Metrolaut Spezial: Die Ausweiser, bitte!

Die Ausweiser, bitte!

Ich versteh nicht was daran so schlimm ist mal den Ausweis zu zeigen.

Muss ich hier jetzt jedem Rede und Antwort stehen?

Da gibts keine Ruhephase hier. Also man muss eigentlich Flüchten, um sich erholen zu können, um auch seiner Tätigkeit nachzugehen.

In den letzten fast sechs Monaten hatten wir gar keine Hausverwaltung.

Das Sperrgebiet vor der Rigaer Straße 94 bis 96 am 26. Juni 2016

Die Rigaer Straße in Berlin im Juni 2016

Eine spontane Reportage vor und in der „Rigaer-94“.

Am frühen Abend des Sonntags des 26. Junis beschließe ich die Rigaer Straße zu besuchen. Ich bin zwar nur in meiner Freizeit als Journalist tätig, habe aber keine große Sorge. Ich habe zwar vereinzelte Kontakte in den dortigen Kiez, betrachte ich sie aber eher als spärlich. Aus der 94 oder dem Hausprojekt selbst habe ich noch keinen Bewohner intensiv kennengelernt.

Teile des Hausprojektes wurden am 22. Juni geräumt. Die Räumung betraf den Gemeinschaftsraum und Sozialtreff „Kadterschmiede“, die angrenzende Werkstatt sowie den Dachboden des Hinterhauses. Sehr medienwirksam wird nun die Begründung präsentiert: Hier sollen nun Wohnungen für Geflüchtete entstehen.

Ich verschaffe mir eine Übersicht: Es Begint eine Länderspiel-Zeit im Fussball, Deutschland gegen die Slowakei. EM-Achtelfinale, die Straße wirkt auch hier soweit recht ruhig. Obgleich eine weitreichende Absperrung aus Hamburger Gittern grenzt die Eingänge zu den Häusern der Rigaer Straße 94, 95 und 96 diese vom restlichen Straßenleben abgrenzt. Die Polizeibeamten gucken Fußball; das Videoüberwachungsfahrzeug bietet einen großen Fernseher.

Seit 5 Tagen dauert diese Installation nun an. Eingerahmt wird die Abseperrung von diversen Polizeifahrzeugen, sie wechseln häufig.

Die rechte Flanke der Polizeiabsperrung

Gefahrengebiete in Berlin

Es ist ein polizeilich kontrolliertes Gebiet: Hier kommt nur rein, wer auch kontrolliert wird. Es ist eines von gemutmaßt rund 30 sogenannter Gefahrengebiete und soll weite Teile des Friedrichshainer Nordens umfassen. Genaueres zur Lage dieser „kriminalitäts-belasteten Orte“ weiss nur die Polizei.

Obgleich das sogenannte „besetzte Haus“, das Hausprojekt „Rigaer-94“, sich nur auf das Hinterhaus erstreckt, betreffen diese verschärften Maßnahmen hier nun jeden Anlieger der drei Wohnkomplexe: Identitätsfeststellung, Abgleich mit zentraler Datei, Taschenkontrollen.

In jedem Gefahrengebiet darf die Polizei diese Maßnahmen gegenüber jeden Menschen ergreifen; explizit ohne einen Verdacht. Das Rechtskonzept erinnert an die Schleierfahndung.

Clemens Arzt ist Professor und bildet an der Fachschule für Wirtschaft und Recht, in Berlin, Polizeikommissare aus. Er hatte jüngst Gelegenheit im Berliner Abgeordnetenhauses aus diese Praxis zu bewerten:

Welche Orte erfasst sind, also was ein gefährlicher Ort ist, weiß kein Bewohner und keine Bewohnerin Berlins. Diese Orte werden systematisch geheimgehalten.

Ich oder die oder der gesetzestreue Bürger oder Bürgerin hat keinerlei Option, sich von solchen Orten fern zu halten.

Aber mit der Idee des Rechtsstaats ist das schon schwerlich kompatibel.

Viele Grundrechte scheinen an jedem kriminalitätsbelasteten Ort (KBO), oder auch Gefahrengebiet, nur selten gegeben.

Es scheint zumindest für jeden Bewohner der Nummer 94 hier nun Standard zu sein. Anwohner aus den anderen beiden Hausnummern scheinen weniger Maßnahmen über sich ergehen lassen zu müssen.

