Persönlicher Nahost-Konflikt

CC-BY GNUCKX

Seit ich Nachrichten das erste Mal bewusst wahrnehme, und das ist jetzt sicherlich mehr als 25 Jahre her, gibt es für mich den Nahost-Konflikt. Auch wenn der natürlich schon viel älter ist. Bis auf eine kleine Phase der Hoffnung Anfang der Neunziger Jahre, habe ich seitdem ein Bild im Kopf, in dem keine der Seiten zu Frieden oder Zugeständnissen bereit, willig oder fähig ist.

Die Bilder und Worte in den Fernsehnachrichten lassen mich nach einen Vierteljahrhundert Nachrichtenkonsum seltsam kalt:

Wie oft habe ich schon Straßenschlachten zwischen palästinensischen Jugendlichen und israelischen Soldaten gesehen? Wie oft wurde von Friedensplänen, Roadmaps, Verhandlungen, Waffenstillständen geredet? Wie oft wurde Gaza bombardiert? Wie oft habe ich diese wütenden Palästinenser-Beerdigungsdemos gesehen? Wie oft irgendwelche anonymen Leichen? Wie oft sollten irgendwo illegal Siedlungen gebaut werden? Wie viele Terroranschläge gegen Israelis gab es schon?

Es bleibt nur ein Matsch aus Hoffnungslosigkeit. Auswegslos. Frustrierend.

Ich habe in den letzten 25 Jahren mit vielen Israelis und Palästinensern geredet. Ich habe Sorgen und Wut beider Seiten gehört. Ich kann mir vorstellen, warum das von Feinden umgebene Israel eine militarisierte Gesellschaft ist. Ich kann verstehen, warum Israel eine Mauer baut. Und habe trotzdem das Gefühl, dass es grundfalsch ist.

Ich habe die Geschichte einer Palästinenserin gehört, die für die Mauer enteignet wurde. Und einer palästinensischen Friedensaktivistin vor Jahren zuhause beim Abendbrot zugehört, die ruhig und besonnen vom Unrecht erzählte, das ihr und vielen anderen täglich widerfährt. Ich kenne einen arabischen Israeli, der sich wie ein Bürger zweiter Klasse fühlt. Immer wieder geht es um Würde, wenn man mit Palästinensern redet.

Ich hatte großen Spaß in Bolivien an einem Salzsee mit Ben, der sich damals gerade von drei Jahren israelischem Militärdienst erholte. Er hat mir die Vielfalt der israelischen Bevölkerung und die Spannungen untereinander erklärt. Und vom äußeren Feind erzählt, der da gelegen käme, damit die fragmentierte Gesellschaft zwischen orthodoxem Superreligiösen und westlichem Ecstasy-Pillenschmeisser nicht auseinanderfällt.

Ich habe kurz nach der arabischen Revolution mit einer Kamerafrau aus Ramallah geredet und aus erster Hand gehört, wie so eine Straßenschlacht im Westjordanland abgeht. Diese Frau war wütend und doch so sympathisch hoffnungsfroh dabei.

Ich weiß, dass mir Tel Aviv als Stadt näher ist als Ramallah oder Gaza. Ich weiß, dass ich niemals unter der Hamas leben will. Und dass ich religiöse Spinner nicht leiden kann. Nirgendwo.

Ich fühle mich als Enkelkind von Nazi-Großeltern verantwortlich, für das Existenzrecht Israels bedingungslos einzutreten. Ich habe geweint, als ich „Ganz normale Männer“ gelesen habe. Ich bekämpfe Nazis, wo ich es kann. Ich werde niemals mit Plattitüden-Hanseln gegen die Politik Israels demonstrieren können. Mit Antisemiten sowieso nicht. Es kann keine Gemeinsamkeit mit Antisemiten geben. Niemals. Gleichzeitig kann ich nicht akzeptieren, dass es Menschen gibt, die jede Kritik an Israel als Antisemitismus diffamieren.

Ich bin genervt von den ganzen Schwarz-Weißmalern, die wahlweise PR-Meldungen der israelischen Armee oder palästinensische Gräuel-Bilder weiterverbreiten. Die sich ganz auf eine Seite schlagen. Und ich meine damit nicht Medien, sondern Privatpersonen. Ich verstehe deutsche Linke nicht, die für die rechte nationalistische Netanyahu-Regierung eintreten. Die Bombardierungen und Militär bejubeln. Und ich verstehe deutsche Linke genauso wenig, die sich an Israel abarbeiten als sei es ein Gegner. Und mit Antisemiten zusammen demonstrieren gehen. Beide Seiten haben jedes Augenmaß verloren. Sie stehen dem Frieden genauso im Weg wie ihre politischen Gegner. Es braucht nicht diejenigen, die sich auf eine Seite schlagen. Es braucht die Moderaten, die den Ausgleich suchen.

Ich finde Tote aufrechnen im Krieg vollkommen daneben, aber kann mich nicht wehren die Assymetrie zu sehen. Und Meldungen vom Einsatz von Streubomben gegen Gaza. Wie kann ich da das Israel, das ich unterstützen will, verteidigen? Wie geht der Spagat? Wie geht Protest, der nicht von Feinden Israels, von Antisemiten, Islamisten, Verschwörungstheoretikern und sonstigem Gesocks unterwandert wird?

Gibt es überhaupt eine Lösung für den Konflikt? Wie kann die unerträgliche Hamas endlich politisch besiegt werden? Kann es jemals wieder Verhandlungen auf Augenhöhe geben? Muss nicht Israel aus der Position der Stärke den Palästinensern entgegenkommen und endlich einen lebensfähigen eigenen Staat ermöglichen? Wer aber gibt Israel die Sicherheitsgarantien, die es dafür braucht? Und wie geht man, wenn es irgendwann einmal soweit wäre, mit den dann verbliebenen radikalen Maximalisten auf beiden Seiten um?

