18% Frohe Weihnachten!

Mein subjektives Freiheitsempfinden erhält ab und zu derbe Dämpfer. In einer Umfrage sprachen sich gerade 80 Prozent der Deutschen für mehr Kameraüberwachung aus. Nur 18 Prozent sind gegen eine Ausweitung. Wenn man diesen Zahlen glauben mag, gibt es ein unstillbares Verlangen nach mehr Überwachung, das auf einem subjektiven Unsicherheitsempfinden der Menschen beruht. Denn ein Kriminalitätsanstieg lässt sich seit Jahren nicht feststellen. Im Gegenteil.

Eine Studienarbeit der HU Berlin (PDF) zum Thema stellte fest:

Anhand von Kamerastadtplänen verschiedener Initiativen wie der „Leipziger Kamera“ wird deutlich, dass viele Zentren größerer deutscher Städte zu weiten Teilen mit privaten und staatlichen Kameras überwacht werden.

Trotz der eh schon rasant fortschreitenden Ausweitung der Kameraüberwachung, gehört die Forderung nach „noch mehr“ zum Standardrepertoire von Law & Orderpolitikern. Es wird gar nicht mehr gefragt, ob überhaupt, sondern wieviel überwacht werden soll. Auf tagesschau.de räsoniert ein „Rechtsexperte“ des SWR nicht mehr über die grundrechtlichen Implikationen der Überwachung, sondern nur noch über praktische Probleme. Da wird nach dem Motto argumentiert, es koste vielleicht zuviel Geld, die Polizei sei mit der Auswertung überfordert und Karlsruhe könnte ja Probleme machen. Deswegen fordert der „Experte“ lieber moderat die Speicherfristen hochzuziehen und die Überwachung nach und nach auszubauen. Kritisch und rechtlich hinterfragen sieht anders aus.

Mal abgesehen davon, dass wir in einem der sichersten Länder der Welt wohnen, hilft Kameraüberwachung nicht gegen Schläger, Räuber und Vergewaltiger. In Wien wurde vor kurzem eine Frau in der U-Bahn vergewaltigt. Kameras filmten die Tat drei Stationen lang mit. Die Tat haben die Kameras selbstverständlich nicht verhindert.

So kommt denn auch die oben zitierte Studie zum Schluss:

Verschiedene Studien über den Einsatz rechtfertigen ernstzunehmenden Zweifel an der Tauglichkeit der Videoüberwachung. Besonders der präventive Nutzen scheint für die meisten Fälle widerlegt zu sein, und auch der Einsatz zur Aufklärung von Gewalt und Verbrechen sowie zur Vermittlung eines Sicherheitsgefühls hat bei weitem nicht den erhofften Erfolg. Dabei ist zu betonen, dass die mangelnde Tauglichkeit weder der Qualität noch der Quantität der eingesetzten Technik geschuldet ist, also durch noch engere Überwachung und schärfere Bilder zu beheben wäre, sondern in der Art und Weise der Reaktion der Menschen auf die Kameras begründet liegt. [..]

Personen, die die Überwachung befürworten und von einem tatsächlichen Sicherheitsgewinn ausgehen, könnten sich in unerwarteten Gefahrensituation wiederfinden, in denen ihnen wider Erwarten nicht geholfen wird, oder mindern ihre eigene Zivilcourage, da die Verantwortung auf diejenigen verschoben wird, die vermeintlich hinter den Monitoren sitzen. Und schließlich eine dritte Gruppe von Personen, gegen die sich die Videoüberwachung wie postuliert eigentlich richtet: Personen, die tatsächlich Verbrechen oder Gewalt ausüben. Diejenigen, die Gewalt im Affekt ausüben, handeln in solchen Situationen meist ohnehin nicht als rational denkende Individuen, bedenken also die Existenz der Kameras nicht in ihrem Handeln. Und diejenigen, die organisierte Kriminalität betreiben oder, wie so oft als Argument genutzt, sogar einen terroristischen Anschlag durchführen, passen sich wie zu erwarten an die gegebenen Situationen an und planen Überwachungssysteme gezielt mit ein.

