Ich habe Ideale und ich habe mich entschieden, für sie zu kämpfen.

Wir dokumentieren an dieser Stelle die Erklärung von Fabio V., die er vor dem Amtsgericht Hamburg-Altona abgegeben hat. Der 18-Jährige sitzt seit dem G20 unschuldig in Untersuchungshaft.

Frau Richterin, Frau Schöffin, Herr Schöffe, Frau Staatsanwältin, Herr Jugendgerichtshelfer,

Sie müssen heute über einen Mann urteilen. Sie haben ihn als „aggressiven Kriminellen“ und als „respektlos gegenüber der Menschenwürde“ bezeichnet. Mich persönlich kümmert es nicht, mit welchen Attributen Sie mich benennen. Ich bin nur ein Junge mit einem starken Willen.

Zunächst einmal möchte ich sagen, dass die Herrschaften Politiker, Polizeikommissare und Staatsanwälte wahrscheinlich glauben, dass sie den Dissens auf den Straßen aufhalten können, indem sie ein paar Jugendliche festnehmen und einsperren. Wahrscheinlich glauben diese Herrschaften, dass das Gefängnis ausreicht, um die rebellischen Stimmen aufzuhalten, die sich überall erheben. Wahrscheinlich glauben diese Herrschaften, dass die Repression unseren Durst nach Freiheit aufhalten wird. Unseren Willen, eine bessere Welt zu erschaffen.

Nun gut, diese Herrschaften täuschen sich. Sie liegen falsch, das beweist auch die Geschichte.

Denn wie ich mussten bereits unzählige junge Menschen Gerichtsverfahren wie dieses hier durchleben.

Heute ist es Hamburg, gestern war es Genua und davor wiederum war es Seattle.

Sie versuchen, die Stimmen der Rebellion, die sich überall erheben, mit allen „legalen“
Mitteln und „prozessrechtlichen Maßnahmen“ einzugrenzen.

Wie dem auch sei, wie auch immer die Entscheidung des Gerichtes lauten wird, sie wird nichts an unserem Protest ändern. Denn noch viele junge Männer und Frauen, die von den gleichen Idealen angetrieben werden, werden auch weiterhin überall in Europa auf die Straßen gehen, ohne sich dabei um die Gefängnisse zu kümmern, die Sie mühevoll versuchen, mit politischen Gefangenen zu füllen.

Aber kommen wir nun zum Punkt, Frau Richterin, Frau Staatsanwältin, Frau Schöffin, Herr Schöffe, Herr Jugendgerichtshelfer.

Kommen wir zum Punkt.

Wie Sie sich vorstellen können, werde ich heute in Bezug auf die Sache, wegen der ich angeklagt bin, von meinem Recht zu schweigen Gebrauch machen. Aber ich möchte etwas über die Beweggründe sagen, weswegen ein junger Arbeiter aus einer abgelegenen Stadt in den östlichen Voralpen nach Hamburg gekommen ist. Er tat dies, um sein Missfallen am G20-Gipfel zum Ausdruck zu bringen.

G20. Allein der Name an sich hat etwas Perverses.

20 Menschen, Männer und Frauen, welche die reichsten Industrieländer der Welt vertreten, versammeln sich um einen Tisch. Sie sitzen alle zusammen, um über unsere Zukunft zu entscheiden. Ja, ich habe es richtig gesagt: „unsere“ Zukunft. Meine Zukunft, die Zukunft aller Menschen, die heute hier in diesem Saal sitzen, sowie die Zukunft weiterer 7 Milliarden Menschen, die auf unserer schönen Erde wohnen.

20 Menschen entscheiden über unser Leben und unseren Tod.

Selbstverständlich ist die Bevölkerung zu diesem netten Bankett nicht eingeladen. Wir sind nichts anderes als die dumme Schafsherde der Mächtigsten der Welt. Hörige Zuschauer dieses Theaters, in dem eine Handvoll Menschen die ganze Menschheit in der Hand hat.

Frau Richterin, ich habe lange darüber nachgedacht, bevor ich nach Hamburg gekommen
bin.