Ich höre ein kleines Wortgefecht: Christian ist Bewohner des Vorderhauses der Rigaer Straße 94. Er diskutiert laut mit einem Polizisten über die Modalitäten seines Gesuchens, wieder nach Hause zu kommen.

Polizist: … wir haben es jetzt fünf Tage, oder wie lange läuft das jetzt hier?

Christian: Genau, richtig. Na dann überlegen’se doch mal: Wie fühlt man sich, wie fühlen Sie sich, wenn Sie in Ihre Wohnung kommen und werden permanent nachm Ausweise gefragt? Sie gehen …

Polizist: Es ging doch nicht um mein Gefühl.

Christian: Nee, doch! Sie sollten einfach mal nen Gefühl haben.

Polizist: Warum schreien Sie mich denn so an?

Christian: Weil Sie scheinbar irgendwas nicht hören. Weil Sie den Stöpsel da im Ohr haben. Oder was weiss ich.

Polizist: Ick höre Sie. Ganz oben.

Christian: Nein!

Polizist: Ich kann Sie ganz gut verstehen.

Christian: Eben. Ich laufe aus meiner Wohnung zum Bäcker. Werde kontrolliert, …

Polizist: Das hab ich … Ich verstehe das.

Christian: … laufe vom Bäcker zu meiner Wohnung, …

Polizist: Ja.

Christian: … werde kontrolliert und das seit 5 Tagen …

Polizist: Sie werden nicht kontrolliert. Sie werden nicht drum rumkommen, …

Christian: Du, das ist hier nen Gaza-Streifen.

Polizist: Ich möchte einfach nur wissen, ob Sie dort gemeldet sind.

Harte Worte. Ich würde mich vielleicht auf „polizeiliches Sperrgebiet“ einlassen.

Christian kommt vom Bäcker. Und will wieder nach Hause.

In der Tat soll er nicht zwangsweise mittels seines Ausweises kontrolliert werden; ein Überprüfen der Meldeadresse oder seines Schlüssel mit dem Schloss seiner Wohnungstür solle genügen. Ein weiteres Zücken seines Personalausweise will er jedenfalls vermeiden:

Christian: Ich wohne hier, bin Anwohner. Das ist meine Versicherung, die spreche ich Ihnen mündlich aus; möchte jetzt hier rein.

Polizist: Haben Sie ’n Schlüssel bei?

Christian: Ja, ich hab ’n Schlüssel dabei.

Polizist: Dann wären zwei Kollegen … Sind Sie damit einverstanden, dass zwei Kollegen Sie begleiten in Ihre Wohnung?

Christian: Bis zum Eingang! Jawoll, in meine Wohnung definitiv nicht!

Polizist: Bis zu ihrer Wohnungstür. Bis Sie die Wohnungstür aufgeschlossen haben …

Christian: Außer Sie wollen da …

Polizist: … Sie haben die Tür aufgeschlossen und gehen in die Wohnung rein.

Christian: Ja; ungefähr 3 Meter Abstand! Dann bin ich damit einverstanden..

Polizist: Sie alleine?

Christian: Genau.

Ich: Darf ich Sie begleiten?

Christian: Nein. Entschuldigung; das ist mein Bekannter, den möchte ich mitnehmen.

Polizist: Von dem möcht ich die Ausweise haben.

Christian: Warum?

Polizist: Die sind doch offenbar hier nicht gemeldet, oder?

Christian: Ja, aber wenn er Gast bei mir ist? Wenn ich ihn nen Bier anbiete; hier, ’n Bier anjeboten, möchte ihn jetzt mitnehmen.

Polizist: Ja, das ist ja auch vollkommen richtig …

Christian: Ja, und?

Polizist: … das kann er ja auch.

Es geht ersteinmal nicht um mich. Einen umstehenden Menschen möchte Christian nun als Besucher mitnehmen. Dieser spontane Gast wohnt allerdings im Hinterhaus der Rigaer-94.

Dem Polizisten wurde das Spiel zu bunt. Eine Rechtsgrundlage abseits eines allgemeinen Hinweises auf das Allgemeine Sicherheits- und Ordnungsgesetz weiss oder Beamte nicht zu offenbaren oder will dies nicht tun. Ohne Ausweis ginge das nur mit Begleitung bis zur Wohnungstür und dem passenden Schlüssel. Diese Begleitung gilt für beide zunächst jeweils bis zur ihrer eigenen Tür.

