ACTA-Proteste: Anregungen für eine gemeinsame Strategie

Bei sozialen Bewegungen und deren konkreten Forderungen ist es ja immer ein schwieriges Vaubanque-Spiel, wie der Schwung oder das Momentum einer Bewegung aufrechterhalten oder vergrößert werden kann. Bei ACTA steht die Entscheidung im EU-Parlament – und damit auch die Zielvorgabe einen weiteren Höhepunkt des Protestes zu erreichen – Ende Mai oder Anfang Juni an. Das ist eine sehr lange Zeit, in der viel passieren kann.

Die Proteste vom vergangenen Samstag waren großartig, sie waren vielfältig, sie haben Mut gemacht und vor allem in ihrer Größe überrascht. 100.000 Leute in ganz Deutschland. Unglaublich. Was für ein Erfolg! Ich kann verstehen, dass einige Akteure jetzt richtig Lust haben, weiter auf die Straße zu gehen. Denn die Demos waren super. Sie haben Spaß gemacht. Sie haben einen massiven medialen Nachhall gehabt. Sie zeigen, dass wir ACTA stoppen können. Also warum nicht gleich weiter machen in 14 Tagen?

Davor möchte ich eindringlich warnen! Und zwar nicht, weil ich bremsen möchte, sondern ganz im Gegenteil, den Protest stärken. Die Wiederholung von Großdemonstrationen bringt nämlich einen gefährlichen Mechanismus mit sich: sind die Demos kleiner, ist sofort von Strohfeuer die Rede, von Eintagsfliegen und von einem Schrumpfen der Bewegung. Dieses Risiko sollten wir nicht eingehen, da wir gerade ein sehr starkes Zeichen an Regierung und EU gesendet haben. Aus dieser Position der Stärke sollten wir strategisch handeln.

Wenn Großdemos vielleicht nicht das Mittel der Wahl sind, was ist die Alternative? Wie kann der Schwung aufrechterhalten werden ohne, dass wir uns jetzt verausgaben? Die Lösung liegt in einer Diversifizierung der Aktionen und Aktionsformen. Also neue Aktionen, die nicht in einer direkten, vergleichbaren Linie mit den Großdemos liegen, aber trotzdem Menschen mobilisieren und „bei der Stange halten“.

Denkbar sind hierbei:

  • eine Verstärkung der Info-Kampagne mit Infotischen in den Städten, Veranstaltungen, usw.
  • die Forcierung der Politikeransprache im EU-Parlament (Briefe, Mailings, Faxe)
  • kreative und kleinere Aktionen vor/bei Lobbyorganisationen der Gegenseite
  • Youtube-Wettbewerbe mit Filmen gegen ACTA / Photoshoppen gegen ACTA
  • Vernetzungstreffen von Aktivist/innen
  • medienwirksame Aktionen, die tolle Bilder schaffen
  • Aktionen, die zeigen, dass wir nicht nur an der „Netzgemeinde“ interessiert sind. z.B. „Jetzt erkläre ich Opa das Netz“
  • Offline-Computerspiele in den Innenstädten mit Protestbezug (Anregung: Pacman vs. ACTA)
  • Protestkonzerte von Bands auf dem Marktplatz

Ihr habt da sicherlich noch viel mehr und vor allem bessere Ideen.

Egal, welche Entscheidung über weitere Großdemos gefällt wird. Auf jeden Fall sollten wir nachdenken darüber, wie wir jetzt zusammen den Protest nachhaltig stärken, wie wir die unterschiedlichen Akteure (die ja oftmals noch nie zusammen gehandelt haben) vernetzen und den großartigen Schwung vom Samstag verlängern können. Denn nur so haben wir auch eine Chance ACTA endgültig zu kippen und auch gegen zukünftige Bedrohungen für Grund- und Freiheitsrechte zusammen etwas auf die Beine zu stellen.

