Wieviel Aktivismus darf Journalismus?

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Patrick Beuth und Kai Biermann fragen anhand von Glenn Greenwalds Keynote auf dem Hackerkongress 30C3 nach der Grenzziehung zwischen Aktivismus und Journalismus:

Glenn Greenwald ist längst nicht mehr nur Journalist. [..] Greenwald hat in seiner Rede eine Grenze überschritten, als er „wir“ sagte statt „ihr“. Er hat sich mit den anwesenden Hackern gemein gemacht, mit den Aktivisten und Bürgerrechtlern. Er sieht sich als einer von ihnen.

Am Ende ihres Kommentars fragen die beiden Netzpolitik-Journalisten, ob das alles überhaupt verwerflich sei. Oder ob die Grenze zwischen Aktivismus und Journalismus klarer gezogen werden sollte.

Die Antwort ist aus meiner Sicht: Journalismus darf von Aktivisten gemacht werden. Journalismus darf Position beziehen. Journalismus darf parteiisch sein. Aktivismus und Journalismus dürfen sich vermischen.

Auf der theoretischen Seite hat das folgende Gründe: Es gibt keinen objektiven Journalismus. Es gibt nur Journalismus, der versucht, sich an Fakten zu halten. Journalismus, der sich selbst Objektivität – und damit einen Anspruch auf Wahrheit – zuschreibt, ist unseriös. Einerseits weil er sich selbst zu etwas Höherem, Unabhängigen vermeintlich Unantastbaren erhebt und andererseits, weil es keine einzelne Wahrheit, sondern viele Wahrheiten gibt.

Vor allem aber: Jedes Medium hat, neben wirtschaftlichen Interessen, auch eine politische Agenda. Diese wird verdeckt, versteckt und verschleiert, indem ich Objektivität behaupte. Journalisten haben Meinungen. Sie sind sind Mitglieder in Organisationen. Sie stehen unter permanentem PR- und Zeitdruck. Sie werden umgarnt, werden Teil des Gegenstandes, über den sie berichten. Sie bekommen Druck von Chefredakteuren, von Anzeigenkunden oder den mangelnden Klick- oder Auflagenzahlen. Sie können gar nicht objektiv sein. Und sie sind es auch nicht.

Journalismus ist aber informativer und transparenter, wenn er sich von der aufgesetzten Objektivität löst und aufrichtig die eigene Subjektivität offenlegt. Das funktioniert allerdings nur, wenn der Autor weiterhin danach strebt, faktentreu zu bleiben und versucht verschiedene Positionen eines Sachverhaltes darzustellen. Die Aufgabe des Postulates der Objektivität darf eben nicht damit einhergehen, dass journalistische Sorgfaltspflicht oder Pressekodex verletzt werden. Es geht um gutes Handwerkszeug, denn sonst wird Journalismus zum langweiligen Pamphlet.

Das ist das Spannungsfeld, in dem sich aktivistischer Journalist, der subjektive Berichterstatter, der meinungsfreudige Reporter und der teilnehmende Journalismus bewegen.

Wenn aber diese Herausforderung gemeistert wird, dann bietet die transparente Subjektivität den Rezipienten die Chance, sich besser eine eigene Wahrheit aus der Medienrealität zu filtern. Denn der Rezipient weiß, woran er ist. Und das ist viel wert.

Um das Ganze nochmal auf eine praktische Ebene herunterzubrechen:
Ist ein Podcast weniger informativ, wenn sich die Berichterstatter auf der Straße mit den türkischen Demonstrierenden gemein machen, dafür aber aus deren Perspektive berichten? Ist Netzpolitik.org weniger informativ, weil man weiß, dass deren Macherinnen und Macher seit Jahren für Grundrechte und die Netzbewegung eintreten? Sind die Enthüllungen der taz zum Vorgehen der Hamburger Polizei weniger informativ, weil man weiß, dass die taz ein linksliberales Blatt ist? Ist Glenn Greenwalds journalistische Arbeit zum NSA-Skandal weniger gut, weil man weiß, dass ihm die Sache ein persönliches Anliegen ist?

Mehr lesen:
Storify „Should a journalist take sides?“
Neues Deutschland: „Achtung, Grenzkontrolle?“
FAZ: Der Journalismus, den Greenwald meint
taz: „Sie dehnen ihre Macht weiter aus“
SZ.de: „Sie wollen die Privatsphäre eliminieren“

15 Kommentare

  1. Alex says:

    Ausgerechnet in der ZEIT erscheint natürlich so ein Artikel? In der ZEIT von Herausgeber Josef Joffe, der bei jeder Gelegenheit den Suppenkasper macht für die Gerhard Schröders und die George Bushs, der sich stets in der Rolle des Agenda-2010-Lobbyisten gefallen hat und den Irak-Krieg öffentlich immer wieder unheimlich toll fand.