Der Dritte sorgt sich um die der diesen Umständen folgenden Maßnahme. Christian betrachtet diesen möglichen Weg jedoch schon als „kleinen Gewinn“.

Schlußendlich begleitet nicht ein Bewohner des Wohnprojektes der Rigaer-94 Christian in seine Wohnung, sondern ich.

Christian ist es in erster Linie wichtig, dass er nicht allein durch die Absperrung und dann folgend durchs Treppenhaus von Polizei oder dem „Sicherheitsdienst“ des Hauses begleitet wird.

Unser Weg durchs Sperrgebiet

Über Polizei, Sicherheitsdienst, Hausverwaltung oder -eigentümer werde ich von ihm Interessantes hören.

Als Journalist werde ich, obgleich ich keinen Presseausweis besitze, sondern nur eine Redaktionsbesätigung dabei habe, ungewohnt freizügig die Absperrung durchqueren. Zumindest auf dem Hinweg.

Wir können unseren gemeinsamen Weg nun beginnen.

Polizist: Dann wünsch ich Ihnen noch’n recht schönen Abend.

Christian: Jaja, ich hoffe, dass er für Sie so ruhig bleibt, wie für mich. Nämlich nicht.

Ich begleite Christian in seine Wohnung. Unser Weg führt entlang der langen Seite der Absperrung. Wir passieren die beiden Beamten, die uns kontrollieren.

Christian: Naja, jetzt dürft ich eigentlich mal durch.

Polizist: Weiss ich nicht. Dürfen Sie durch?

Christian: Naja, wir können jetz ja auch gern das Spiel noch weiter treiben, is kein Problem.

Polizist: Können wa machen, ja. Wenn Sie die Zigaretten aus meiner sichtbaren Nähe irgendwie wegnehmen, weil ick bin Nichtraucher, ick find dit …

Christian: Die sichtbare Nähe ist aber mein Körper.

Polizist: Nee, ick find des nicht so.

Christian: Sie stehen sozusagen in meinem Körper.

Ich: Ich bin begleitender Journalist. Der Kollege hat das eben noch festgestellt.

Christian: Das Haargel hat mich auch gestört. War sozusagen auch in unmittelbarer Nähe zu mir.

Christian: Dis einzige was man schafft ist, sie ’n bisschen zu nerven.

Ich: So, jetzt sind wir hier im Vorderhaus.

Christian: Also, wenn Du möchtest, kommste natürlich mit zu mir.

Ich: Ja, gerne. Ich wollt Dich ja begleiten. Wir haben hier ja angeblich noch Polizeieskorte, aber dis ist jetzt der private Sicherheitsdienst.

Christian: Genau, aber dis ist wenigstens jemand, der bis jetzt noch nicht ganz unangenehm auftritt.

Ich: Da gibts ja auch sicher solche und solche.

Christian: Also; bitteschön.

Mitarbeiter des vermeindlichen Sicherheitsdienstes besprechen sich.

Welcher private Sicherheitsdienst?

Der private Sicherheitsdienst, welcher vom Hauseigentümer beauftragt worden sein soll, ist als solcher nicht kenntlich gemacht.

Ich werde am nächsten Tag, dem Montag, das Ordnungsamt des Bezirks bitten diesen Sachverhalt zu prüfen. Tagsdrauf werde ich desöfteren Mitarbeiter der Polizei mit den Menschen vom Sicherheitsdienst sprechen sehen. Aber niemanden vom Ordnungsamt. Auch nicht am Nachmittag.

Ab 20 Uhr soll die Polizei regulär die Aufgaben des Ordnungsamts übernehmen. Ein anderer Mensch aus dem Vorderhaus geht zusammen mit mir, einem Kollegen meiner sowie zwei Polizeibeamten an diesem Abend, zwei Tage später, auf den Sicherheitsdienst zu. Es herrscht ein Klima der Angst gegenüber diesen Menschen.

Ein Name der Sicherheitsfirma wird der Mieterin nicht verraten. Die Polizei wisse den Namen ja — das solle ja genügen, meinen die Beamten.

An mögliche Pflichten zu einer IHK-Prüfung für private Sicherheitskräfte, einer Notwendigkeit diese zu kennzeichnen oder wenigstens grundlegende Deutschkenntnisse zu haben, glauben die eingesetzten Polizeibeamten in diesem Fall nicht. Auch nicht nach 20 Uhr.