17 Kommentare

  1. Moin

    Eine andere Möglichkeit wären Demos an orten, wo am Samstag keine stattfanden. In Niedersachsen haben wir versucht, die Demo so umzusetzen, dass es eine große Demo gibt an einem zentralen Ort (Hannover), diese so früh geplant, dass Demos in der nähe für Teilnehmer aus Hannover zusätzlich erreichbar waren (also von 12-2 in H, ab 15:00 in GÖ und HB, ab 15:30 in BS), und andere Orte gar keine große Demo hatten (Hildesheim, Wolfsburg, …), so dass eine Demo am 25. in Hildesheim oder Wolfsburg sich nicht direkt mit den Demos von Vorgestern messen muss, aber gleichzeitig, wenn am 25. in H und BS nichts stattfindet, und das gut kommuniziert wird, viele Teilnehmer aus den Orten einfach dahin fahren.

    Ansonsten wäre eine Großdemo in Brüssel oder Straßburg, wo möglichst viele Leute auch aus D hinfahren, ohne dass bei uns zeitgleich Demos stattfinden, ein sehr lohnenswertes Projekt. Sicher besser als eine einzige Großdemo (mit Verzicht auf Demos anderswo in D) in Berlin oder FFM.

    LG
    Justus Römeth
    Koordinator der elfzwo Demo in Hannover.

  2. Burak says:

    Sehr richtiger Einwand! Wir sollten unsere Karten nicht verspielen und die strategische Dimension in Auge behalten.
    Derzeit formieren sich erneut Proteste für den 25.2. und es zeichnet sich ab, dass nicht alle Städte sich beteiligen werden, geschweige den europäische Städte. Dies wäre ein erheblicher Rückschlag für die Bewegung, bzw. würde durch die Medien als Rückschritt gedeutet werden.

  3. André says:

    Am wichtigsten ist
    1) gezielte Ansprache der EVP (=CDU/CSU und ÖVP) als Zündlein an der Wage
    2) Schaffung einer Plattform in Brüssel und Straßburg, gute Praxis ist die Anmietung einer Wohnung für 3-4 Monate, in der Interessierte übernachten können
    3) Aufarbeitung der Videos von Stakeholderanhörungen und Konfrontierung der echten Verantwortungsträger bei der Kommission: De Gucht, Devigne, Velasco, etc.
    4) Kommission unter Druck setzen die vom Parlament geforderte Folgenabschätzung für die Grundrechtsfragen von ACTA endlich vorzulegen.
    5) Abgeordnete gute „technische“ Fragen zu ACTA an Kommission und Rat stellen lassen
    6) Dokumentzugangsanträge stellen nach EG/1049/2001
    7) Gründung von neuartigen Vereinigungen mit konservativem und bodenständigen Image und Beschränkung auf deutsche Sprache. Neuartig, zum Beispiel Netz-„Ritterorden“, „Christliches Missionswerk Pesces“ (Jesus und die Speisung der 5000en), Think Tank „Gesellschaft für Netzordnung“
    8) Thematisierung bislang vernachlässigter Aspekte: Effekte auf HIV Medikamente, Nothilfe in Entwicklungsländern, Saatgut, Verteidigung der Demokratie gegen Forum Shopping.
    9) Massive Begleitung vorgezogener ACTA Implementierung wie der Neufassung der Customsregulierung und IPRED1+ in Q1/Q2 2012
    10) Einschreibung auf Verteilern.
    11) Nachhaken

  4. Dennis says:

    Es gibt aber viele, die erst aufgrund der Demos am Wochenende überhaupt von ACTA gehört haben. Gestern und heute haben auch mich viele Leute angesprochen und mir erklärt, dass sie auch gerne teilgenommen hätten. Auch hat die Kälte einige abgehalten.
    Jetzt hätten wir die Aufmerksamkeit für Massendemos, auch aufgrund der Berichte in den Medien. Bitte, wir waren die Headline in der Tagesschau 20:00 am Sonntag! Das schafft nicht jeder. Und auch die Politik diskutiert öffentlich. Teilweise waren aber die Demos direkt etwas chaotisch, wie in Wien und könnten jetzt besser und lauter organisiert werden.

    Parallel würde ich aber auch die aufgezählten Punkte schon anlaufen lassen. Gerade mit älteren Menschen hat bei mir das Argument mit Generika und Dritte Welt bzw. Wissensgesellschaft überzeugt. Außerdem würde ich Druck auf die Junge Union ausüben, und fragen, warum sie nicht deutsche Start-Up Unternehmen unterstützt, die von ACTA betroffen wären. Auch sollen ruhig auch mal Aufklärungarbeit in ihrer Partei der CDU/CSU leisten.

