Die Zukunft wird Science Fiction sein

Vor 10 Jahren konnte sich niemand vorstellen, dass wir einmal mobile Computer mit einer Speicherkapazität von mehreren Gigabyte mit uns herumtragen werden. Auf meine erste erste Diskette passten einige Dutzend KB. Das erste Mobiltelefon hatte die Größe und das Gewicht eines Backsteins und funktionierte nur mittels Zusatz-Koffer samt Antenne. Meine Jugend verbrachte ich mit dem Zocken von „Captain Comic“. Das Aufrufen ging nur über Kommandozeile unter MS-Dos. Ein Spiel in 3D-Grafik, bei dem ich die Heldin durch Körpersprache steuern kann, hätte ich mir niemals träumen lassen. Als ich einer Grundschul-Freundin das Internet zeigte und wir mehrere Minuten auf eine episch langsam ladende Bildgrafik warteten, fand sie das langweilig. Heute postet sie Urlaubsbilder auf Facebook und ich arbeite im Home-Office über Online-Anbindung. Genau genommen gäbe es ohne das Netz die meisten Jobs, die mein Jahrgang macht, gar nicht.

Wer nicht online ist und Facebook und andere Datenhalden meidet, meint nicht selten, der ausufernden Überwachung durch Vorratsdatenspeicherung, PRISM und Tempora entgehen zu können. Doch den Überwachungssystemen, die gerade von Staaten in aller Welt installiert werden, wird sich in Zukunft niemand mehr entziehen können.

Eine voll vernetzte Zukunft erwartet uns.

Technik wird unser Leben revolutionär verändern. Ein Blick auf Technik-Messen und Forschungsprogramme ist besser als jeder Science-Fiction-Roman. Durch Sensoren und Unfall-Meldesysteme in meiner Wohnung werde ich im Alter viel länger unabhängig bleiben können. Gegen die Sehhilfe, die ich eines Tages nutzen werde, kann Google-Glass einpacken. Mein Kühlschrank wird mich vor schlechte Milch im Kaffee warnen und rechtzeitig nachbestellen und wissen, wie oft die Woche ich Rindfleisch esse. Und mein intelligentes Stromspar-System erinnert mich daran, wie oft ich im letzten Jahr Licht im Flur angelassen habe. Das Auto kann die programmierte Route vielleicht schon bald alleine fahren. Und wenn ich Spiele, dann nur mit einer virtuellen 3D-Welt, in der ich mit dem Körper des Protagonisten eins bin. In den Nachrichten werden vielleicht eines Tages Bilder von Kriegen gezeigt, die unsere Drohnen für uns austragen. Es wird kaum noch einen Bereich geben, der nicht durchdrungen ist von elektronischer Datenverarbeitung.

Wir entwickeln einen Haufen derbe geiler Technik, krasse Hardware und Software, die einfach nur Kunst ist. Wir können damit Utopien zum Leben erwecken, neuen Geschäftsmodellen eine Chance geben und so viel mehr Freiheit für jeden schaffen. Unabhängig von Alter, Geschlecht, Herkunft oder Bildung kann hier jeder seinen Gedanken eine Stimme geben. Aber wir Menschen sind gerade dabei es derbe zu versauen. Wir erlauben Unternehmen aus unseren Taschencomputern Peilsender zu machen und unsere ausgetippten Gedankenanfragen in Suchmaschinen auszuwerten. Aus so profanen Interessen heraus wie Werbung für Schuhe, Pornos und Bio-Kaffee. Das ist obszön. Wir lassen zu, dass Geheimdienste internationale Überwachungsbündnisse gegen ihre Bürger schmieden und bei Unternehmens-Datenbanken durch extra dafür gemachte Hintertüren nach Belieben ein- und ausgehen. Haben wir nicht aus unserer Geschichte gelernt, zu was allmächtige Geheimdienste fähig sind? Das ist schlimmer als Orwells Überwachungs-Televisor in jeder Wohnung. Denn hier werden unsere Gedanken gerastert und im Zweifel gegen uns verwendet. Derartige Systeme werden in Zukunft tausende Aspekte unseres Lebens erfassen können.

Wir werden nackt sein.

Wissen ist Macht. Ich bin nicht von zu Hause ausgezogen damit meine digitalen Vier Wände jetzt regelmäßig von Vater Staat und Mutter Wirtschaft durchwühlt werden. Ich möchte nicht, dass sich jemand ungebeten Administrator-Rechte in meinem Leben an sich reißt. In einer Demokratie ist der Bürger Souverän und eine derartige Behandlung degradiert den Souverän zum Untertan der auf Kommando blank ziehen muss vor der Obrigkeit. Ich liebe Technik, aber warum werden Smartphones als Peilsender ausgeliefert, Betriebssysteme mit Geheimdienst-Hintertüren verkauft und egal was ich nutze Abhörschnittstellen für den Staat bereitgehalten? Das ist nicht die digitale Freiheit die wir meinten als wir uns aufmachten Technik in unser Leben zu lassen. Das ist die digitale Entmündigung einer ganzen Gesellschaft durch Wirtschaft und Staat. Politisch gewollt.

