Studie belegt: Sarrazin lügt

Dass Thilo Sarrazin mit hanebüchenen Zahlen und einer gehörigen Portion Rassismus hantiert, ist erstmal nichts Neues. Jetzt aber hat ein Forschungsteam der Berliner Humboldt-Universität wissenschaftlich nachgelegt und einen großen Teil von Sarrazins Thesen empirisch widerlegt. Sarrazin hingegen verbreitet weiterhin, dass niemand seine Zahlen jemals bestritten habe und er Opfer einer Medienkamapgne sei. Mit dieser Aussage hat sich Jakob Augstein in einem treffenden Blogpost auseinandergesetzt.

Die seit Dezember 2010 vorliegende Studie „Sarrazins Thesen auf dem Prüfstand“ (hier als PDF downloaden), die von einem interdisziplinären Team um Dr. Naika Foroutan beim Projekt „Hybride europäisch-muslimische Identitätsmodelle“ an der HU Berlin erarbeitet wurde, beweist eindrücklich, dass Sarrazin mit falschen Zahlen Stimmung macht.

Ein Beispiel:
Sarrazin behauptet: „In Berlin werden 20 Prozent aller Gewalttaten von nur 1000 türkischen und arabischen jugendlichen Tätern begangen.“

Mit dieser Zahl richtete sich Foroutan an den Berliner Polizeipräsidenten und erhielt die folgende Antwort: „8,7 Prozent der Gewaltkriminalität in der Polizeilichen Kriminalstatistik wurden im Jahr 2009 von Tatverdächtigen begangen, die entweder türkischer Nationalität oder dem arabischen Raum zuzuordnen waren. Erweitert man die Personengruppe um die Personen, deren Nationalität als ,unbekannt‘ oder ,keine Angaben‘ erfasst wurden, was zumindest häufig für eine Herkunft aus dem arabischen Raum sprechen kann, erhöht sich die Zahl der Fälle auf 2509, was dem Anteil von 13,3 Prozenten an allen Fällen der Gewaltkriminalität entspricht.“

Die Studie beruht nicht nur auf solchen Anfragen, sondern auf Statistiken des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, des Statistischen Bundesamtes, des Bundesinnenministeriums sowie Studien von Universitäten sowie namhafter Stiftungen.

Die zentralen Ergebnisse (S.12-15), die wir hier in Gänze zitieren wollen, zeigen ein deutlich anderes Bild als die rassistisch und islamophoben Behauptungen Sarrazins.

Sichtbare Dynamik der Bildungsverläufe
Die konsequent vertretene These Thilo Sarrazins, dass speziell bei der Gruppe der Muslime in Deutschland keine positive Entwicklung der Bildungssituation zu konstatieren sei, die auf kulturelle Grundmuster der Sozialisation zurückzuführen ist, findet keine Entsprechung im statistischen Datenmaterial und ist empirisch nicht haltbar. Die Dynamik des Bildungserfolges ist über die Generationenfolge klar erkennbar und müsste in eine Zukunftsprognose als solche mit einfließen.

Bildungsanstieg bei zweiter Generation
Empirisch ist nachweisbar, dass bei sämtlichen Zuwanderungsgruppen mit muslimischem Migrationshintergrund, die Angehörigen der zweiten Generation deutlich häufiger als ihre Elterngeneration das deutsche Schulsystem mit einem Schulabschluss verlassen. Dies widerspricht der These Sarrazins, dass es auch über die Generationenfolge hinweg keine positive Entwicklung gäbe.

Personen mit türkischem Migrationshintergrund liegen zurück, aber Dynamik des Bildungsaufstiegs am höchsten
Laut Mikrozensus 2008 haben in der Gruppe der Personen mit türkischem Migrationshintergrund 22,4% der Bildungsinländer einen höheren Bildungsabschluss (Abitur oder Fachabitur). Die erste Generation der Gastarbeiter hatte hingegen nur zu 3% einen höheren Bildungsabschluss. Dies ist ein Bildungsanstieg von ca. 800%, obwohl gerade diese Gruppe von Sarrazin als besonders lernunfähig dargestellt wurde.

Höhere Bildungsaspiration bei Familien mit türkischem Migrationshintergrund
Sarrazin unterstellt dieser Gruppe auch Lernunwilligkeit. Dennoch wird gerade Familien mit türkischem Migrationshintergrund eine höhere Bildungsaspiration im Vergleich zu Familien ohne Migrationshintergrund beim gewünschten Schulabschluss Abitur attestiert.

Angleichung der Bildungssituation über die Zeit
Die PISA-Studie 2009 stellt einen Rückgang der Disparitäten durch einen stetigen Bildungsanstieg bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund fest, wa?hrend im Erhebungszeitraum bei Jugendlichen ohne Migrationshintergrund kaum Kompetenzsteigerungen zu verzeichnen sind.

