Biedermänner und Brandstifter: #Kaltland in den 90ern und heute

Screenshot: Wer Gewalt sät

Obwohl kein Tag mehr ohne rassistische Anschläge vergeht, ist die Diskussion darüber, wie dieser rassistischen Mobilisierung zu begegnen ist, kaum wahrnehmbar. Auf freitag.de habe ich von der Veranstaltung „Was tun, damit’s nicht mehr brennt?“ der Gruppe „Deutschland demobilisieren“ berichtet. Bei der Diskussion wurde deutlich, dass es DIE eine Gegen-Strategie nicht gibt, aber noch viele Handlungsoptionen. Unten habe ich ein paar Punkte noch einmal zusammengefasst, den ganzen Text gibt es hier.

Alle Vorschläge haben ein riesiges Problem: Sie stehen einem gewaltigen rassistischen Konsens gegenüber. Wie soll man auch auf der Straße klar machen, dass bestimmte Äußerungen und Handlungen nicht toleriert werden, wenn Politiker*innen jeden Tag von „Asylmissbrauch“ und „Flüchtlingsströmen“ sprechen, davon, dass „60 Millionen an den Grenzen warten“, derer man Herr werden müsse? Und die Massenmedien dazu die entsprechenden Bilder liefern?

Ali Moradi vom sächsichen Flüchtlingsrat sagte, dass die Helfer*innen permanent einem „populistischen Wettbewerb“ ausgesetzt seien, der ihre Arbeit fast unmöglich mache.

Diese Hetze geht mittlerweile vor allem gegen Geflüchtete aus dem Balkan, meist sind das Roma. „Falsche Flüchtlinge“ titelte der „Fokus“, bei dessen Video mir eben fast schlecht wurde. Die Massen, die Deutschland angeblich überschwemmen, haben die Magazine schon in den 90ern geziert.

Wer Gewalt sät

Um die gegenwärtige rassistische Grundstimmung besser zu verstehen, habe ich ein paar Dokus zu den Pogromen in Rostock angeschaut und möchte vor allem diese hier allen ans Herz legen. Der Film „Wer Gewalt sät: Von Brandstiftern und Biedermännern“ zeigt, in was für einem Klima die Pogrome enstanden sind. Es sind die 90er Jahre, aber es ist genau wie heute.

1991 sind Landtagswahlen, die CDU startet einen Kampagne unter dem Slogan „Asylmissbrauch stoppen“, Volker Rühe fordert die Ortsverbände auf, massenhaft Resolution zu verfassen und liefert das entsprechende Muster gleich mit: Eine weitere Zuweisung von Asylbewerbern sei „in … nicht mehr verkraftbar“. Nur der Name des Orts musste noch eingetragen werden. Einige Kommunen, so sagt der Film, unterstrichen ihre Forderung dadurch, dass die Proteste sehenden Auges eskalieren ließen (ähnliche Berichte kommen heute aus Dresden).

Die Medien machten mit, titelten mit überfüllten Booten, Massen von Geflüchteten, die nach Deutschland wollten. Die dahinterliegende Botschaft war: Diese „Flut“ muss gestoppt werden. Und, Überraschung: Die Leute nahmen das ernst. „BrandSätze – Rassismus im Alltag“ (PDF) lautet der Name einer Studie, die zeigt, wie diese ständigen Botschaften eine Handlungsbereitschaft in der Bevölkerung wachriefen.

Und sogar auf der Pressekonferenz nach den Pogromen sagten die Politiker noch, man müsse nun aber wirklich etwas gegen den „unkontrollierten Zustrom“ tun.

Das Problem war in der Folge nicht der unfassbare Rassismus, sondern die 200 angereisten Antifas, die am folgenden Tag in Rostock demonstrierten – 65 von ihnen wurden festgenommen. Ein Interviewter in dem Film sagt treffend: Während der Staat in RAF-Zeiten Gewehr bei Fuß stand, um die Elite zu schützen, regiert, wenn es um die Schwachen geht, eine lang eingeübte Systemschwäche. Die Rassist*innen fühlen sich bestätigt: Täglich kommt es daraufhin zu weiteren Anschlägen und Übergriffen.

Und deshalb nein, SZ, die 90er sind eben nicht „passé“. Auch heute sagen Seehofer und andere Unionspolitiker, man müsse deutlich von „Asylmissbrauch“ sprechen und Geflüchtete aus dem Balkan entsprechend behandeln – das sei die beste Strategie gegen „Fremdenfeindlichkeit“ (warum auch dieses Wort Quatsch ist, steht hier). Und noch immer beharren sie darauf, dass es sich nur um ein paar „Kriminelle“ handle, die jetzt Heime und Geflüchtete attackieren. Sie wollen einfach nicht einsehen, dass das Problem Rassismus heißt und in der Mitte der Gesellschaft entsteht.