    Die ZEIT hat die neoliberale Wende gepredigt wie alle anderen Mainstream-Postillen, und dann kurz den Betroffenen gespielt angesichts der Finanzkrise, kurz den Wendehals gespielt, und jetzt sind sie wieder zurück in der Arena des Immergleichen und jetzt trauen die sich noch, ernsthaft den Zeigefinger zu erheben angesichts angeblicher Journalistischer Distanz und die scheinbar großen Fragen zu stellen. Wo war die ZEIT, als wir sie gebraucht haben? Wo war die Relevanz, wo die Differenz zu den anderen Mainstream-Medien? Und DIE fordern jetzt, versteckt hinter rhetorischen Fragen, JOURNALISTISCHE DISTANZ ein? Die ZEIT? Die Speichellecker-Postille der linientreuen Mittelschicht? Das ist einfach nur noch lächerlich.

    • John F. Nebel says:

      Das ist mir zu pauschal, denn auch Medien bestehen aus zahlreichen Individuen und Interessen. Und vor allem tust Du Kai Biermann und Patrick Beuth unrecht. Die beiden berichten seit Jahren mit großer Sorgfalt zu digitalen Themen.

      • tzm says:

        Ja, ist mir auch aufgefallen. Aber das ist auch genau der eigentlich interessante Punkt. Der Artikel ist eine bestellte FUD-Campaign, mit Betonung auf Uncertainty und Doubt. Ganz klassisch: Die Fragestellung ist schon Blödsinn, eine Argumentation gibt es nicht, und Greenwald so anzugreifen, ist so schräg, daß es in den Fingern juckt, da gegenzuhalten.
        Übrig bleibt – ohne nachvollziehbaren logischen Aufbau – die vage Assoziation „Greenwald“, „Aktivist“, „Grenze überschritten“, „gemein machen“, „Neutralität“ – der greifbare Inhalt dieses Artikels ändert sich nicht, wenn man die Wörter einfach alphabetisch sortiert. Dank der Hitze der Debatte ist Greenwald in der Zukunft zusätzlich „in der Presse umstritten“ und er „polarisiert“.
        Daß Journalisten eine Haltung haben, ist völlig klar. Den kompletten Inhalt des Artikels könnt ihr vergessen. Die einzige interessante Frage hier ist: Wieso schreiben Kai Biermann und Patrick Beuth so einen Kommentar?
        Noch ein schöneres Beispiel für FUD ist der nachgeschobene Kommentar von Jochen Wegner (http://www.zeit.de/digital/datenschutz/2013-12/greenwald-journalismus-aktivismus-neutralitaet)
        Argumentation: null, Wortliste: Tränendrüse++.
        „Natürlich hat auch dieses romantisches Journalismus-Ideal längst Kratzer. Die größte Schramme hat ihm ein Journalist zugefügt, der nach meiner Definition womöglich keiner ist. Glenn Greenwald“
        Seriously? Und alle kaufen das und steigen in eine „Journalismusdebatte“ ein.

      • tzm says:

        Oder kürzer: Ihr habt den Köder geschluckt, aber die Angel nicht gesehen.

  2. hardy says:

    werter john f. nebel.

    ach, wie habe ich mal zeitungen geliebt. also, zu zeiten, als ich noch dachte, es wäre die aufgabe von journalisten, mich zu informieren. nach dem umzug (der regierung) nach berlin war es damit vorbei. wenn jetzt biermann und beuth die (zurecht) getretenen hunde geben und aufjaulen, weil jemand die finger in die eiternde wunde legt, kann ich nur noch den kopf schütteln. für zeitungen gebe ich heute kein geld mehr aus – nicht etwas wegen des netzes, nope, weil ich den zeitungen einfach nicht mehr traue. ich setze ausschließlich auf das wortradio.

    die debatte, ob ein journalist auch aktivist sein darf, ist ja ein witz. greenwald hat einen verroteten körper beschrieben und die debatte dreht sich um „oh, er hat penis gesagt“ und ist ein komplettes ablenkungsmanöver von der eigentlich erschreckendsten message: journalismus ist das schoßhündchen der besitzenden.

