Besetzung am Potsdamer Platz

Extinction Rebellion: Der Gegner sitzt nicht in der Blockade

Foto: @xmk2025

Seit Tagen kübeln Rechte und Linke gemeinsam Scheisse über Extinction Rebellion (XR). Nun ist das bei Rechten kein Wunder. Überraschend ist aber, dass sich Linke und Linksradikale lautstark, unsachlich und mit Hass und Eifer am Zerlegen einer neuen und schnellwachsenden Klimagruppe beteiligen.

Die Art und Weise, wie die meiste Kritik ohne Belege und Quellen abgefeuert wird, ist schäbig, dünkelhaft, unsolidarisch und vor allem strategisch extrem unklug. Das Spaltungspotenzial ist groß, der Schaden für die Klimabewegung vermutlich schon angerichtet. Vollkommen ohne Not. In einer Situation, in der die Bundesregierung 1,5 Millionen Demonstranten vollkommen ignoriert.

Natürlich muss XR kritisiert werden

Klar, reibe ich mich als progressiver Mensch an Endzeit-Rhetorik und religiös anmutenden Performances. Sowas kann Esoterikerinnen und Spinner anziehen und es erzeugt Bilder und Assoziationen, die der Klimabewegung als Ganzes schaden können und rechten Dummbeuteln Munition liefern.

Ich muss XR für einen unsensiblen Umgang beim Datenschutz kritisieren. Und natürlich will ich wissen, wieviel Macht die Gründer:innen haben. Klar, finde ich manche Aussagen eines Mitgründers befremdlich. Und natürlich kritisiere ich Aktionen, in denen sich einzelne Ortsgruppen unsolidarisch verhalten haben. Ich könnte auf die mangelnde theoretische Tiefe eingehen. Oder über hippiesken Protest lächeln. Oder mich über die polizeifreundliche Kommunikation aufregen.

Bestimmt tauchen in Zukunft noch mehr Kritikpunkte auf, weil manche Dinge einfach Scheisse sind oder Leute Scheisse bauen. Aber bislang hat XR auch auf Kritik reagiert.

Anschlussfähigkeit als legitime politische Strategie

In jedem Fall ist es kurzsichtig XR vorzuwerfen, dass Antikapitalismus nicht im Programm steht. Oder dass XR ausschließlich auf gewaltfreien und friedlichen Widerstand setzt. Oder dass XR Baukästen für die schnelle Gründung von Ortsgruppen anbietet.

XR ist komplett auf Anschlussfähigkeit und Wachstum getrimmt. Das ist ein Wesenskern dieser Bewegung. Das ist eine Strategie, um mehr Menschen anzusprechen – und nicht nur klassische Linke. Eine Fokussierung auf ein Thema.

Dabei Anschlussfähigkeit mit zivilem Ungehorsam zu verknüpfen, ist super, wenn man an Schlagkraft gewinnen will. Angesichts der sich zuspitzenden Klimakatastrophe ist diese Strategie absolut legitim.

Das eigene Deutungsmonopol zur Weltrettung ist gefährdet

Die zugegebenermaßen lange Latte an Kritikpunkten an XR rechtfertigt nicht, dass Leute, die sich progressiv, links, linksradikal, anarchistisch, kommunistisch, antifaschistisch, whatever nennen – ausgerechnet im Vorfeld einer globalen Klima-Aktionswoche – eine Bewegung und ihre Aktionen in Grund und Boden shitstormen und die Proteste demobilisieren. Koste es, was es wolle. Hauptsache, die eigene reine Lehre bleibt unangetastet.

Oder wie es ein Freund treffend formulierte: Nichts ist für einen wertkonservativen Linken schlimmer als eine neue erfolgreiche Protestbewegung, die das eigene Deutungsmonopol zur Weltrettung bedroht.

Die große Chance, die in XR steckt

Linke Menschen, die nicht komplett neben der Spur sind, würden sich abwartend skeptisch oder (un)freundlich distanziert oder kritisch solidarisch oder zumindest strategisch intelligent zu XR verhalten. In Teilen sieht man das: bei Ende Gelände, beim Peng Kollektiv, bei der Interventionistischen Linken, bei der Hedonistischen Internationale und einigen mehr, die nicht auf den Spaltungszug aufgesprungen sind.