Allerdings fegt der Sicherheitsdienst auch die Hofeinfahrt.

Christians Lebensalltag

Nach dem Erreichen von Christians Wohnung führen wir die Aufnahme unmittelbar als Interview fort. Er lebt seit sieben Jahr in dieser Wohnung.

Als erstes möchte ich wissen wie häufig seine Identität hier nun schon in diesem Rahmen festgestellt und er dabei auch durchsucht wurde:

Christian: Soll ich’s jetz genau sagen?

Ich: Na ungefähr.

Christian: 50 mal.

Ich: 50 mal?

Christian: Locker.

Die Rigaer 94

Ich will etwas über das Vorderhaus im Unterschied zum Hausprojekt des Hinterhaus erfahren:

Christian: Das ist ein ganz normaler Mietkomplex, das Vorderhaus. Da ist jede einzelne Wohnung — naja, bis auf vielleicht der Dachboden, der da geräumt worden ist — ist unter Mietvertrag. Das heisst; wir sind hier ganz normale Mieter, zahlen hier normal unsere Miete und wohnen hier einfach.

Diese Aussage trifft auch auf die allermeisten Teile des Hinterhauses zu. Zumindest auf die nun verbleibenen Teile, welche nach der Räumung am sogenannten „Tag X“, nun noch von dem Hausprojekt genutzt werden können.

Christan: Ich wohn hier im ersten Stock. Das heisst; im Sommer bekommst Du hier alles mit. Komplett alles. Und das, was hier grade abgeht, also eigentlich schon seit Dezember letzten Jahres, das ist eine einfache Farce; Polizeiautos, die im Drei-Minuten-Takt hier langfahren, nachts, also ab, ich sach mal, 20 Uhr. Kontrollen. Teileweise kommst Du von der Arbeit, wirst nicht reingelassen, weil Du keinen Personalausweis hast. Musst Dir den sozusagen „ertelefonieren“, weil Du nicht jedes Mal dann denkst, wenn Du zur Arbeit gehst, dass Du Deinen Ausweis mitnimmst.

Jetz hatter ja gesagt, also, nachdem man ihn maltretiert und solange auf ihn eingeredet hat, dann hat er dann ja gesagt; ‚Naja gut, dann muss man ihn eskortieren, bis zur Wohnung‘, was natürlich auch schon total pervers ist.

Um die Ecke liegt eine Schule sowie ein großer Kindergarten.

Ein Beispiel der Polizeigewalt

Christian wohnt seit 40 Jahren in Berlin. Er geht einem sehr bodenständigen Beruf nach, für welchen er in aller Regel früh aufstehen muss.

Ich möchte erfahren, wie problematisch der Empfang von Besuchern dieser Tage ist: Christian berichtet von körperlicher Gewaltanwendung durch die Polizeibeamten gegen seine Freundin, inklusive anschließender Androhung einer sogenannten „Gegenanzeige“:

Christian: Das jetzt grade ist schon besonders, deswegen wollt ich jetz auch jemanden mitnehmen, egal wen. Vor 3 Tagen wollte meine Freundin, Frau, hier her kommen und wurde auf der Linken, da war noch kurz hinter der Cellestraße abgesperrt, bis zur Liebigstraße. Sie ist sozusagen über die Celleschleuse ist sie nicht reingekommen und ist dann außen rumgelaufen, zur Liebig- und wollte da wieder rein.

Ich: Um’n ganzen Häuserblock rum?

Christian: Genau, und da haben sie sie wieder nich reingelassen. Und dann meinte sie; naja, sie möchte jetz aber hier lang und wollte einfach durchlaufen und daraufhin wurde sie von drei Polizisten attackiert, wurde an den Armen gerissen und ich bin durch Zufall ins Zimmer rein und aufn Balkon und hab sie halt Schreien hören und bin dann halt runtergelaufen und meinte: Hier, halt, stop. Bitte lassen Sie die Dame durch, das ist meine Freundin, die möchte zu mir. Nö, machen wir nicht.

Ich: Das hast Du hier vom Balkon runter zur Polizei …

Christian: Nee, ich bin direkt runtergegangen. Also meine Freundin meinte halt vorher, nachdem die sie da so maltretiert, gezogen und gezerrt haben, sie möchte jetzt ne Anzeige wegen Körperverletzung machen.

