Warum die VISA-Warndatei eine Schweinerei ist


Gestern war der Jubel groß: die Netzsperren sind gekippt und zumindest eines der gefährlichsten Projekte der letzten Jahre vom Tisch. Doch schon jetzt ist das Ende der Netzsperren teuer gekauft worden. Die FDP stimmte der VISA-Warndatei zu, weil diese in der Bevölkerung nicht als wichtig eingeschätzt wird. Die Lobby gegen Netzsperren ist einfach machtvoller.

Die VISA-Warndatei wird vom Innenminister als Instrument gegen Menschenhandel und Terrorismus dargestellt. Doch das ist die übliche Panikrhetorik, die uns vorgaukeln soll, dass nur die „Gauner“ und „Schurken“ von dieser Datei betroffen wären und diese Datei dazu gut wäre, Kriminelle an der Einreise nach Deutschland zu hindern.

Für die meisten Menschen auf der Welt ist Deutschland ein visapflichtiges Land. Bevor die Leute hierher reisen dürfen, gehen sie zur jeweiligen Botschaft und beantragen ein Visum. Dabei nennen sie einen Einlader in Deutschland. Die Botschaft prüft dann Reisezweck und die Rückkehrbereitschaft der beantragenden Personen und entscheided, ob jemand nach Deutschland einreisen darf.

Hier setzt die Einlader-Datei oder VISA-Warndatei an: in ihr sollen nämlich die Einlader gespeichert werden. Wer jemals versucht hat, Menschen aus visapflichtigen und meist armen Ländern einzuladen, weiß wie schwierig es ist, eine Botschaft davon zu überzeugen, dass die visapflichtigen Reisenden wirklich zurückkehren wollen. Dafür sind meistens jede Menge Schreibkram und Erklärungen des Einladers nötig. Mal von dem Datenstriptease der eingeladenen Personen vor Ort abgesehen. Das geht soweit, dass die ihre Grundbucheinträge mitschleppen, um zu beweisen, dass sie ein Haus besitzen und deshalb auch wieder zurückkehren würden.

Die Visa-Warndatei will im ersten Schritt präventiv jetzt alle Einlader speichern, die im Bezug mit visa-relevanten Straftaten aufgefallen sind. Im Innenministerdeutsch sind das natürlich nur die bösen Menschenhändler & ihre Schergen – doch was passiert eigentlich, wenn ich für eine Institution jemanden einlade und diese Person sich während des Aufenthalts absetzt? Komme ich dann automatisch in die Warndatei? Ein Eintrag in die Warndatei bedeutet, dass ich als Einlader niemanden mehr einladen darf ohne, dass bei der Botschaft in Nairobi, Tiflis oder Ankara die rote Leuchte angeht.

Noch schlimmer kommt es aber, weil die Datei im zweiten Schritt generell jeden speichert, der „in einen Visaantrag involviert ist“. Das sind jede Menge Leute, Familienangehörige, Vertreter von Institutionen, usw. Hinzu kommt, dass in vielen Fällen das Schreiben eines Einladers nicht ausreicht, um die Botschaften zu überzeugen. Also werden weitere „Einlader“ und „Zeugen“ hinzugezogen, die für den visumspflichtigen Menschen in irgendeiner Form bürgen. So kommen schnell sehr viele Leute zusammen, die für immer in der neuen VISA-Datei landen. Was geht es den Staat eigentlich an, wenn ich Menschen als Einlader einen Besuch in Deutschland ermögliche? Wenn ich jemanden zu einem Theaterfestival, einer Konferenz oder einem Fußballturnier einlade? Oder zum Familienbesuch in binationalen Ehen und beziehungen. Schon die jetzigen Maßstäbe des Visa-Verfahrens sind so streng, dass es zum Problem wird die kirgisische Tante für zwei Wochen einzuladen, weil die Botschaft ihr unterstellt, sie würde in Deutschland bleiben wollen. Obwohl sie das nie vorhatte und glücklich in Kirgistan lebt.

Die neue Visa-Warndatei stellt alle Menschen unter Generalverdacht, die andere Menschen aus meist armen Ländern zu uns einladen. Sie will die Zuverlässigkeit der Einlader erfassen und Einladeverhalten überwachen. Das alles soll die ohnehin schon hohen Mauern um unser Land weiter erhöhen. Ein hoher Preis, den die FDP mit dem Kippen der Netzsperren eingegangen ist. Hoch genug, jede Diskussion um die Wiederkehr der Vorratsdatenspeicherung eigentlich abwürgen zu können.

Foto: CC-BY Noborder Network

7 Kommentare

  1. airliner says:

    Die Datei würde weniger Aufsehen erregen, wenn sichergestellt würde, dass die Daten des Einladers auch wirklich gelöscht werden, sobald der Eingeladene wieder aus Deutschland ausgereist ist.

  2. Jakob says:

    Solange das Ding „VISA-Warndatei“ heisst, wird das niemanden interessieren, denn die eher positive, falsche Assoziation „irgendwas zur Bekämpfung von VISA-Kreditkartenbetrug“ ist zu stark. Den Hardlinern fallen doch auch Begriffe wie „Mindestspeicherdauer“ ein, da sollte es doch auch eine plakative Alternative zu „VISA-Warndatei“ geben. Dein Artikel ist schon sehr gut, aber das ganze sollte noch einfacher heruntergebrochen und auf die Spitze getrieben werden: „Wer mit Ausländern Kontakt hat, macht sich verdächtig“ o.Ä., Vergleich zur Praxis in der DDR etc.

  3. John F. Nebel says:

    Ja, das Ding heißt eigentlich „Einladerdatei“. Visa-Warndatei ist mal wieder ein Euphemismus.

  4. datenschuetzer says:

    Die EU hat ne Menge Datenbanken, ne kleine Beschreibung hab ich vor ein paar Jahren mal gemacht: http://de.indymedia.org/2007/11/199949.shtml
    Die meisten werden zunächst zur Migrationsabwehr aufgebaut, die können sich ja eh nicht wehren. Schritt für Schritt werden die dann zusammen geführt und ausgeweitet.

  5. Widukind says:

    In Deutschland ist eh nix mehr zu retten. Deutschland ist scheiße, ich hasse es!

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