Ich habe an Herrn Trump gedacht und an seine Vereinigten Staaten von Amerika, die sich unter der Flagge der Demokratie und der Freiheit für die Polizisten der ganzen Welt halten. Ich habe an die vielen Konflikte gedacht, die der amerikanische Riese in jeder Ecke des Planeten anstiftet. Von Nahost bis nach Afrika. Alles mit dem Ziel, die Kontrolle über die eine oder andere Energiequelle zu erlangen. Nicht so wichtig, dass dann immer die gleichen sterben: Zivilisten, Frauen und Kinder.

Ich habe auch an Herrn Putin gedacht, den neuen Zaren Russlands, der in seinem Land systematisch die Menschenrechte verletzt und sich über jegliche Art von Opposition lustig macht.

Ich habe an die Saudis und an ihre auf Terror gründenden Regierungen gedacht, mit denen wir westliche Länder riesige Geschäfte machen.

Ich habe an Erdogan gedacht, der seine Gegner foltert, tötet und einsperrt.

Ich habe auch an mein eigenes Land gedacht, in dem jede Regierung mit Gesetzesdekreten pausenlos die Rechte von Studenten und Arbeitnehmern beschneidet.

Kurzum, das sind sie, die Hauptdarsteller des prächtigen Banketts, das im letzten Juli in Hamburg stattgefunden hat. Die größten Kriegstreiber und Mörder, die unsere heutige Welt kennt.

Bevor ich nach Hamburg kam, habe ich auch an die Ungerechtigkeit gedacht, die unseren Planet zerstört. Es scheint mir schon fast banal zu wiederholen, dass 1% der reichsten Bevölkerung der Welt genau so viel Reichtum besitzt wie 99% der ärmsten Bevölkerung zusammen. Es scheint mir schon fast banal zu wiederholen, dass die 85 reichsten Menschen auf der Welt genau so viel Reichtum besitzen wie 50% der ärmsten Bevölkerung der Welt zusammen. 85 Menschen gegenüber 3,5 Milliarden. Nur ein paar Zahlen, die ausreichen, um eine Vorstellung zu bekommen.

Und dann, Frau Richterin, Frau Schöffin, Herr Schöffe, Frau Staatsanwältin, Herr Jugendgerichtshelfer, bevor ich nach Hamburg kam, habe ich an meine Stadt gedacht: an Feltre. Das ist der Ort, an dem ich geboren wurde, an dem ich aufgewachsen bin, an dem ich leben möchte. Es ist ein kleines mittelalterliches Städtchen, das wie ein Juwel in die östlichen Voralpen eingelassen liegt. Ich habe an die Berge gedacht, die sich bei Sonnenuntergang rosa färben. An die wunderschönen Landschaften, die ich das Glück habe aus dem Fenster meines Zuhauses sehen zu können. An die umwerfende Schönheit dieses Ortes.

Und dann habe ich an die Flüsse in meinem schönen Tal gedacht, die von den vielen Unternehmern geschändet werden, die Genehmigungen haben wollen, um dort Elektro-Wasserwerke zu bauen, unbeachtet der Schäden, die sie der Umwelt und der Bevölkerung zufügen. Ich habe an die Berge gedacht, die vom Massentourismus befallen werden und zu einem grausigen Militärübungsplatz geworden sind.

Ich habe an den wunderschönen Ort gedacht, an dem ich lebe und der an skrupellose Geschäftemacher verscherbelt wird. Genauso wie viele andere Täler in jeder Ecke des
Planeten, in denen die Schönheit im Namen des Fortschritts zerstört wird.

Angetrieben von all diesen Gedanken hatte ich mich also entschieden, nach Hamburg zu kommen und zu demonstrieren. Hierher zu kommen, war für mich mehr eine Pflicht als ein Recht.

Ich habe es für richtig gehalten, mich gegen diese gewissenlose Politik zu erheben, die unsere Welt in den Abgrund treibt.

Ich habe es für richtig gehalten zu kämpfen, damit zumindest etwas auf dieser Welt ein
bisschen menschlicher, würdevoller, gerechter wird.

Ich habe es für richtig gehalten auf die Straße zu gehen, um daran zu erinnern, dass die Bevölkerung eben keine Schafsherde ist und dass sie in Entscheidungsprozesse involviert werden muss.