Ich: Hat sie direkt zu den Polizisten gesagt?

Christian: Genau, richtig. Der meinte als Antwort einfach nur: Ich mache jetz ne Anzeige wegen versuchter Körperverletzung; Sie haben versucht mir ne Ohrfeige zu geben. Und haben sie dann auch direkt in Gewahrsam genommen, haben Personalien aufgeschrieben. Wie das jetz is mit der Anzeige-schreiben weiss ich jetz nicht genau. Fakt ist, dass sie sie dann draußen sozusagen wieder entlassen haben und ich dann es nach ner — also, sie ist dann zum Anwalt gegangen — ungefähr zwei Stunden später hab ich sie dann mitm Ausweis draußen wieder abgeholt.

Er fasst soweit zusammen, was nun für die Anwohner in den verschiedenen Hausnummern gilt:

Christian: Es geht halt wirklich an die Substanz. Nicht nur, dass wirklich tagtäglich wirklich hier so’ne Repressionen sind. Also; das sind Repressionen. Und auch ’ne Willkür. Dem einen wird gestattet wie jetz uns gestattet wurde, mit nem Schlüssel reinzukommen, wenn man lange genug drauf einhackt. Die anderen sollen halt immer ihren Ausweis angeben. Leute, die keinen Ausweis haben, nur besuchen wollen, die werden garnicht erst reingelassen. Aus was fürn Grund?

Ich: Und das ist erst seit 4, 5 Tagen so oder immer länger?

Christian: Das ist auch nicht nur in der 94 so. Wir sind jetzt abgesperrt … obwohl, die 93 war jetz frei, ne?

Ich: Die 93 war frei. Bis zur 96 ist abgesperrt.

Christian: Genau. Das heisst; genau diese Mieter aus der 95 und aus der 96, die haben grade dieses Problem.

Ich: Und aus der 94 ja auch.

Christian: Ja, genau. Die müssen dann sozusagen jedes Mal ihren Ausweis vorzeigen oder ’ne Eskorte bis an die Wohnungstür. Was soll sowas?

Am nächsten Tag wird die Polizeiabsperrung auf einmal nur noch die Hausnummer 94 umfassen.

Sogenannte Baumaßnahmen

Zu den vermeindlichen Baumaßnahmen, um Wohnungen zu Schaffen oder Türen zu tauschen, der vernommenen Ernsthaftigkeit dieser Anliegen und der Möglichkeit, sich hier noch Erholen zu können, weiss er zu erklären:

Christian: Also das bezieht sich hunderprozentig auch nicht auf Baumaßnahmen, weil das einzige, das sie bis jetzt gemacht haben, ist entrümpeln. Sie haben, ob das der Dachboden ist, der Keller ist, das Hinterhaus, die Kadterschmiede oder die Werkstatt ist, entrümpelt. Aber sie sind bis jetzt noch nicht einmal, obwohl sie am ersten Tag, am Mittwoch, angefangen haben, hier die Hauseingangstür sowohl auch die Tür zum Hinterhaus, also die Zwischentür, zwischen Vorderhaus und Hinterhaus, haben sie rausgeflext, komplett. Bis auf dis Mauerwerk. Aber bis heute ist noch nicht eine einzige Tür für die — in Anführungsstrichen — Vorderhaus-Bewohner drinne.

Ich: Das heisst; sie haben auch am Zugang zum Hinterhaus die Tür rausgenommen?

Christian: Naja, genau, die haben dis Hinterhaus, den Seitenflügel, die Haupteingangstür und die Tür zum Hof rausgenommen. Und wie gesagt, das sind; Mittwoch, Arbeitstag. Donnerstag, Arbeitstag. Freitag, Arbeitstag. Sind drei. Es ist keine Tür eingebaut. Es ist Samstag, der im Prinzip ja auch noch als Arbeitstag wenigstens halb gilt, und die sind ja alle fünf Tage, also einschließlich bis Sonntag, dem heutigen Tag, sind die ja am Arbeiten. Das heisst, die packen Container voll. Das heisst: Da gibts keine Ruhephase hier. Also; man muss eigentlich flüchten, um sich erholen zu können, um auch seiner Tätigkeit nachzugehen.

Hausverwaltung? Welche Hausverwaltung?

