an den Iran, die es dem islamistischen Regime erlauben sollte, Mobilkommunikation abzuhören.

Während der Proteste gegen die gefälschte Wahl von Mahmud Ahmadinejad im vergangenen Jahr, die sich bekanntlich durch den massenhaften Einsatz von dezentralen Kommunikationstools wie Handys organisierten, wurden diese Überwachungstechniken dann auch vom iranischen Staat eifrig genutzt. Mit ziemlicher Sicherheit sind einige Aktivisten deswegen sogar in den Knast gegangen.

Im Iran wird Nokia seitdem boykottiert. Die iranische Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi hat dazu aufgerufen, keine Produkte von Nokia zu kaufen. Das EU-Parlament verurteilte die Vorfälle.

Und Nokia leugnet natürlich, irgendetwas Verwerfliches getan zu haben. In einem Statement vor dem Menschenrechtsausschuss des EU-Parlaments erzählt Nokia seine Version der Geschichte.

Demnach hätte Nokia Siemens Networks 2008 weitreichende Netzwerktechnologie an die zwei größten Mobiltelefonieanbieter in Iran verkauft, die beide halbstaatlich sind. Teil dieses Deals war die Fähigkeit zur Überwachung der Kommunikation (Lawful Interception), was ein weltweit verbreiteter Standard der ITU ist, aber eben auch ein Monitoring Center braucht, um sinnvoll funktionieren zu können.

Lawful Interception ermöglicht als eingebauter Standard das Abhören einzelner Teilnehmer von einer Watchlist. Das Monitoring Center ist das Administrationstool, mit dem das Abhören aktiv betrieben wird. Und es kann vom Endbenutzer, z.B. einer Behörde, so modifiziert werden, dass über die Watchlist hinaus auch weitreichende Überwachung möglich wird.

Ein Jahr nach der Lieferung beider Technologien an Iran stößt Nokia das Geschäft mit dem Monitoring Center an Trovicor ab. Weil die Zusammenarbeit mit Behörden nicht zu den Kernkompetenzen des Unternehmens gehöre, wie Nokia behauptet. Vielleicht aber auch weil man bei Nokia durch ein vorausschauendes Issue Management gemerkt hat, dass aus diesem Geschäft massive Image-Probleme für den Konzern entstehen können. Denn die Problematik des Missbrauchs gesteht Nokia in seinem Statement ein. Allerdings behauptet Nokia entschuldigend, bereits während des Geschäfts mit dem Iran im Prozess des Abstoßens des Monitoring Center gewesen zu sein.

Warum hat Nokia es dann überhaupt noch sehenden Auges an den Iran verkauft?

War hier die Einhaltung vertraglicher Pflichten wichtiger als der Schutz der Menschenrechte – und von Menschenleben?

Offensichtlich.

Denn dass die beiden Geschäftspartner von Nokia, Irancell und MCI, eng mit dem repressiven Staat verflochten sind, muss bekannt gewesen sein. Ebenso, dass die Regierung schon 2007, also ein Jahr vor der Lieferung des Monitoring Center, das Versenden von SMS während der Benzinpreis-Proteste in ganz Teheran lahmgelegt hatte. Davon auszugehen, dass das Monitoring Center nicht zur größtmöglichen Repression eingesetzt wird, wäre bestenfalls kriminell naiv. Realistischer ist wohl, dass Nokia diese Gefahr für die Iraner einfach weniger wichtig war, als den viertgrößten Telko-Markt der Region zu bedienen.

Nokia behauptet, es gäbe zwei Arten von Überwachung: Gute und schlechte, abhängig von Rechtstaat oder Unrechtsstaat. Doch erstens war Iran schon ein Unrechtsstaat, lange bevor Nokia den Vertrag zur Lieferung von Überwachungstechnologie unterschrieben hat. Und zweitens gibt selbst Nokia zu, dass ein Staat jederzeit in Richtung Unrecht kippen kann:

There is an additional conflict rooted in the fact that the human rights environment that exists in any particular country can change dramatically during the lifespan of the networks we provide. We are always at risk of finding that we have deployed technology that seemed appropriate for use by one government only to find it misused by the next.

Für mich ist das keine Entschuldigung, sondern nur ein weiteres Argument gegen die Ausweitung staatlicher Überwachung, egal wo. Und wer Technologie dafür liefert, macht sich schuldig.

Um es ganz klar zu machen:

Nokia inszeniert einen fiktiven Konzern, der fiktive Überwachungstechnologien an fiktive Regierungen vertickt. Auf den soll die junge, urbane, internetaffine Zielgruppe von Nokia virtuell einprügeln, um das Gefühl zu simulieren, etwas für die Freiheit getan zu haben. Und dann gefälligst Smartphones kaufen.

Dabei verdiente Nokia selbst viel Geld mit dem Verkauf von echter Überwachungstechnologie, mit der ein echtes totalitäres Regime junge, urbane, internetaffine Menschen blutig unterdrückt, die für ein bißchen mehr Freiheit kämpfen.

Tim Kring, der sich diesen zynischen Schwachsinn ausgedacht hat, sagt dazu:

By showcasing a fictional, evil corporation, we also celebrate, by contrast, the admirable, real world companies that really do exist in the marketplace today.

Wer auch immer diese bewundernswerten Firmen seien sollen: Nokia gehört nicht dazu.

4 Kommentare

  1. John F. Nebel says:

    Ich frage mich, ob diese Werbeaktion vor den Vorkommnissen im Iran geplant wurden. Und bevor Nokia Siemens Networks in die Schlagzeilen geriet. Sonst hätten sie sich ja denken können, dass das kommunikatorisch schief geht.

  2. Ari Bey says:

    Ich glaube da redet die Consumer Electronics Sparte einfach nicht mit der B2B Sparte. Auch noch ein interessantes Detail: http://www.heise.de/newsticker/meldung/Nokia-drueckt-ueberwachungsrechte-fuer-E-Mails-durch-204191.html

  3. Sonja Schacht says:

    ehrlich gesagt, ist der eintrag eine äußerst enttäuschende analyse.

    „Für mich ist das keine Entschuldigung, sondern nur ein weiteres Argument gegen die Ausweitung staatlicher Überwachung, egal wo. Und wer Technologie dafür liefert, macht sich schuldig.“

    „Nokia behauptet, es gäbe zwei Arten von Überwachung: Gute und schlechte, abhängig von Rechtstaat oder Unrechtsstaat. Doch erstens war Iran schon ein Unrechtsstaat, lange bevor Nokia den Vertrag zur Lieferung von Überwachungstechnologie unterschrieben hat. Und zweitens gibt selbst Nokia zu, dass ein Staat jederzeit in Richtung Unrecht kippen kann:“

    naja, mal ehrlich, das ist derart schwach, dass mich die zeit ärgert, die ich zum lesen aufgewendet habe. auf eins gedacht und „analysiert“, gleiche abstraktionshöhe, keine darlegung der denkstrukturen. das könnt ihr doch besser, oder?

Antwort auf Ari Bey Cancel Reply