    Deshalb würde ich die viel Energie noch in den 25.2 stecken, aber dann soll es auch gut sein, sonst könnte sich Bewegung tatsächlich totlaufen. Und falls die Abstimmung im Sommer ansteht, wieder alle mobilisieren, während der Online-Protest und die Aufklärungsarbeit weitergeht. Außerdem sind schon viele Vorbereitungen angelaufen, wenn jetzt alle zurückgepfiffen werden, ist das nicht motivierend.

  5. crackpille says:

    Es gibt in meinen Augen ein weiteres strategisches Argument: Das EU-Parlament stimmt am 12. Juni über ACTA ab. Ebenfalls in diesem Zeitraum wird es nach dem Fahrplan des „Memorandum of Understanding on Specific Economic Policy Conditionality“ in Griechenland & ggf. Spanien und Portugal ziemlich heiß werden.

    Gesetzt den Fall wir können den ACTA-Protest mit ähnlicher Mobilisierungsquote zur Abstimmung im EU-Parlament reproduzieren, würde sich eine erhöhte Menge an Unzufriedenheit der Bürger in diesem Zeitraum konzentrieren. Um das zu verhindern, lässt man ACTA möglicherweise im EU-Parlament scheitern.

    Wem das auf den ersten Blick zu weit hergeholt erscheint, bedenke dies:
    – Die Politik kann die Dynamiken und Stärke der netzbasierten Organisation und Mobilisation nur sehr schwer einschätzen
    – Die Ratifikationsvertagungen waren eine Strategie um Dampf aus dem Kessel zu lassen, die angesichts des Umfanges der Proteste aber als gescheitert gelten muss. Das Abkommen im EU-Parlament zu vertagen ist damit keine aussichtsreiche Strategie
    – Im Zuge der „Euro-Rettung“ ist eine Menge Dampf im Kessel; man schaue sich die Bilder gestern aus Athen an
    – Die „Euro-Rettung“ hat klare Priorität vor ACTA. Wenn ACTA scheitert, kann man das ganze leicht abgeändert neu auflegen. Das geht mit der „Euro-Rettung“ nicht

  6. John F. Nebel says:

    @Dennis: Mich bitte nicht falsch verstehen: wir sollten alles tun, damit dieser Protest größer wird. Ich will niemanden demotivieren, ganz im Gegenteil!

    Es gibt soviele Aktionsformen und Möglichkeiten des Protest – das Mittel der Großdemo ist nur eines davon. Mit diesem muss man sparsam umgehen. Außerdem sind Großdemos so „zählbar“. Da können direkt Zahlen gegeneinander gestellt werden. So wird sofort Demo1 mit Demo2 verglichen. Das ist nicht hilfreich.

    Lasst uns kreativ sein!

  7. Weirdo Wisp says:

    Wie wäre es damit, die ACTA-Demonstranten und andere aufzuklären, welche schweren Eingriffe in das Internet schon Jahre vor ACTA von der EU und den (Innen)Ministern vorgenommen wurden und werden, sodass ACTA gar keine Verschlimmerung mehr bringt?

    Vorratsdatenspeicherung, Onlinedurchsuchung/Staatstrojaner, Sperrverfügungen,… Das müssen die Demonstranten kennenlernen und können sich bis zur nächsten ACTA-Demo dagegen engagieren!

  8. krugar says:

    mit blick auf den altersdurchschnitt der demonstranten am 11.02. würde ich nicht auf zentrale großdemos setzen. der dezentrale protest deckt sich besser mit den stärken der netzgemeinde, und man erreicht so auch deutlich mehr zufällige passanten. gute bilder für die abendnachrichten gibts bei wohlwollender kamera ab 1000 leuten auf einem fleck. wenn beim nächsten mal noch die elterngeneration mitgenommen wird, siehts auch noch nach gesamtgesellschaftlichem protest aus ;)

    ich finde es prinzipiell nicht verkehrt, vor wichtigen terminen nochmal auf die straße zu gehen, aber die sorgen bezüglich niedriger mobilisierung sind vermutlich gerechtfertigt. der modus operandi des netzes ist reaktiv. erst braucht erst einen aufreger, dann kommt der shitstorm.