Denn strategisch ist die Sache ein klarer Fall: Eine neue Bewegung schafft es, viele Menschen an Aktionsformen des zivilen Ungehorsams heranzuführen. Ziviler Ungehorsam ist für jede Bewegung, die wirklich etwas verändern will, eine Schlüsselstrategie. Je mehr Menschen Theorie und Praxis des zivilen Ungehorsams kennen, desto schlagkräftiger können soziale Bewegungen in Zukunft werden. Ziviler Ungehorsam geht außerdem oftmals mit Gewalterfahrungen durch die Polizei einher. Auch diese Erfahrungen sind für die Ausbildung von staatskritischen Menschen wichtig.

XR hat hunderte Ortgruppen weltweit. Diese werden alle anders, unterschiedlich und schwer zu kontrollieren sein. Das ist die Chance, die in XR steckt.

Vor diesem Hintergrund kann man doch nicht bei jeder unüberlegten oder unsolidarischen Aktion irgendeiner Ortsgruppe von XR, bei jedem Spruch oder Tweet von irgendeiner Einzelperson von XR und jedem Scheiss, die gesamte Bewegung und alle Menschen, die da mitmachen, verurteilen.

Bewegungen leben von Verbünden, Vielfalt und Ertragen

Protestbewegungen werden erfolgreich durch Vielfalt, Solidarität und unterschiedliche Ansätze. Sie werden stark durch neue Impulse und Menschen, die frisch dazukommen. Sie werden für die Mächtigen gefährlich durch Breite. Wer wirklich etwas verändern will, sollte sich freuen, wenn statt ritualisierter „Haut ab!“-Rufe in einer Sitzblockade auch mal „We are the champions“ angestimmt wird.

Bewegung heißt doch nicht, dass ich jede Gruppe lieben muss. Bewegung heißt nicht, dass ich mit jeder Gruppe vollkommen d’accord gehen muss. Bewegung heißt auch, dass man Gruppen und Menschen ertragen muss, es aber dennoch eine große Schnittmenge zum Erkämpfen eines gemeinsamen Zieles gibt. Verbünden ist nun mal der einzige Weg, diese Welt zu verändern.

Es wird sich früh genug zeigen, ob die Schnittmengen groß genug sind. Extinction Rebellion ist gerade einmal ein Jahr alt.

Lasst sie in der Aktion beweisen, was sie sind, wie sie sind und was sie drauf haben. Seid nachsichtig, wenn ganz viele neue Leute erstmals politisch werden. Gratuliert doch einfach mal, dass der Potsdamer Platz immer noch besetzt ist und ziviler Ungehorsam im großen Stil gemacht wird.

Habt Geduld. Übt solidarische Kritik. Zettelt selber wirksame Proteste an.

Aber kommt verdammt nochmal klar. Die Gegner stehen wirklich woanders.

11 Kommentare

  1. Bobby Langer says:

    Danke für diesen klugen und solidarischen Beitrag. Die Linke ist schon mal massiv auf den Spaltungspilz reingefallen. Die Nazis haben sich damals gefreut – und gewonnen, mit allen Konsequenzen. Diesmal wäre die Konsequenzen noche in Stück krasser.