Es gibt in diesem Konflikt viel zu viele Fragen und nur wenige Hoffnungszeichen:

Es sind die Leute, die in Israel für Frieden demonstrieren oder den Militärdienst verweigern und die Palästinenser, die auf zivilen Ungehorsam und friedlichen Protest setzen. Oder die Leute, die Israelis und Palästinenser vernetzen und an einen Tisch bringen. Nur leider sind sie viel zu wenige.

Der Krieg trägt nicht dazu bei, dass sie mehr werden.

9 Kommentare

  1. Klaus says:

    Word.

  2. Pete says:

    Du stellst wichtige Fragen. Doch was können/dürfen wir in diesem Zusammenhang hier tun oder lassen?

  3. Jens Best says:

    Was kann man tun? Wenn man ernsthaft an dem Thema interessiert ist, kann man die Kräfte in Israel stärken, die sich gegen den Trend postionieren und den rechtsextremen Regierungskräften unter Netanjahu, Lieberman und Bennett versuchen eine anderes Denken und ein anderes Handeln entgegenzusetzen.
    Von diesen gibt es sehr viele verschiedene. Seien es Knesset-Abgeordnete, junge Aktivisten und Intellektuelle, die ein andere Denken und Handeln vorleben. Seien es NGOs wie „Breaking the Silence“ oder sei es die dortige Occupy-Bewegung. Fakt ist, dass die soziale Situation in Israel in den letzen zwei Jahrzehnten auch ungerechter wurde. Ein Fokus auf einen äußeren Feind bietet sich an, von diesem Problem abzulenken und genau das macht die rechtsextreme Netanjahu-Regierung.
    Nächstes Jahr im November jährt sich die Ermordung Rabins zum zwanzigsten Mal. Dies kann ein Datum sein, dass in Israel und in der Welt als eine Verpflichtung zum Neuaufbruch gesehen wird.
    Die Kontrolle der Hamas und andere wesentlich extremistischer Kreise ist etwas, das man mit westlicher Begleitung in die Hände der Arabischen Liga legen sollte. Dort gibt es einen der wenigen Kompromisse, die nach Rabin gefunden wurden und der einen Weg zu einer 2-Staatenlösung darstellt.

  4. dot tilde dot says:

    literaturhinweis

    als fortsetzung der gespräche mit ben:

    donna rosenthal: die israelis, beck münchen 2007, vergriffen aber antiquarisch erhältlich

    http://www.zvab.com/advancedSearch.do?author=Rosenthal,+Donna&iref=suggest01

    dann noch croitoru über hamas, gleiches jahr, gleicher verlag

    http://www.perlentaucher.de/buch/joseph-croitoru/hamas.html

    vielen dank für den artikel.

    .~.

  5. Hartmut says:

    Israel ist für mich kein demokratischer Staat, das sind TERRORISTEN!

  6. generatoren says:

    @Hartmut
    Es geht nicht um demokratischen Staat oder nicht, sondern darum wie Israel und Palästina friedlich zusammen leben kann.

  7. Mikael says:

    Noch mehr Literatur:

    Schon etwas älter, aber viele Hintergründe „Palästina und die Palästinenser“
    http://www.boell.de/de/content/palaestina-und-die-palaestinenser-60-jahre-nach-der-nakba

    Leider als Druckversion schon vergriffen, aber als PDF verfügbar.

  8. Tom says:

    Guter Text. Eine Anmerkung. Du schreibst „für das Existenzrecht Israels bedingungslos einzutreten“ Man muss man mit aller Kraft für dieses Recht eintreten. Aber nicht bedingungslos. Weil genau das zu dem führt das wir heute jeden Abend in den Nachrichten sehen. „Bedingungslos“ gibt Israel jedes Recht alles zu machen um bedingungslos diese Existenz einzufordern. Es ist der Nährboden für jedes noch so absurde Argument seine Existenz mit allen Mitteln „zu verteidigen“ ohne auf die eigenen Fehlentiwicklungen einzugehen.

  9. Martin Däniken says:

    Im Nahen Osten hat man leider eine fast undurchschaubare Gemengelage,offiziell!
    Das türkische Militär hat Verträge mit Israel-
    Israel sorgt als böser Bube dafür das Leute die den offiziellen arabischen Machthabern gefährlich werden könnten, das dieses nicht geschieht.
    Denn wenn genügend Fanatiker eine kritische Masse erreichen würden sähe es wirklich übel aus…
    Ich möchte eine andere Deutung des Mordes durch den Mossad in Dubai geben.
    Steffen Seiberts These das Filmen der Operateure bei ihrer Arbeit im Hotel ist falsch. Er meint:Es wäre falsch geplant gewesen. Meine Auffassung ist das der Mossad umgekehrte Reklame praktizierte. „Ihr seht uns bei der Arbeit aber ihr könnt nichts tun!
    Keiner ist sicher wenn wir uns eines Zieles annehmen..!“
    Vieleicht ist es einigen Regimen lieber entweder mit Isreal zukooperieren oder wegzuschauen als tatsächlich massiv gegen Israel vorzugehen..
    Israel muss ich betone muss stark gegen seine Gegner vorgehen ob das nun gerechtfertigt ist oder ob es einem gefällt oder beides.
    Israel kann es sich nicht erlauben halbe Sachen zumachen im Gegensatz zu grösseren Staaten.
    Gegner müssen auf „schwarzer Ritter“-Mass zurechtgestutzt werden…

Antwort auf Jens Best Cancel Reply