Die Entscheidung, nach Hamburg zu kommen, war eine parteiische Entscheidung. Es war die Entscheidung, mich auf die Seite von denen zu stellen, die um ihre Rechte kämpfen. Und gegen die, die sie ihnen wegnehmen wollen. Es war die Entscheidung, mich auf die Seite der Unterdrückten zu stellen. Und gegen die Unterdrücker. Es war die Entscheidung, gegen die kleineren und größeren Mächtigen zu kämpfen, die unsere Welt behandeln, als wäre sie ihr Spielzeug. Und denen es dabei egal ist, dass immer die Bevölkerung ihren Kopf dafür hinhalten muss.

Ich habe meine Entscheidung getroffen und habe keine Angst davor, wenn es einen Preis geben wird, den ich ungerechterweise dafür zahlen muss.

Nichtsdestotrotz gibt es noch etwas, das ich Ihnen sagen möchte, ob Sie mir es glauben oder nicht: Gewalt mag ich nicht. Aber ich habe Ideale und ich habe mich entschieden, für sie zu kämpfen.

Ich bin noch nicht fertig.

In einer historischen Zeit, in der überall auf der Welt neue Grenzen entstehen, neue Zäune mit Stacheldraht aufgebaut und von den Alpen bis zum Mittelmeer neue Mauern errichtet werden, finde ich es wundervoll, dass Tausende junger Menschen aus jedem Teil Europas bereit sind, gemeinsam in einer einzigen Stadt für ihre Zukunft auf die Straße zu gehen. Über jede Grenze hinaus. Mit dem einzigen Ziel, die Welt etwas besser zu machen als wir sie vorgefunden haben.

Denn, Frau Richterin, Frau Schöffin, Herr Schöffe, Frau Staatsanwältin, Herr Jugendgerichtshelfer, wir sind nicht die Schafsherde von zwanzig mächtigen Herrschaften. Wir sind Frauen und Männer, die das Recht haben wollen, über ihr eigenes Leben selbst zu entscheiden.

Dafür kämpfen wir. Und dafür werden wir weiterkämpfen.

3 Kommentare

  1. Leider Dokumente dieser Text sehr gut das Problem von Aktivisten: es beginnt schon damit, dass der Name G 20 als „pervers“ zeichnet wird. Eine Abkürzung, die schlicht und ergreifend die Kommunikation effizienter gestalten soll. Was würde der gute Fabio wohl sagen, wenn man aus gleichen Gründen Abkürzungen wie Antifa als pervers bezeichnen würde?

    Viel schlimmer aber ist sein mangelndes Demokratieverständnis. Das vollbesetzt bei den Verhandlungen nicht am Tisch? Doch! Tut es! Man nennt das nämlich Demokratie. Hier zeigt sich, dass Fabio anscheinend demokratisch gewählte Volksvertreter nicht akzeptiert. Dies ist eine gefährliche, antidemokratische Haltung. Es kann sein, dass diese Vertreter nicht seine Meinung vertreten. Aber so geht nun einmal Demokratie, und solange kein besseres System erfunden wurde, wird es auch so bleiben. Ist es Zynismus von mir, wenn ich glaube, dass dieses „Meine Meinung muss zählen“ zu Frust führt, der dann in Gewalt umschlägt?

    In die gleiche Richtung führt ja sein Beispiel des Wasserkraftwerks. Er ist gegen dieses Kraftwerk, dass in den Bereich der erneuerbaren Energien fällt. Kenne ich die Situation in seinem Ort nicht. Faktisch aber zerstört natürlich jeder Kraftwerksbau Natur, denn irgendwo muss das Teil ja hin. Im Folgeschluss spricht sich Fabio hiermit also gegen die Nutzung von Wasserkraft aus, denn die ist ja immer gebunden an gewisse Orte an denen Flüsse fließen. Diese Flüsse sind Natur. Ich gehe mal davon aus dass Kohlekraftwerke und Atomkraftwerke ihm genauso wenig gefallen. Bleibe noch WindenergiepParks, die die Natur aber ebenfalls stören. Natürlich ist Solar Energie die Energieform, die uns langfristig möglicherweise den größten Anteil an Strom liefert. Bis dahin aber ist es ein weiter Weg. Wo also möchte Fabio die Energie für seinen Laptop herhaben?

    Fabio ist jung und da darf man naiv und idealistisch sein, so waren wir alle (hoffentlich) mal. Was seine Generation aber von meiner (ich bin 48) unterscheidet scheint mir ein höheres Maß an Gewaltbereitschaft zu sein. Und das darf eine Gesellschaft nicht akzeptieren.

