Thüringen, Sachsen, Staatstrojaner: Die wirklich wichtigen Rücktritte bleiben aus

Ok, jetzt haben wir haben uns alle zusammen mit dem Axel-Springer-Verlag schön auf Wulff eingeschossen. Und wenn die Guttenbergsche Formel zählt („Samstag Schuhdemo, Mittwoch Rücktritt“), dann sind wir den Mann bald los. Was für ein Aufriss für diesen schmierigen kleinen neureichen Streber in Bellevue, der mit Krediten mauschelt und Medienberichterstattung beeinflussen will. Mag sein, dass man diesen Typen weghaben will, wenn man an „Würde des Amtes“ und eine Politik ehrbarer moralischer Männer glaubt. Wenn man glaubt, dass ein Präsident in unserem System wirklich wichtig wäre.

Hand aufs Herz. Dieser Wulff-Skandal ist doch eher aus der Kategorie „Geschmäckle“, wenn wir uns die folgenden drei Skandale anschauen, die allesamt folgenlos geblieben sind:

Wo ist eigentlich der Rücktritt von Hans-Peter Friedrich? In Behörden, die seinem Ministerium unterstellt sind, wurde entgegen der Verfassung und mit krimineller Energie der Staatstrojaner eingesetzt. Hier wurden bewusst die Grundrechte der Menschen mit Füßen getreten – und nichts ist passiert, niemand hat Konsequenzen gezogen, niemand hat hier irgendeine Schuld eingestanden. Im Gegenteil bemühten sich alle Landesregierungen (schwarz-gelb-grün-rot) die Sache runterzuspielen und den Einsatz von Staatstrojanern als lebenswichtig darzustellen. Nichts ist passiert.

Wo bleibt eigentlich der Rücktritt von Jörg Geibert, dem Innenminister Thüringens? Wo ist eigentlich der Rücktritt von Thomas Sippel, dem Chef des Thüringer Verfassungsschutzes? Immerhin wurden hier Nazis vom Thüringer Heimatschutz jahrelang über die V-Mann-Methode finanziert. Und nach Medienberichten wusste der Verfassungsschutz seit 2001 über die Existenz der braunen Terrorzelle. Dazu kommen zahlreiche Ungereimtheiten, die auf eine Involvierung des Staates schließen lassen. Was ist eigentlich hier passiert? Nichts ist passiert – außer einen neuen fragwürdigen Datenbank, die das Trennungsgebot von Geheimdiensten und Polizei aushebelt.

Wo bleibt eigentlich der Rücktritt von Markus Ulbig, dem Innenminister von Sachsen? In Sachsen werden seit 2009 Funkzellenauswertungen vorgenommen und die Handydaten hunderttausender Menschen widerrechtlich durchforstet und gespeichert. Anstatt die Zivilgesellschaft zu stärken, werden Nazis hofiert und linke Strukturen ausgehorcht, ausgespäht und und mit juristischen Verfahren überzogen. Alles in allem eine Praxis, die einem demokratischen Rechtsstaat unwürdig ist. Einen detaillierten Überblick über die Situation in Sachsen bietet dieser Vortrag von Anne Roth auf dem 28c3. Niemand hat je eine politische oder personelle Konsequenz gezogen. Nichts ist passiert.

Wir reden also über Wulffs Kredite, Anrufbeantworterpöbeleien und, hinter vorgehaltener Hand, das Vorleben der First Lady. Wir wundern uns wenig, warum die Bild-Zeitung, hier so eine Energie reinsteckt und diese wunderschön orchestrierte Kampagne fährt. Gleichzeitig aber haben wir einen Finanzminister, der von der Waffenlobby 100.000 Euro in einem Koffer angenommen hat. Und zu guter Letzt wird der Baron der Betrüger und Plagiatoren, Karl-Theodor zu Guttenberg, mit jedem Tag wieder hoffähiger, bereitet sein Comeback vor. Mit Hilfe der „Zeit“ und bald auch wieder der Bild-Zeitung, wie man noch sehen wird.

So ein kleiner unbedeutender Bellevue-Skandal passt eben gut. Da können wir uns über die politische Kultur echauffieren, über mangelnden Stil schreiben und uns freuen, dass die Euro-Krise für ein paar Wochen von den Titelseiten verschwunden ist. Andere Skandale, wie die oben beschriebenen, die wirklich ans Mark der Demokratie gehen, die Konsequenzen nach sich ziehen müssten, die uns erschrecken sollten, versanden im Geplänkel um spießige Reihenhäuschen und kleinkariert erworbene Billigkredite.