Die Karten der Macht werden bei jeder technologischen Revolution neu gemischt. Es wird Gewinner und Verlierer geben. Bei der Wirtschaft ist bereits jetzt in vielen Branchen deutlich, dass sich Markt-Machtstrukturen verändern. Alte Vormachtstellungen bröckeln und neue Monopole erblühen. Wenn 3D-Drucker erst einmal für die Masse erschwinglich sind, werden wir lachen über die Filesharing-Internetsperren-Zensur-Debatten, denn dann werden ganz andere Industrien unter fadenscheinigen Vorwänden gegen Tauschbörsen schießen. Der arabische Frühling hat gezeigt, dass sich auch das Verhältnis zwischen Staat und Bürger verändert: Es wird mehr Mitsprache, Öffentlichkeit und Transparenz eingefordert. Das Internet ist in den Händen der Opposition eine unendlich mächtige Waffe der Öffentlichkeit, gegen die selbst Geld und Gewalt nichts ausrichten können. Genau deshalb wird das Netz auch in vielen Ländern gefiltert, zensiert und überwacht.

Das Netz nützt den Interessen der vielen, nicht denen der wenigen.

Freies Netz ohne Überwachung ist nicht etwa wichtig um Filesharing zu schützen (jedenfalls nicht nur). Entscheidender als der Verteilungskampf zwischen Verwertern und Nutzern ist der Schutz der kritischen Infrastruktur der digitalen Demokratie der Zukunft mit der alles – von meinem Toaster bis zu meinem Auto – einfach alles vernetzt sein wird. Freie Software und offener Quellcode sind wichtig, nicht etwa weil ich Apple oder Microsoft nicht sonderlich mag, sondern weil ich im Alter mit 70 einmal keine Hintertüren für Geheimdienste oder die Werbe-Industrie in der Software meiner Sehhilfe haben will. Die dann vielleicht darüber entscheidet, was ich sehe und was nicht. Eine Demokratie ist immer nur so stark wie ihre Bürger. Wer von seinem Gegenüber voll und ganz durchleuchtet wird, fühlt sich nicht stark, sondern ausgeliefert und ohnmächtig. Ich will, dass wir mehr sind als die Summe unserer Daten. Ich will Politik für mich als Subjekt und keine objektorientierten Überwachungsprogramme.

Liebe Menschen, bitte versaut es nicht.

Das ist gerade eine einmalige Chance für die Menschheit eine Gesellschaft zu bauen, von der wir in utopischen Science-Fiction Romanen geträumt haben. Wir lassen Maschinen für uns arbeiten und schaffen Güter, die wir unbegrenzt teilen können. Haben instant Zugang zum größten Gehirn der Menschheit. Trefft jetzt die richtigen Entscheidungen. Entmachtet die digitalen Monopole. Rüstet die Geheimdienste ab. Nehmt dem Staat seine Stalking-Tools. Steckt die Steuermilliarden in coole Tools und Software, die für uns statt gegen uns arbeitet. Sonst leben unsere Kinder irgendwann ohne Vorhänge und mit Zweitschlüssel für Staat und Wirtschaft in einem digitalen Hamsterrad. Das ist nicht die digitale Freiheit, von der unsere Eltern einst Science-Fiction träumten. Das ist schöner Wohnen in der überwachten Welt.

 

Die Autorin Katharina Nocun ist Netzaktivistin und seit Mai 2013 politische Geschäftsführerin der Piratenpartei. Dieser Artikel erschien zuerst am 22. Juli auf ihrem Blog kattascha.de.

Ein Kommentar

  1. martin däniken says:

    „Depp bleibt Depp,da hilft auch keine App!“ Technologie macht den Menschen nicht weniger dumm oder gierig. Im positiven also neugierig und stur eine Idee verfolgend ohne darauf zuhören wenn die anderen sagen:“Das geht nicht.“ Und im negativen brauche ich es nicht zubeschreiben,oder. Technologie macht uns nicht automatisch zu besseren Menschen. Das ist gefährlicher Idealismus! Aber ein nicht umzubringender Irrglauben!! Und wenn man sich die Ursprünge der vielgelobten Demokratie anschaut,da war immer das Steuernzahlen und der Berechtigung zu Wählen.Ohne finanzielle Beteiligung funktioniert es nicht.Und wer am meisten investiert hat die grösseren Rechte.“Wer zahlt schafft an.“ Das muss einem nicht gefallen und einige wollen das auch nicht wissen(Idealisten!),aber diesen wichtigen Faktor auszulassen wäre dumm.

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