  2. Jürgen says:

    Hallo, ich gehöre eher zur Generation von Fabio (ich bin jetzt 51). Er demonstrierte gegen die g20 (die 20 reichsten länder) und night gegen die d20 (die 20 besten demokratien).
    Ich bin gegen gewalt gegen polizisten und andere personen.

  3. Jesus says:

    Hallo, ich gehöre keiner und doch allen Generationen seit meiner Geburt an. Allen Generationen kann ich gutes und auch manches nicht so gutes zuordnen. Ein Gutes ist allen gemein, es gab viel Positives was ohne Gewalt erreicht wurde.

    Ich bin Jahrgang 1959, Spanier, konservativ, Pazifist, Demokrat und bin mir bewusst, dass mein Handeln immer eine Auswirkung auf diese Welt hat. Viele sagen „Ich alleine kann doch nichts bewegen“ oder „Ich habe doch keinen Einfluss auf diese Welt“ und anderes. Und doch bin ich überall Teil dieser Welt. Ich bewundere in gewisser Weisse Menschen wie Fabio, der wie ich annehme gewaltfrei an der Demonstration „gegen“ die G20 teilgenommen hat. Ich stimme in gewisser Weise mit Jürgen, Thomas und auch der Haltung von Fabio überein.

    Ich bin weder gegen die G20, die G20 (Entwicklungsländer) oder eines anderen Bundes. Ich würde es nur auch sehr begrüssen, dass alle etwas weniger im Eigeninteresse handeln und etwas mehr das globale Wohl berücksichtigen würden.

    Die G20, die G20 (Entwicklungsländer). G7, G8, …Gx sind alle keine demokratisch gewählten Staatengruppen sondern Verbände „gleichgesinnter“ -oder auch nicht- Staaten mit „gemeinsamen“ Zielen. Die Ziele dieser Staatenverbände könnten im gemeinsamen Interesse der Staaten des jeweiligen Verbandes aber gleichzeitig auch aller Staaten sein -somit aller Menschen. Nicht jede Gruppe muss die gleichzeitig die Welt retten sollte aber auch dazu beitragen, dass sie besser wird.

    Mit der Demokratie ist es halt so eine Sache -existiert immerhin schon seit über 2500 Jahren- und ist noch immer mit Unterdrückung von Schichten und -sehr zutreffend- von Minderheiten verbunden. In einer wahren Demokratie haben Schichten und Minderheiten nichts zu befürchten und jeder Angehörige kann am demokratischen Statt partizipieren. Wir dürfen nicht vergessen, dass es gerade im europäischen Raum die wohl am ehesten demokratischen Staaten gibt. Hier kann im Prinzip jeder sich zu Wahlen aufstellen lassen und auch jedes Amt begleichen. Dafür bin ich dankbar.

    Nebenbei bemerkt, bin ich persönlich nicht der Auffassung, dass Staats-fremde sich an allen politischen Vorgängen beteiligen dürfen. Wie erwähnt bin ich Spanier und werde meine Nationalität auch nicht aufgeben oder eine zweite annehmen. Ich bin wo immer ich auf der Welt mich niederlasse weiterhin ein Spanier und akzeptiere die mich dadurch begleitenden Umstände.

    Vielleicht hat Fabio keinen Laptop, ist mit dem Fahrrad nach Hamburg gefahren, hat ein energetisch autonomes Zuhause und verhält sich insgesamt ökonomisch und ökologisch vorbildlich. Wahrscheinlich gehen bei Ihm auch manchmal -wie bei allen Menschen- persönliche Anliegen vor denen der Allgemeinheit und entschuldigt sich mit dem doch so geringen Einfluss seiner Vorteile auf die „Umwelt“.

    Ich wünschte mir viel mehr Menschen wie Fabio die Ideale haben, welche im Interesse einer gesunden Welt stehen, und auch für diese mit demokratischen Mitteln einstehen -das gefällt mir besser als „kämpfen“. Dazu gehören selbstverständlich auch friedliche Demos, um gleichgesinnte in gesunder Weise zu erreichen und zu unterstützen, sowie die aktive Teilnahme am demokratischen Prozess.

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