Die wirklich wichtigen Rücktritte bleiben aus.

11 Kommentare

  1. MvB says:

    Stimmt alles! Trotzdem ist der Bundespräsident die höchste moralische Instanz des Stattes („des“ nicht „im“).

    Wenn der schon korrupt ist und nicht zurück treten muss, hat der Staat total versagt.
    So hat das in Weimar auch angefangen. Passt ja auch zu der statlich geförderten Nazi-Terror-Zelle.

  2. Mikael says:

    Stimme Dir zu. Es ist natürlich bezeichnend für diesen Staat, wenn sich ein Vertreter dieses moralisch aufgeladenen Amtes Vorteile verschafft, lügt und droht. Nur sind die anderen Vorfälle und Skandale einfach ein ganz anderes Kaliber.

  3. Volker Birk says:

    Du sprichst mir aus der Seele.

    Viele Grüsse,
    VB.

  4. D. says:

    Es geht hier glaube ich einfach nur darum, dass die Medien einen Focus auf eine Sache lenken die, im Gegensatz zu den anderen genannten Geschehnissen, kaum eine Bedeutung hat. Wir lassen uns viel zu leicht (ab)lenken und übersehen was uns wirklich wichtig sein sollte.

  5. Niedermeyer says:

    Mir geht der Hinweis auf den Verfassungsschutz Sachsen ab, der bei der Causa Roter Stern Dresden Geheimnisverrat begangen hat.

    Die braunen Schlägertruppen hatten bei einem Fussballspiel Spieler und Zuschauer verprügelt, da der Dresdner Verein sich für Integration einsetzte. Die Polizei ermittelte im Stillen und bereitete Hausdurchsuchungen vor, die überall gleichzeitig durchgeführt werden sollten.

    Das wurde vom Sächsischen Verfassungsschutz auf seiner Webseite verraten. Die Polizei würde aktuell gegen diese Nazi-Gruppierung ermitteln und Hausdurchsuchungen würden bevorstehen.

    Offensichtlich ist der Verfassungsschutz mit Nazi-V-Leuten durchsetzt. Wir wissen wer deine Freunde sind! Schafft den Landesverfassungsschutz ab!

    Erwähnt wurde auch nicht, dass ein freigesprochener Nazi-Schläger in Dresden weiter frei rumläuft, obwohl der Freispruch aufgehoben wurde und das Verfahren vor knapp 2 Jahren an das Dresdner Landgericht zurück verwiesen wurde.

    Das LG Dresden hatte bisher keine freien Termin gefunden damit das Verfahren endlich wiederholt werden konnte. Der Pressesprecher des LG Dresden empfand das auch als unproblematisch, da der Nazi ja so oder so wieder auf freiem Fuß wäre.

    Nicht vergessen werden sollte auch, dass 2 Journalisten wegen ihrer Recherchen gegen einen möglicherweise korrupten Richter von den Sachsen strafrechtlich verurteilt wurden und diese jetzt um eine Aufhebung dieses krassen Fehlurteils kämpfen müssen.

    Wir brauchen keine Vorratsdatenspeicherung, wir brauchen ein funktionierendes Staatswesen, welches weder von Nazis, noch von Lobbyisten beherrscht wird.

  6. Während es bei Wulff „nur“ um Kreditzinsen und einen geharnischten Telefonanruf geht, greifen andere munter in die Kassen, bleiben gar uneinsichtig und bekommen dennoch nur minimales Medienecho:

    Mal eben eine halbe Million abgreifen
    http://www.modersohn-magazin.de/2012/01/09/kvberlin-vorstand-uebergangsgeld/

  7. Matthias says:

    „Die wirklichen Rücktritte bleiben aus“ – exakt! Nicht, daß ich glauben würde, nach dem jeweiligen Rücktritt käme etwas Besseres. Aber daß zum Beispiel der Skandal um die NSU nicht einmal einen Verfassungsschützer den Job kostet, das finde ich beängstigend.

    Warum um Himmels Willen schießt Bild eigentich so gegen Wulff?

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