Schmähvideo-Debatte: Wenn alle Seiten scheisse sind

CC-BY-NC-ND kafkan

Die Darstellung von Muslimen als wilder, blutrünstiger Mob hat eine lange Tradition in westlichen Medien. Nach dem 11. September macht der Spiegel mit diesem Titelbild auf:

Auf der einen Seite der technisierte Westen, symbolisiert mit nächtlich-kriegerischen Leuchtspuren. Auf der anderen Seite der wütende Mob, der fanatisiert, schreiend, wild und böse ist. Kaum mehr in Zaum zu halten bei seinem Angriff auf die westliche Gesellschaft.

Schade, dass dieses Bild wieder da ist. Für kurze Zeit während des arabischen Frühlings dominierten andere Bilder unsere Glotzen und Magazine: man denke an die Bilder von betenden Muslimen, die von koptischen Christen geschützt wurden. Oder an Frauen, Kinder und Männer, die auf dem Tahrirplatz ein buntes und vielschichtiges Bild einer islamischen Gesellschaft in die Welt trugen.

Jetzt also wieder „Muslim Rage“, wie die Newsweek coverte – und dafür ordentlich den Hashtag #muslimrage um die Ohren gepfeffert bekam:

Die bärtigen Fanatiker sind zurück und wir werden alle sterben.

Megan Reif hat in ihrem Artikel „Verzerrte Darstellung“ bei Carta gezeigt, dass die gewaltsamen Demonstrationen und Krawalle gegen westliche Botschaften unbedeutend klein sind gegenüber den Demonstrationen des arabischen Frühlings. Und sie kritisiert auch die Fotoauswahl der Medien:

Es ist interessant, zu beobachten, dass die Medienbilder vom Tahrir-Platz im ersten Halbjahr 2011 im Weitwinkelformat präsentiert wurden, während die Bilder der gegenwärtigen Proteste rund um kleinere, gewalttätige Gruppen zusammengeschnitten wurden und damit den Eindruck erwecken, die Menschenmengen seien groß und bedrohlich. Das kann man selbst einfach nachprüfen, indem man eine Google-Bildersuche nach „Protest Arabischer Frühling“ durchführt und die Ergebnisse mit der Google-Bildersuche „Protest Muslim“ vergleicht. Die Suche sollte dabei auf einen Zeitraum zwischen dem 10. und dem 16. September 2012 beschränkt werden.

Es gibt einerseits der Wunsch von Medien nach dem puppen- und fahnenverbrennenden Muslim-Mob, aber auf der anderen Seite natürlich diejenigen, die diese Bilder inszenieren und selbst in die Welt setzen wollen. Oder wie Thierry Chervel im Perlentaucher schreibt:

Das Missverständnis lautet, dass der „Missbrauch der Meinungsfreiheit“ im Westen die Empörung im Orient auslöst. In Wirklichkeit ist es umgekehrt: Die inszenierte Empörung im Orient dient dazu, die Freiheit im Westen einzuschränken. Chomeini wollte mit seiner Morddrohung zeigen, dass der Bannstrahl seiner Macht bis in diese Länder reicht. So groß ist der Islam! Und wie gesagt: Es sind die klassischen Medien, die sich zu Propagandisten dieses von den Islamisten bezweckten Einknickens machen.

Ähnlich argumentiert Michael Hanfeld in der FAZ:

Wir werden abermals Zeugen eines Passionsspiels, das radikalen Splittergruppen zur Macht verhelfen soll. Diese stützen sich auf einen jederzeit für wenig Geld oder ohne größere intellektuelle Anstrengung zu mobilisierenden Mob und – die Macht der Medien, die Überzeugungskraft der Bilder im Fernsehen und im Internet.

Was sagt uns das alles?

Das Besondere an der aktuellen Debatte um das Mohammed-Video ist ja, dass (fast) alle Seiten scheisse sind:

  • die Produzenten des Videos als tumbe und hetzende Vollidioten, die mit einem irre schlecht gemachten Video auch noch den gewünschten Effekt erzielen
  • die marodierenden islamistischen Splittergruppen, die brandschatzen gehen und verschwörungsideologisch mal wieder USA und Israel hinter dem Video sehen
  • die Nazikleinstpartei Pro Deutschland, die mit ihrer Aufführungsankündigung zu provozieren weiß und damit vollkommen unnötig Aufmerkamkeit bekommt
  • deutsche Politiker, die reflexhaft-aktionistisch nach einer Beschränkung der Meinungsfreiheit rufen
  • Google, das auf Youtube einfach mal das Video in Libyen und Ägypten sperrt, weil es ja für die Menschen dort gefährlich sein könnte, was einige Fragen aufwirft
  • deutsche Medien, die mal wieder das Bild des marodierenden, säbelschwingenden Muslims (Nachrichtenfaktoren: Negativität, Kuriosität, Elite-Land, usw.) bedienen können, und so kulturvermittelnde Ansätze plattmachen
  • abgehalfterte Journalisten, die mal wieder das Internet als Feinbild ausmachen (als hätte es keinen Salman Rushdie gegeben)

Also ingesamt eine prima Ausgangssituation für eine aufgeregte Debatte, bei der leider nur die Arschlöcher gewinnen können.

6 Kommentare

  1. John F. Nebel says:

    Da gibt´s auch ein Tumblr: http://muslimrage.tumblr.com/

  2. paul says:

    Hier ist nur die Frage, wer sind die Arschlöcher????

  3. vera says:

    @John
    Merci! Und ‚tschuldjung für den doofen Link, hab nicht aufgepasst.

Antwort auf John F. Nebel Cancel Reply