Hans Memling - Mystical Marriage of St.Catherine

Heiratet! Ein anti-koloniales Plädoyer zum heiligen Sonntag.

CC-BY Cea (flickr)

Romantische Liebe ist eine ästhetische Angelegenheit, die Ehe eine Frage der Rechte. Insbesondere EuropäerInnen sind da BewohnerInnen ehemaliger Kolonialstaaten gegenüber verpflichtet.

Der einzig tragbare Grund vor dem Staat zu heiraten, ist Flüchtlinge und Illegalisierte durch eine Hochzeit vor Abschiebung zu bewahren. Gott ist tot und der Staat ist ein patriarchales Gebilde, mit dem ich nie und nimmer meine intime Liebesbeziehung teilen würde.

Warum sollte man sich also noch in der Kirche oder dem Standesamt das Ja-Wort geben?! Meine Mutter spricht vom Bekenntnis, Steuern sind immer wieder ein beliebter Grund. Das macht beides Sinn, aber es heißt immer noch nicht, dass ich dazu die Person heiraten muss, mit der ich regelmäßig knutsche.

Nee, ich habe einen anderen Traum: wir finden ein Liebespaar, das abgeschoben werden soll. Wir bauen Vertrauen zueinander auf und heiraten quer! So können die beiden bleiben, alle sparen Steuern und können uns doch auf der gemeinsamen Party vor allen Freunden zueinander bekennen. Und obendrauf haben wir dem Schweinesystem wieder mal ein Schnippchen geschlagen!

Offener Brief an das Bundesamt zur Anerkennung der Flüchtlinge

Offener Brief an das Bundesamt zur Anerkennung der Flüchtlinge

Und was ist mit der Romantik, mit gemeinsamer Ewigkeit und tiefenpsychologischer Verschmelzung?! Der Philosoph Alain Badiou beschreibt romantische Liebe als wunderschönes, doch völlig weltfremdes Kunst-Produkt. Wir stehen mit jeder Beziehung immer im Kontext unserer Gesellschaft und Geschichte. Na da kann man doch mit umgehen – verspielte Romantik zelebrieren und unserer Verantwortung trotzdem gerecht werden!

Ich habe immer gesagt, dass ich sieben mal heiraten will. Und am liebsten immer die selbe Person, mit der ich immer wieder auf ein Neues das Bekenntnis feiere, dass wir füreinander da sein wollen und uns mögen. Mal orthodox-christlich in Lateinamerika, mal neohippiezistisch bei Vollmond auf einer Waldlichtung, natürlich in Las Vegas und sicher auch mal als Kiezhochzeit, wie sie in den Achtzigern schon als Alternative zur Staatshochzeit gefeiert wurde. Ist doch schön, sich alle paar Jahre zu fragen „und, willste mich immer noch heiraten?“ Unsere Beziehungsform kann sich da ruhig verändern, dieses zwanghafte Sex-Wohnung-Glücklichsein-Paket ist ja schon befremdlich.

Aber der Staat kann mich mal. Immerhin hat er faktisch Verfügungsgewalt über meinen Körper. Breche ich ein Gesetz, kann er mich wegsperren und füttern wie er will. Erst seit 1997 ist Vergewaltigung in der Ehe strafbar. Gerechtigkeit war noch nie das selbe wie das Gesetz.

Waren, Geld und Informationen dürfen frei um den Globus fließen – nur Menschen aus den ehemaligen Kolonialstaaten können nicht über die Grenzen. Es ist nicht nur eine gute Idee, Flüchtlinge zu heiraten, es ist unsere historisch gewachsene Pflicht. Wer die Welt verändern will, muss nicht die Macht ergreifen, sondern verteilen. Auch die Macht, die wir mit dem Pass angeboren bekommen.

Als künstlerischen Akt macht es ästhetisch Sinn, in Liebeswolken der Zweisamkeit einzutauchen – doch als Akt der Menschlichkeit ist es unsere Pflicht, jemanden durch ein einfaches Ja-Wort vor Lagern, Abschiebung und Residenzpflicht zu schützen. Alles andere wäre weltfremd.