Zahl der Personen mit türkischem Migrationshintergrund höher bei Hartz IV, aber niedriger als dargestellt
Hier sind die größten Schwächen innerhalb der Gruppe der Personen mit türkischem Migrationshintergrund zu beobachten, die laut Mikrozensus 2008 zu 9,5% ihren Lebensunterhalt überwiegend aus Hartz-IV bestreiten, während dies bei der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund nur zu 3,5% zutrifft. Dennoch steht diese Zahl der durch Sarrazin suggerierten Hartz-IV-Quote von 40% stark abweichend gegenüber.

Sprachkenntnisse bei großer Mehrheit gut
Der Vorwurf Sarrazins, gerade die Personen mit türkischem Migrationshintergrund würden sich nicht bemühen, Deutsch zu lernen, ist empirisch nicht haltbar. Allensbach hat im letzten Jahr für 70% der Personen mit türkischem Migrationshintergrund gute bis sehr gute Kenntnisse der deutschen Sprache ermittelt.

Kopftuchtragen hat abgenommen
Entgegen der geäußerten Annahmen von Thilo Sarrazin, dass das Kopftuch über die Generationenfolge in Deutschland zunehme, nimmt die Häufigkeit des Kopftuchtragens in der zweiten Generation signifikant ab. 70 Prozent der Frauen mit muslimischem Migrationshintergrund tragen kein Kopftuch. Fast 23 Prozent geben an, immer ein Kopftuch zu tragen.

U?ber 90% der Schüler nehmen am Schwimmunterricht teil
Gerade der Schwimm- und Sportunterricht wird von Sarrazin als ein Kriterium für die Verweigerung der kulturellen Integration markiert. Dabei liegt die Zahl der Kinder, die an diesen Angeboten nicht teilnehmen bei 7-10%. Auch hier wird eine Phantomdebatte geführt, die den empirischen Erkenntnissen nicht gerecht wird.

Nachbarschafts- und Freundschaftskontakte
Obwohl Sarrazin sich vertiefende Parallelgesellschaften und Abschottung prognostiziert, werden die Kontakte von „Muslimen“ zu Personen deutsch-deutscher Herkunft in der Nachbarschaft empirisch als zahlreich dargestellt; in fast allen Gruppen der Muslime haben mehr als drei Viertel der Befragten häufig Freundschafts- oder Nachbarschaftskontakte. Auch die Kontakte am Arbeitsplatz sind hoch. Das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) hat gemessen, dass die Personen mit türkischem Migrationshintergrund sich am liebsten deutsche Nachbarn wünschen, während bei der Gruppe der deutsch-Deutschen der Wunsch nach türkischen Nachbarn an letzter Stelle rangiert.

Keine „Opfer-Mentalität“ sondern aktive Selbstkritik
Die Verantwortlichkeit für gelingende Integration wird selbst in bestimmten Kreisen türkischer Herkunft, die unter dem Generalverdacht der ‚Integrationsverweigerung‘ oder gar der ‚Integrationsunfähigkeit‘ stehen, in deutlich höherem Maße der Zuwandererbevökerung und damit sich selbst zugeschrieben und nicht der Mehrheitsbevölkerung. In der zweiten Zuwanderergeneration verstärkt sich diese Einschätzung.

Interethnische Partnerschaften
Thilo Sarrazin unterstellt speziell der Gruppe der Muslime eine Verweigerungshaltung gegenüber interethnischen Partnerschaften. Auch hier widersprechen die Trends der Entwicklung seinen Aussagen. Unter Berücksichtigung der Unterschiede zwischen der ersten und der folgenden Einwanderergeneration wird auch für „die Muslime“ eine Tendenz zu mehr interethnischen Partnerschaften in späteren Generationen erkennbar. Besonders ab der zweiten Generation steigt die Zahl der binationalen Partnerschaften.

Zahl interreligiöser Ehen bei muslimischen Männern am höchsten
Trotz eines rückläufigen Trends haben muslimische Männer im Vergleich von Christen und Muslimen die stärkste absolute Tendenz, Frauen außerhalb ihrer eigenen Religionsgemeinschaft zu ehelichen. 33,5% der muslimischen Männer heirateten im Jahr 2008 eine nicht- muslimische Frau.

Interethnische Partnerschaften bei Deutschen ohne Migrationshintergrund gering
Die deutsch-Deutschen heiraten zu 92% Deutsche OHNE Migrationshintergrund.

Kriminalitätsrate nicht in Abhängigkeit zur Religiosität
Der von Sarrazin suggerierte Zusammenhang zwischen Islam und Kriminalität in Deutschland wird von seriösen Forschungseinrichtungen und der Polizei zurückgewiesen. Vielmehr gelten sozio-strukturelle Bedingungen und Gewalterfahrung in der Familie als zentrale Motive für Jugendkriminalität.

Deutschland droht zum Auswanderungsland zu werden
Während Thilo Sarrazin befürchtet, Deutschland würde durch die stetige Zuwanderung bald in seinen Strukturen nicht mehr erkennbar sein und zukünftig mehrheitlich aus arabisch- und türkisch- sprechenden muslimischen Menschen bestehen, konstatiert die Statistik, dass gerade bei der Gruppe der Personen mit türkischem Migrationshintergrund seit acht Jahren ein negativer Wanderungssaldo zu verzeichnen und die Nettozuwanderung von türkischen Staatsangehörigen seit 2002 rückläufig ist.