  2. Muss dem Text in allen Punkten zu stimmen.

  3. L. says:

    Mir scheint, dass du da durchaus einige Punkte genannt hast die ohne jeden Zweifel zutreffen. Ich denke trotzdem, dass du das m.M.n wichtigste und zentrale Problem an XR nicht aufgreifst.
    XR inszeniert sich erfolgreich als „radikale Speerspitze“ der „Klimabewegung“. Sie bilden damit einen Bezugspunkt für zukünftige Aktionsformen und politische Handlungen. Mal ganz praktisch gesprochen, wird es bei den nächsten FFF Plena darum gehen eine Position zwischen Grünen/CDU und XR zu finden um die eigenen Inhalte (die ebenfalls durch diese Dichotomisierung beeinflusst werden dürften) zu transportieren. Fragen nach der Form von Protest werden sich also entlang des von dir schon angesprochenen Anachronismus zwischen „Bewegungslinker“ und innerpalamentarischer Opposition bewegen und damit in gänze negiert. Bewegung als „Anrufung des Staates“ und das sei hier nochmal betont, genau darum geht es XR anders als etwa FFF. Hier liegt eben das Potential dieser radikal offenen Form, anders als etwa bei schon im vorhinein gescheiterten Projekten wie Endegelände u.ä. [das soll das ganze nicht abwerten. Ich stehe hinter deren Zielen und habe mir dafür mehr als enmal eine blutige Nase geholt. Ich bin mir trotzdem sicher, dass ihr Weg! diese Ziele zu erreichen scheitern muss].
    Wenn es also tatsächlich dazu kommt – und die Chancen stehen nicht schlecht -, dass sich XR als radikale Form der Klimaproteste durchsetzt landen wir damit genau in der Miesere aus der wir (und bei diesem Wir würde ich dann trotz allem bleiben) uns lösen wollten. „Die Straße“ als ausdrucksform politischer Willensbildung, die „den Staat“ zum einlenken bringen kann hat ihre Zeit spätestens seit 1989 hinter sich. Wir erleben gerade die größte politische Mobilisierung seit 1969 und wenn jetzt Leute wie XR oder die IL (bei denen ist das zumindest intern umstritten, aber trotztdem) einfach die Scheuklappen aufsetzen und so ein bisschen 60er/70er Bewegungspolitik gepaart mit Taktiken des zivilen Ungehorsams die 1969 in Paris, Berlin und Rom zu einer zweiten Blüte der Sozialdemokratie geführt haben machen, dann ist das ein verdammtes Probleme. Nicht weil diese Leute noch nicht oft genug von Cops misshandelt wurden oder mit ihren Blockaden gescheitert sind um „Nicht Distanzieren“ als primären imperativ solidarischer Praxis zu verstehen, intransparente Machtstrukturen aufweisen oder öffentlich vor sich hin schwurbeln. Das Problem ist, dass hier viel von dem wirklich notwendigen radikalen und rebellischen Pathos den eine einigermaßen glaubwürdige Klimapolitik bräuchte ins nichts geleitet wird. Der Punkt den FFF für sich verbuchen kann ist doch der, es geht nur um Öffentlichkeit. Keine konkreten Vorderungen außer „es muss etwas passieren“, keine geziele Anrufung, kein Aktionismus. Was XR macht, wenn sich einen Kreisel in Berlin besetzen und das nicht mit demm Ziel einfach nur Macht zu demonstrieren, sondern mit der Forderungen an die deutsche Bundesregierung jetzt doch bitte was zu tun ist diese anachronistische Form der „Politik“ als gangbaren Weg zu verkaufen. Das im gleichen Moment die deutsche Regierung aus SPD und CDU ein Papier beschliesst in dem in konsequenz nichts steht als „Der Klimawandel ist uns egal, aber bitte wählt uns trotzdem“ ohne das es irgendeinen Effekt hat ist bezeichnen. Wir haben im letzten Jahr in Frankreich gesehen, was mit Leuten passiert die so vorgehen. Dieser Weg ist einer der seine Zeit hatte, es wäre an uns neue zu finden. Mit den handzahmen Inszenierungen von XR wird das leider nicht gehen, verabschieden wir uns von diesem Traum besser heute als morgen. Insofern scheint es mir tatsächlich der gangbarste Weg sie für ihre mangelnde Konsequenz aus dem scheitern sozialer Bewegungen und der Anrufung von Staaten zu kritisieren ohne ihren rebellischen Gestus auszubremsen und in staatsmännischen Dünkel zu verfallen. Sie als radikalen Flügel der Klimabewegung zu etablieren und damit die politische Ohnmacht der Linken der 80er und 90er Jahre zu reproduzieren wäre dennoch eine Katastrophe.
    XoXo

    • Juls says:

      Wenn aber doch die Straße als Plattform für politische Forderungen nicht mehr „up to date“ ist wie du das sagst, wo soll denn dann der normale Mensch, der nicht zufällig im Bundestag sitzt, hin mit seinen Forderungen?

  4. Burkhard Malotke says:

    Protest und Aktion waren, sind und bleiben wichtig.
    Meine Meinung ist, dass XR oder FfF die Symptome (z.B. CO2, SUV) benennen und aktiv werden.
    Über die Ursachen und Wege ihrer Beseitigung höre ich nichts bis wenig.
    Veränderunge? Welche? Wie?
    Weg mit? Her mit? Nieder mit? – hatten wir schon, die Protagonisten sind fettgewordene ehemalige Außenminister etc.