Wo diese Stimmung nicht mit „das Boot ist voll“-Bildern bedient wird, heißt es: „wir sind an den Grenzen unserer Kapazität angelangt“. Wie bürgerliche Handlungsaufforderung an Unbekannt heute klingen, zeigt auch die Dokumentation „Willkommen auf Deutsch„. In dem Dorf Appel bei Hamburg gründet sich eine Bürgerinitiative, wie es sie heute bestimmt zu Dutzenden gibt. Sie will verhindern, dass 53 Geflüchtete in ein ehemaliges Altenheim einziehen. Zehn Geflüchtete sagen diese ganz normalen Anwohner, dürften hier unterkommen. Aber bei 53 „können wir für nichts mehr garantieren.“

Auch das sind die Sätze, die Rostock-Lichtenhagen erst ermöglicht haben. Es sind die Worte in einer „Asyl-Debatte“, die vor allem ein riesiger Brandbeschleuniger für die Pogromstimmung auf der Straße ist.

In dieses Klima immer und überall zu widersprechen, wäre das eine.

Die zentralen Fragen und Folgerungen der Diskussionsveranstaltung „Was tun, damit’s nicht mehr brennt?“ von vergangener Woche waren für mich außerdem:

  • Dass es „die Linke“ zwar hinbekommt, Tausende nach Frankfurt vor eine Bank zu karren, aber diese Mobilisierung trotz der alltäglichen Bedrohungslage ausbleibt.
  • In vielen Stadtteilen, wie in Marzahn-Hellersdorf, übernehmen antirassistische Bündnisse nun seit Jahren die Demokratie-Arbeit, die der Staat leisten müsste. Und das ist ultra-anstrengend.
  • Gibt es überhaupt Bündnis-Partner*innen vor Ort? Den Eindrücken aus Dresden und Freital zu Folge ist im östlichen Hinterland meist nur die Jugend zu gewinnen – die Älteren sind schon vor 25 Jahren vor den Heimen aufmarschiert.
  • Wenn man schon in der Defensive ist, warum nicht versuchen, durch bestimmte Aktionen Zeichen zu setzen? Zum Beispiel durch einen Blockade der kommunalen Info-Veranstaltungen, die regelmäßig zum Forum rassistischer Hetze werden.
  • Viele Refugees trauen aufgrund der alltäglichen Attacken mittlerweile keiner weißen Person mehr. Oft gehen auch die Perspektiven auseinander: Viele Supporter*innen setzen sich für Unterkünfte ein, die Refugees selbst unmenschlich finden und abschaffen wollen – sie wollen in Wohnungen leben.
  • Aus der Defensive in Kaltland rauszukommen, heißt auch, genau diese Forderungen der Refugees zu unterstützen und zu ihren Veranstaltungen zu kommen.
  • Weitere Möglichkeiten, sich einzubringen: Dokumentieren, Informieren, politisch Heiraten, Geld für die Refugee-Bewegung sammeln, etc.
  • Warum ist immer noch kein geeignetes Mittel gefunden, die rassistischen Facebook-Seiten lahmzulegen, über die ein Großteil der rassistischen Mobilisierung läuft?

Aber jetzt erstmal auf Play drücken und sich gruseln. So funktioniert Kaltland.

Gastautor Sebastian Dörfler schreibt für den Freitag und macht Radio-Features für den Bayerischen Rundfunk, zuletzt über Austerität und „Warum unsere Gesellschaft die Armen verachtet“

3 Kommentare

  1. budgetfrage says:

    „Viele Supporter*innen setzen sich für Unterkünfte ein, die Refugees selbst unmenschlich finden und abschaffen wollen – sie wollen in Wohnungen leben.“

    Spätestens an diesem Punkt haben Städte und Kommunen wirklich ein Problem, das sie nicht so einfach lösen können. Viele dt. Städte sind geprägt von Wohnungsmangel und hohen Mieten und sind darüber hinaus oft klamm bei Kasse. Woher also nehmen?

  2. Christel T. says:

    Was in der verlinkten Doku, also der hier
    https://www.youtube.com/watch?v=nE45p6bD5T8
    über die ZAST Rostock-Lichtenhagen erzählt wird, erinnert mich ans heutige #LAGeSo:

    Mit voller Absicht Zustände erzeugen, die die Mär vom vollen Boot stützen und öffentlich vorführen soll.

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