Zuwanderungselite wendet sich ab
Bei Studierenden mit türkischem Migrationshintergrund äußern 36% Prozent den Wunsch, in die fremde Heimat der Eltern abzuwandern.

Wer Angesichts dieser Zahlen Thilo Sarrazin Raum bietet, seine statistisch widerlegten Thesen zu verbreiten, tut dies aus politischen Motivationen oder medialem Selbstinteresse, weil Sarrazzin einfach gut läuft. Auch unter diesem Gesichtspunkt, sollten wir Medien auf die Finger schauen.

7 Kommentare

  1. paul says:

    sehr geehrter metronaut. da haben sie ja wirklich gut abgeschrieben aus der zeit. sie halten sich sogar an die reihenfolge. sicher haben sie einige eigene worte hingestreut, insofern ist es kein fullquote mehr.
    auch unter bloggern sollte es doch so etwas wie einen quellenhinweis geben, oder…?
    sollte ihnen mein beitrag unangehm sein, löschen sie ihn.

  2. John F. Nebel says:

    Werter Paul, sollten Ihnen die Fakten rund um Sarrazin unangenehm sein, dann glauben Sie doch einfach weiterhin an Ihren islamophoben Guru. Wenn Sie allerdings meinem Kollegen Mikael vorwerfen, dass dieser Artikel ein Plagiat sei, dann freut er sich bestimmt über den Hinweis, welchen Artikel der „Zeit“ er denn kopiert haben soll.

  3. fx says:

    Habe grade mal nachgeschaut, der einzige Artikel, den ich in der Zeit zum gleichen Thema gefunden habe, ist dieser hier:
    http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2011-01/zahlen-sarrazin-studie
    Abgesehen vom Thema selbst und, in der Natur der Sache liegend, ein paar gleichen Kernausagen, sind die Artkel aber vollkommen unterschiedlich, es ist nicht nachzuvollziehen, wo da irgendwas abgeschrieben worden sein soll. Ich denke daher, dass du mit deiner Vermutung eines trollenden Sarrazin-Jüngers richtig gelegen haben könntest.

  4. paul says:

    herr fog,
    in der sache gibt es für mich keine diskussion. xenophobe volksverhetzer braucht „mein“ deutschland nicht!
    lediglich die zeitliche und inhaltliche nähe zum zeit artikel [siehe link;f] machte mich ein wenig stutzig; so entstand der comment. aber vielleicht erwarte ich zuviel selber-themen-entwickeln von der bloogspähre. vorgekautes weiterverdauen ist auch ok, zumal: content-druck.

  5. Frank says:

    Habe mir auf Youtube einmal die Rede Herrn Sarrazins in Oldenburg vor zahlendem Publikum angehört, angeschaut. Er redet und redet und redet, mehr als eine Stunde, um folgendes auszudrücken: „in den 60er jahren hat man dumme Türken zum Arbeiten hereingeholt, denen man erlaubt hat, später ihre dummen Frauen nachkommen zu lassen, die viele dumme Mädchen geboren haben, die wiederum viele dumme Mädchen gebären werden. Die deutschen gebildeten Frauen, besonders Akademikerinnen, gebären viel zu wenige Mädchen, die intelligent wären. So vermehren sich die dummen Türken und sterben die intelligenten Deutschen aus. Deutschland schafft sich ab.“

    Der ganze sarrazinsche Statistiksalat dient allein zur „wissenschaftlichen“ Untermauerung dieser Kernthese. Mein Urteil: Herr Sarrazin lebt im Wahn.

    Die Studie des Teams der HU-Berlin ist aufschlußreich, zeigt auch, dass man genau hinschauen muß, um die Realität zu erkennen. Menschen mit Wahnvorstellungen sind mit der realen Welt nicht mehr im Kontakt.

  6. chrissl says:

    Bin ich froh, dass endlich ne Studie gemacht wurde. Ich dachte schon, ich wäre ein situationsverherrlichender Volltrottel, der sein eigenes Land nicht kennt. Sarrazin hat seltsamer Weise erreicht, dass sich viele Menschen in ihren Vorurteilen legitim bestätigt fühlen. Ich kann nur hoffen, dass über die Studie genauso laut geredet wird wie über die verschrobenen Thesen des Hr. S.

  7. Lorenzo says:

    Ich befürchte daß über die Lügen des Sarrazin nicht im gleichen Maße, wenn überhaupt, in den Medien behandelt werden wie seine Volksverhetzungsthesen.

    Es ist die Aufgabe aller Medienschaffenden die Lügen und Statistikverdrehungen aufzuarbeiten und angemessen zu präsentieren.

    Danke an Metronaut und die anderen BloggerInnen die dies bereits getan haben!

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