    2013 war da ein interessantes jahr. nicht nur, daß wir plötzlich erfuhren, wer zu welchen interessenkreis gehört und mit wem kungelt, nein wir durften auch das komplettversagen der journaille während der wahl erleben. oder den vrsuch der presse, politik zu machen statt sie zu erklären. ich befürchte, das liegt in erster linie daran, dass man nur etwas erklären kann, was man auch versteht …

    nichts für ungut, aber ver######en kann ich mich auch selbst. dafür muss ich den paar familien, die heute noch das betreiben, was früher mal journalismus war, amein geld sonstwo reinzuschieben. dieser kokette rückzug auf das vedikt von friedrichs ist doch nur die eingestandene unfähigkeit, eine eigene meinung zu haben und am ende einen durchgekochten brei an allgemeinplätzen, den ich so in _allen_ blättern als grundtenor serviert bekomme, als „information“ zu verkaufen.

    es ist mir heute egal, wie die zeitung heisst, ob spiegel oder zeit, ob faz oder sz … warum sollte ich mit diesem weichgespülten mist noch lange herumachlagen? es ist alles immer das selbe, regelmäßig veranstaltete treibjagden, mit denen einen mittlerweile unterbelichtete journaille die angeblichen bedürfnisse des lesers bedient.

    der artikel der beiden herren in der zeit war übrigens der letzte, den ich in diesem blatt lesen werde. die offensichtliche hetze gegen das kameradenschwein, dass da eben das betriebsgeheimni verraten hat, ist zu offensichtlich: propaganda für die herrschenden.

    dann liebe gut recherchiertes von gabi weber, marc thörner, martin durm oder wie meine helden aus dem wortradio alle heissen mögen. aber nicht mehr von der „qualitäts“-presse, von der ich jetzt hoffe, daß sie bald einfach verröchelt.

  3. Greenwalds Freiheitskampf in Ehren, gefällt mir die Synonymisierung des Adjektivs „aktivistisch“ mit dem Substantiv „Aktivist“ nicht. Ja, der Journalismus darf kantig und aktivistisch sein, um seiner Aufgabe gerecht zu werden. Eine Doppelrolle, steht ihm keineswegs gut zu Gesicht. Als Nächstes lässt sich Greenwald zum Präsidenten wählen und will trotzdem noch Journalist bleiben, oder wie?
    Fünf gute Gründe gegen eine Doppelrolle als Journalist und Aktivist präsentiere ich hier: http://saatgruen.wordpress.com/2013/12/30/journalist-aber-richtig/

    • tzm says:

      Gerade der Zeit war es noch nicht einmal zu blöd, das hirnlose Gefasel vom „Supergrundrecht Sicherheit“ des Innenministers mit dem sonnigen Gemüt vom Praktikanten nochmal aufarbeiten zu lassen:
      http://www.zeit.de/politik/ausland/2013-07/abhoerskandal-snowden-freiheit-datenschutz
      Soviel zum Thema Unabhängigkeit in der Journaille.
      Wie bereits oben gesagt, es geht hier nicht um die Frage, wie neutral Journalisten sein sollten. Wenn es um diese Frage ginge, gäbe es eine Argumentationskette, die zeigt, daß Greenwald’s Engagement zu handwerklichen Fehlern in seiner journalistischen Arbeit geführt hat. Die gibt es aber nicht.
      Was die Herren Beuth, Biermann und Wegner hier tun, ist erstens die Diskussion auf eine persönliche Ebene lenken, mit emotionsgeladenem Geschwurbel, aber ohne logische Argumentation (u.a. weil diese widerlegbar wäre). D.h. sie diskreditieren hier Greenwald persönlich, ohne auch nur ein einziges Wort über einen tatsächlichen Mangel in seiner journalistischen Arbeit zu verlieren. Fear, Uncertainty, Doubt.
      Auch das dieser Griff ins Klo sofort zerrissen wird ist Teil des Konzepts, mit diesem Ziel ist der Kommentar ja so eine und so völlig Banane geschriebene Frechheit. Das ist ein Beschleuniger für den viralen Effekt des Themas: Jetzt diskutiert der Spiegel auch schon darüber, ob Glenn Greenwald als „Aktivist“ auch Journalist sein darf.
      Der eigentliche Skandal ist, daß sich Patrick Beuth, Kai Biermann und Jochen Wegner zu Handlangern einer Schmieren-Kampagne machen, deren Motivation – das unterstelle ich mal – weniger in einer echten Kritik an Glenn Greenwalds Arbeit liegt, sondern eher im Dunstkreis von Josef Joffes Mitgliedschaft im NeoCon-Bündnis „Atlantische Brücke“ zu suchen ist.

    • tzm says:

      Die NeoCons treffen sich im Verein „Atlantik-Brücke“ und
      „mit diesem Ziel ist der Kommentar ja eine so völlig Banane geschriebene Frechheit“ wollte ich schreiben. Sorry.

  4. Andreas Zech says:

    Der Link – http://saatgruen.wordpress.com/2013/12/30/journalist-aber-richtig/ – ist nicht mehr gültig. Schade.

    Was nun da drin stand, entzieht sich meiner Kenntnis. Sonst würde ich gerne mit diskutieren zu

    „Fünf gute Gründe gegen eine Doppelrolle als Journalist und Aktivist“

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