Der Ruf nach mehr Überwachung ist also nichts weiter als Aktionismus. Mit zweifelhaftem kriminologischen Erfolg, aber sehr schädlichen Folgen für Freiheit und Bürgerrechte. Es ist bedenklich, dass dieses gewichtige Argument nur noch ein Nebenschauplatz in der Debatte ist.

4 Kommentare

  1. Klaus Minhardt says:

    Das Wasser mit dem Frosch ist langsam zu erhitzen!

    Mit „Law and Order“ gewinnt man Wahlen ist die Devise aller Innenminister und der großen Parteien. Außerdem kann man mit der Krimminalisierung des gesamten Volkes Macht ausüben.

    Ob Vorratsdatenspeicherung oder die Kriminalisierung kleinster Delikte, der Bürger muss ständig das Gefühl haben etwas falsch zu machen und dank Überwachung dabei auch erwischt zu werden.

    So kuscht das Volk und wir erhalten eine Demokratur mit Sklaven, die noch nicht einmal ihre Versklavung bemerken.

    Dagegen werden die schweren Straftaten der Mitglieder des Machtapparates ignoriert.

    Wo bleibt die Verfolgung der Abgeordnetenkorruption? Nachdem diese Forderung lange im Raum stand, hat man sich entschlossen mit einer Antikorruptionsrichtlinie bei den Trinkgeldern für Müllmänner zu beginnen.

    Die Straftaten der Bankster UBS und HSBC werden nicht mit fetten Gefängnisstrafen geahndet. Die Rechnung wird in Form von Strafzahlungen den Aktionären aufgebürdet. Die Täter bekommen Boni.

    Misswirtschaft und Fehlplanung (von Korruption rede ich noch gar nicht) bei BER, Elbphilharmonie oder S21 und anderen Großprojekten führen nicht zum Rausschmiss der verantwortlichen Politiker, sondern nur zur Belastung des Steuerzahlers. Die Beteiligten einigen sich immer darauf, dass irgendwer anderes die Rechnung bezahlen soll.

    Wo bleibt da die Überwachung? Was ist mit Transparenz?

    Warum wollen wir mit Videoüberwachung einen Eierdieb fangen, wo wir doch ganz einfach mit Offenlegung von Unterlagen, Ausschreibungen oder beteiligter Lobbyisten Straftaten und Verfehlungen in immensen Dimensionen verhindern bzw. aufklären könnten.

    Der Datenschutz von Firmen und Politikern gilt immer als höchstes Gut, während die Privatsphäre der Bürger nichts mehr zählt.

    Das nennt man in Deutschland gutes Investitionsklima. Auf anderen Kontinenten nennt man das Bananenstaat!

  2. Volker Birk says:

    Eine Umfrage hat ergeben, dass 80% für mehr Kameraüberwachung sind.

    Gefragt wurden Festnetzanschlussbesitzer tagsüber zuhause, ob sie für mehr U-Bahn-Prügeleien und Vergewaltigungen oder aber stattdessen für mehr Kameraüberwachung sind.

  3. Klaus Minhardt says:

    Das waren bestimmt die gleiche 80%, die ja auch schon gegen Google Streetview waren. Diese permanente Überwachung der Wohnungen durch Google sei ja unerträglich. Es ginge ja auch nicht, dass diese Pädophilen die Kinder am Spielplatz über Streetview angaffen.

    Weil sie Überwachung so lieben, sind Deutsche ja auch die Schlusslichter bei der Nutzung von Facebook und G+.

    Nein! Wir lieben unsere Privatsphäre und wir benötigen keine Infrastruktur eines Polizeistaates.

  4. dermehler says:

    Erst wenn Politiker bei der Übernahme von Platiktüten/dicken Umschlägen o.ä. von öffentlichen Kameras gefilmt und an den Pranger gestellt werden könnte sich die Situation ändern…Naja man darf ja noch träumen-die Gedanken sind (noch) frei!

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