    wir haben gezeigt, dass wir wegen eines von den abendnachrichten totgeschwiegenen themas bundesweit sechsstellig die großstädte dicht machen können. im vergleich: bei der großen anti-atom demo in berlin 2011 war gerade mal die drei-fünffache menge auf der straße. die atomdebatte war in aller munde, hatte allgegenwärtige massenmedien-berichterstattung und die demo war von seit jahrzehnten aktiven verbänden organsiert worden, mit kriegskassen, von denen die organisatoren der anti-acta-proteste nur träumen können.

    wir haben damit plattformen wie netzpolitik.org mächtig gewicht verliehen, und bin mir sicher, dass unsere lobbyisten überstunden machen werden, um das messer nochmal in der wunde herumzudrehen. solange da genug gelder und manpower vorhanden sind, um den druck auf bundestag und eu-parlament aufrecht zu erhalten, können wir das mit der straße imho auch erstmal so stehen lassen. wir wissen, dass wir das bei bedarf wieder können, und die gegenseite weiß das auch. und wenn sie uns trotzdem nicht zuhören… der nächste shitstorm kommt gewiss auch in deine stadt ;)

    was man in jedem fall fürs nächste mal zentral vorbereiten/vorhalten sollte:
    – organisatorisches knowhow. formalitäten, protestformen, etc.
    – freie grafik- und text-schnipsel für banner und flyer (wobei @laquadrature und @digiges hier mal ein dickes lob verdient haben)
    – ein kickstarter-artiges crowdfunding-system für demo-beschallungswagen und flyerdruck (geld scheint mir im moment der größte engpass zu sein)

  9. Slash says:

    Keine Frage: Die Einwände dieses Blog-Posts sind vollkommen berechtigt. Aber wie soll den auf anderes umgelenkt werden ?
    All die alternativen Vorstöße, sie stehen doch schon längst, bloß schert sich niemand drum.

    100.000 Menschen haben Lust, auf den Straßen zu demonstrieren.
    Aber nur 1 Mensch hat Lust, das Thema ACTA inhaltlich in Hinblick auf Debatten aufzuarbeiten: https://piratenpad.de/p/spotlightonACTAinformothers

    Das ist das Problem, was ich sehe.
    Zum Beschreiten alternativer Wege anzuregen ist gut, aber was ist zu tun, wenn niemand was anderes als Demonstrieren oder Demos-Vorbereiten von sich aus macht ?

    Auch Plakate produzieren war gezwungenermaßen eine One-Man-Show; das höchste der Gefühle dahingehend: Eine sich eingefundene Runde von Usern, die „Wünsch‘ dir was“ spielen, aber selbst keinen Finger krum machen.

    Das ist kein Zustand, um die Bewegung zu verbessern, und erst recht kein Zustand, um andere Wege zu beschreiten.

  10. Arnie says:

    Ich denke auch, dass auf die Strasse gehen alleine nicht ausreicht. Massenproteste kann man zur Not immer noch niederknüppeln, aber wenn die Thematik erstmal in den Köpfen der Leute verankert ist, lässt sie sich nicht einfach rausprügeln… ich gehe am 25. erneut auf die Strasse in der Hoffnung, dass es viele weitere tun… noch mehr wie beim letzten mal!
    und wenns mal nen film-wettbewerb gibt..

    http://vimeo.com/36768951

  11. hedrik says:

    Ich finde den Beitrag richtig und wichtig. Ich selbst bin inzwischen rund 20 Jahr politisch Aktiv und es entspricht meiner Erfahrung, dass sich regelmäßige Demos sehr schnell totlaufen. Das war selbst bei Themen der Fall, die noch viel direkter im Blickpunkt standen, wie etwa Irak-Krieg oder bei den Montagsdemos gegen Hartz IV. Daher sollte dieses Mittel sehr gezielt eingesetzt werden. Es ist natürlich verlockend, aus der Euphorie heraus in Aktionismus zu verfallen. Aber politisch nachhaltig zu sein, funktioniert nicht, wenn man von Aktion zu Aktion denkt. Die Stärke einer Protestbewegung kommt aus einer gesunden Mischung aus pointiert gesetzten größeren Aktionen und einem langen Atem für Kleinarbeit (Strukturen/Netzwerke aufbauen, neue Unterstützer überzeugen…).

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