Mehr Infos findet ihr unter www.schutzehe.com

[eine ähnliche Version dieses Artikels wurde in der Printausgabe der anarchistischen Zeitung Contraste veröffentlicht]

5 Kommentare

  1. paula says:

    Jo, ich frag mich, ob da der perfide Ansatz vom „The White Man’s Burden“ a la William Easterly grüßen lässt? Ich glaube nicht, da es nicht auf eine Entwicklungshelfer-Geste sondern eher um eine Direkte Aktion geht die einen selbst aus der Konfort-Zone holt. Vor 20 Jahren war es in der AntiRa Szene leider noch selbstverständlicher Schutzehen einzugehen…

  2. carlo says:

    Na so ein Quatsch.

    Eine Schutzehe ist ein nettes, seriöses und aufopferndes Geschenk, das man jemandem machen kann. Aber dass man dazu verpflichtet sein soll, seh ich überhaupt nicht ein (auch als jemand, der ohne den Aufenthaltsschutz durch die Ehe vermutlich nicht geboren worden wäre). Wäre ein Eheschluss mal so ruckzuck erledigt und hätte für beide Parteien nur positive Folgen, könnte ich das noch einsehen. Aber im Artikel klingt das so wie heiraten – und dann ist alles gut. Sozialrechtlich kann das aber für den deutschen Teil der Ehe ernste Folgen haben (Einkommens- und Bemessungsgrenzen bei Hartz IV bspw., Unterhaltspflicht, Teilung der Altersvorsorge), einige davon kann man auch nicht durch Eheverträge negieren. Der nichtdeutsche Part begibt sich außerdem in eine extreme Abhängigkeitsposition einer einzelnen anderen Person gegenüber – sicher besser als die Alternative Abschiebung. Fraglich ist aber, ob damit tatsächlich die angeprangerten kolonialen Strukturen aufgebrochen werden …

  3. winfried says:

    Und die Frage bleibt: why not?

    Weil es einen in Schwierigkeiten bringen könnte, ja, das mag sein. Aber das ist mir dann doch etwas zu sehr auf anti-solidarität. Solidarität nur da, wo es einen selbst nicht stört ist irgendwie weird. Das man das nicht ohne reflektierten Unterstützerkreis machen sollte, um die entstehende Abhängigkeit aufzufangen ist sehr wichtig, ja!!! Das ist keine Sache zwischen zwei Menschen! Und vom Zeitaufwand ist es doch in etwa wie andere sich dafür entscheiden, ein mal die Woche für ihren Ortsverein zu arbeiten. Dann geht man eben zum Ausländer_innenbehörde und übersetzt Dokumente als „ehrenamtliche Arbeit“. Ich finde das Argument, dass man ja damit die Leute in ein Abhängigkeitsverhältnis doppelmoralisch: das sollten die Illegalisierten doch selber entscheiden, oder?!

    Der Artikel stellt das alles so einfach da, aber evtl müssen die Türen doch eingerannt werden, oder?

    Was zum kotzen ist ist dieses „moralische Pflicht“ – das spielt mit Schuldgefühlen, eine christlich-bürgerliche Kulturleistung, gegen die sich der Autor doch schon in der Hetze gegen Romantisierungen bemüht…

  4. endnutzer says:

    ich gebe herrn von ribbeck durchweg recht, halte aber die obgleich nützlichen informationen von herrn carlo für über das ziel hinausschießend und fordere im gegenzug umgehend eine entschuldigung der bundesrepublik deutschland für jene permanente entgleisung.

  5. Garnet Bräunig says:

    In den 80iger Jahren, als ich Anfang 20 war, haben das relativ viele in meinem Freundes- und Bekanntenkreis gemacht. Ich auch. Schwierigkeiten hat es immer nur bei den romantischen Liebeshochzeiten gegeben.
    Wenn man Single ist bzw. eine Beziehung ohne Trauschein führt und der Partner einverstanden ist – warum denn nicht?
    Ich würde es jederzeit wieder machen.

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