Geheim soll es sein – Über den Umgang von Medien und Macht mit Wikileaks

Im Kern mache die Verschwiegenheit die Diplomatie aus, schreibt die Welt. Da ist sicherlich etwas dran – doch warum sollte ich eigentlich als Normalbürger die Geheimnisse nicht erfahren, wenn die Geheimnisträger zu blöd sind, diese für sich zu behalten?

Der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir sagte letztens tatsächlich dem ZDF, dass Wikileaks mit der Veröffentlichung geheimer diplomatischer Dokumente eine Grenze überschritten habe, die unserer Demokratie insgesamt nicht gut tue.

Ins selbe Horn bläst auch NZZ-Kommentator Andreas Rüesch:

Nach der Wikileaks-Ideologie der totalen Informationsfreiheit ist es ein Dienst an der Demokratie, wenn man den Bürgern ungehinderten Zugang zu den Geheimnissen des Staates verschafft. Gerade die Diplomatie ist jedoch eine Sphäre, wo der Staat ein legitimes Interesse daran hat, nicht alles im Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit ausbreiten zu müssen.

Weil die ungefilterten Depeschen der US-Botschaften bald für die ganze Welt lesbar sind, hat sich die amerikanische Diplomatie schon vor der Veröffentlichung daran gemacht, alle Staaten auf eine Sprachregelung festzulegen. Die ist einfach: die Inhalte runterspielen, Kontinuität betonen, Wikileaks verurteilen. Die Reaktionen von Erdogan bis Berlusconi sprechen eine eindeutige Sprache, diese Strategie geht auf.

Und auch die Medien, die nicht die Gunst von Wikileaks erhaschen (oder wie kolportiert wird: erkaufen) konnten, zeigen sich beleidigt. Ganz besonders fällt hier „Die Zeit“ mit einem Artikel mit dem Titel „Hybris statt Wahrheit“ auf:

Ja, Transparenz ist in unseren westlichen Gesellschaften ein hoher Wert. Doch der Eindruck, der sich bei der jüngsten Veröffentlichung aufdrängt, ist: Es wird getan, weil es geht. Diese Dokumente waren eben zugänglich, also raus damit. Kein Gedanke scheint dran verschwendet worden zu sein, dass Vertraulichkeit das größte Kapital der Diplomatie ist und manchmal ein wichtiges Mittel, Schlimmeres zu verhüten. Das ist nicht mehr die Suche nach Wahrheit, sondern Hybris. Man wünschte sich, stattdessen würden belastbare Daten öffentlich, wo es wirklich um Aufklärung geht.

Dabei gibt es durchaus Punkte, die an Wikileaks zu kritisieren sind: fehlende Transparenz oder der Fakt, dass sich die Plattform zunehmend selbst als Gatekeeper aufspielt. Statt an sich die Möglichkeiten von Whistleblower-Plattformen zu stärken und zu unterstützen, schreibt man, dass die Veröffentlichungen dem Iran nutzen würden.

Hier – und in vielen anderen Diskussionen – zeigt sich, dass viele noch nicht in der neuen Welt veränderter Informationsflüsse angekommen sind. Man wünscht sich die gute alte Behaglichkeit zurück, wo man als Hofjournalist durch die Gunst von Politikern, Diplomaten und Informanten aus dem Polizirkus einen Informationsvorsprung hatte. Und da entsteht dann dieser sonderbare Gleichklang von Politik und Journalismus, der definieren will, was ich als Bürger wissen darf und was nicht. Geheimnisse haben den Reiz des Elitären, ihre Natur ist, dass nur wenige davon wissen. Und das will man schützen: als wichtiger Journalist, als Staatschef oder eben als grüner Parteivorsitzender.

Man solle uns nicht als Kinder behandeln, sagt die Pullitzerpreisträgerin Dana Priest und betont:

[…] die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf zu wissen, was ihre Regierung tut. Diese Dokumente zeigen das. Sie zeigen, wie Nationen miteinander umgehen, und sie geben ein ungefiltertes Bild, das sie von ihren Feinden und Verbündeten haben. Das sind wichtige Informationen.

Und wenn eben diese Informationen, egal nun ob Verträge von Banken, Videos von marodierenden Soldaten, geheime Wasserverträge oder eben Botschaftsdepeschen an die Öffentlichkeit geraten, dann haben wir, die wir nur private Geheimnisse tragen, das Recht darauf diese staatlichen Geheimnisse zu erfahren. Staatliche Geheimnisse (und Geheimdienste) sind ein Fremdkörper in der Demokratie. Über Geheimnisse wird in der Regel keine Rechenschaft abgelegt – schön, wenn sie ab und zu publik werden und uns Einblicke in das geben, was der Staat uns vorenthalten will.

In diesem Sinne, ist der von Daniel Domscheit-Berg und anderen Wikileaks-Kritikern geplante Launch einer weiteren Whistleblower-Plattform der nächste Schritt zu noch mehr Informationsfreiheit. Und zu mehr Transparenz und Offenheit.

Foto: CC-BY-NC-SA Ninja M.

2 Kommentare

  1. Linda Schleyer-Landshut says:

    Ich denke ein Grund für die (bisher) verhaltenen Reaktionen ist, dass es (bisher) „nur“ um abschätzige Urteile über die politischen Akteure ging. Da werden andere Länder intern nicht weniger offen kommunizieren, insofern sind sie wohl kaum überrascht, sondern allenfalls erfreut über die für zukünftiges Handeln durchaus relevanten Infos.

  2. buch leser says:

    Da jammert die deutsche Regierung über die Veröffentlichung von wikileaks rum, dass das „rechtswiedrig erworbene Daten sind“. Toll, als die Regierung die Daten von den schweizerischen CD’s gekauft hat war das alles in Ordnung, jetzt, wo sie selber am Pranger stehen, ist das auf einmal höchst bedenklich. Ich kann nur Sagen, was für Heuchler.

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