  5. Franz says:

    „Nichts ist für einen wertkonservativen Linken schlimmer als eine neue erfolgreiche Protestbewegung, die das eigene Deutungsmonopol zur Weltrettung bedroht.“
    Touché! Danke für den ausgewogenen Artikel

  6. Matti Illoinen says:

    Das hat doch nichts mit „links“ oder „rechts“ zu tun, sondern mit Gerechtigkeit. Wie es schon eines der Gelbe Westen auf den Punkt beschrieben hat: „Ihr redet vom Ende der Welt, wir reden vom Ende des Monats!“ Aus Sicht der Arbeiter lässt sich das nicht vereinen

    Wenn ich aber nur immer und immer wieder höre, Autofahren oder das Fliegen müssen teurer werden, und das ständig wiederholt, wird, obwohl es die Sachlage nicht im entferntesten widergibt, dann macht mich das stutzig“

    Die ca 750 Millionen Autos, haben einen Anteil von unter 2% an den Co2 Emissionen, ebenso verhält sich das mit dem Fliegen? Wird aber von den „Greta Fans“ und Klima Aktivisten überhaupt kaum erwähnt.

    Dagegen, die welche wirklich angeprangert werden müssten, sind u.a. die Bauindustrie mit einem Anteil von über 50% oder der Landwirtschaft, und was völlig unterbelichtet ist, ist der gesamte militärische Komplex? Aber da haben die USA beim Kyoto Protokoll, schon damals vorsorglich vorgesorgt, in dem sie den militärischen Komplex nicht im Kyoto Protokoll?

    Auch die Schifffahrt sollen mit mehr als 90 Tausend Schiffe weltweit die größten co2 Emissionen verantwortlich sein? Weil die ja alle mit Schweröl fahren, ein giftiges Abfallprodukt der Ölindustrie, wird aber bei den Aktivisten so gut wie nicht erwähnt?

    Alleine die 15 größten Frachtschiffe der Welt, sollen mehr Co2 Emissionen ausstoßen, als alle 750 Mio. Autos und Flugverkehr zusammen??

    Es dürfte bekannt sein, dass das ganze Projekt Klima „Schutz“ ein Eliten Projekt ist, um eine weitere Massensteuer zu ermöglichen, damit die Rüstungsausgaben weiter steigen können, illegale Kriege, Putschs, und Sanktionen nicht von den Eliten, sondern von den Massen finanziert werden kann. Verkauft als „Klima-Schutz“ Steuer. Recherchiert denn niemand, bevor man sich vor den Karren der Eliten spannen lässt?

  7. Uschi Jo Belitz-Überschär says:

    es sind nicht DIE Linken oder DIE Linksradikalen
    es haben sich wohl Einzelpersonen
    kritisierend geäußert!

  8. Flachsteppenente says:

    Klasse geschrieben! Mich nervt diese dämliche Spalterei ungemein. XR möchte möglichst große Teile des Volks für den Klimaschutz mobilisieren, kämpft auch für das Klima und einem Teil der linken Szene fällt mal wieder nichts besseres ein, als irgendwelche Gründe zu suchen , warum man nicht bei xr mitlaufen sollte. Verstehe ich nicht. Geht doch ums Klima und nicht um linke Ideologie. Kommt mir eh so vor, als würde sich die linke Szene mehr und mehr vom einfachen Volk entfernen.
    Naja auf geht’s, ab geht’s, Ende Gelände (auch gerne mit xr)!

  9. Emma Jansson says:

    Der erste kluge und differenzierte Artikel, den ich bisher zu XR gelesen habe – DANKE dafür! Die sowohl jungen als auch älteren Menschen, die ich bisher in Berlin – auf zahlreichen Blockaden :) – erleben „musste“, wirkten aufgeschlossen und in Bezug auf Umwelt- und Klimafragen durchaus gebildet. Den emotionalisierenden, undifferenzierten und wichtigtuerischen Blödsinn von Fr. Ditfurth, die sich nun auch endlich einmal wieder ins Gespräch bringen konnte: Kaum zu ertragen – es schmerzt beinahe körperlich!
    Mit Ihrer Aussage um das bedrohte Deutungsmonopol der wertkonservativen (Alt-) Linken haben Sie es auf den Punkt gebracht. Bitte berichten Sie (!) weiterhin konstruktiv-kritisch über XR!

  10. Helmut says:

    Was ist denn aus den Beobachtungen des Verfassungsschutzes(vielleicht war’s auch der BND?) zu Teilen XR und Ende Gelände geworden?

    Das sind doch alles Kommunisten! :(

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