Neugierig macht mich seine anschließende Ausführung zun Hausverwaltungen. Genauer gesagt: Der zeitweilig nicht existeten Hausverwaltung. Denn auf dem Papier soll es in den ersten fünf oder sechs Monate diesen Jahres eine solche nicht gegeben haben, zumindest gegenüber den Mietern des Vorderhauses:

Christian: Was auch immer das für ’ne Hausverwaltung ist; die hat nen Hilfegesuch an die Polizei gestellt, weil Bauarbeiten hier behindert werden. Diese Hausverwaltung existiert heute, am 26. Juni, genau einen Monat. Ich hab ein Schreiben; da wurde gewechselt und zwar im Februar oder März wurde das Mandat einer Hausverwaltung Belima niedergelegt, rückwirkend zum 31.12.2015 oder zum Januar 16. In den letzten sechs Monaten hatten wir gar keine Hausverwaltung. Das heisst; Leute konnten sich hier nicht anmelden, weils ja ’n neues Meldegesetz gibt. Dann kommt noch dazu, dass das Hilfebegehren von dieser Hausverwaltung darauf beruht, dass in der Vergangenheit hier Baumaßnamen angeblich behindert worden sind, was schon sehr sehr fragwürdig ist. Wir haben mehrfach die Hausverwaltungen, die vorher da waren, darauf aufmerksam gemacht; wir möchten gerne ne Zwischentür haben, zwischen Flur und Vorderhaus, wir möchten gerne ne vernünftig schließende Tür haben, die es nie gab, wir möchten Mülltonnen haben, wir möchten gerne unsere Betriebskostenabrechnung haben. Die Abrechnung gabs, aber das Geld dafür oder die Rückzahlung, die gab’s nie.

Nun gibts nen Hilfebegehren, dass darauf beruht, dass in der Vergangenheit Baumaßnahmen behindert wurden, es haben aber gar keine Baumaßnahmen stattgefunden.

Gemeint ist das Hilfegesuch des Hauseigentümers respektive einer Hausverwaltung an die Polizei Berlins.

Die Abendstimmung dieses Sonntags.

Ein Leben in Angst?

Abschließend möchte ich von ihm wissen, wie es um seine Angst bestellt ist. Insbesondere ob der nun in dem Interview getroffenen Aussagen.

Christian: Also, um ganz ehrlich zu sein, verdränge ich das so’n bisschen. Abgesehen davon, dass ich mir nichts vorzuwerfen habe; ich bin seit über sieben Jahren hier Mieter und ich zahle keine geminderte Miete, sondern zahle die volle Miete, ganz einfach aus dem Grund, weil ich eigentlich eher mich einigen möchte und weil ich einfach auch in Ruhe leben möchte, was jetzt aber seit nem halben Jahr bedingt möglich ist. Die letzten zwei Monate — was mich extrem verwundert — war es hier total ruhig in der Straße. Es war wirklich ruhig. Ja, eben nur zwei Monate.

Und jetz fängts halt wieder an. Von dieser Sicherheitsfirma fühl ich mich schon irgendwie bedroht, aber ich denke eigentlich eher; die Gäste fühlen sich extrem bedroht, die dann ausbleiben.

Ich bin da so’n bisschen härter im Nehmen, weil so ne Leute mir eigentlich keine Angst einjagen können. Also was mir wirklich sehr viel mehr Angst einjagt ist, dass wir hier zwei Repressalien haben, das ist einmal, dass unter Polizeischutz Securties hier Leute bedrohen können, beleidigen können und das ne Hausverwaltung, die eigentlich nicht greifbar ist und die für mich nicht existent ist, hier Sachen durchdrückt, die man wirklich aus keiner Situation kennt.

Ich hab anfang der 90er Jahre Häuser besetzt, das ist lange her; ich hab da so ne Erfahrung nicht gemacht. Ganz ehrlich.

Dieser Hintergrund überrascht mich nun auch nur ein wenig.

Unser Interview wird von einen Tumult an der Absperrung beendet: Vor der Tür sei ein Beamter darauf hingewiesen worden, dass seine Schusswaffe nicht mit der Lasche am Halfter gesichert war. Für eine kurze Zeit eskaliert eine Situation vor der Tür. Es seien auch Schüsse angedroht worden, heisst auf der Straße. Eine Absicht, die Waffe zu entweden, habe zu keinem Zeitpunkt vorgelegen.

Darauf folgend soll der Beamte kurzerhand seinen Rückennummer entfernt haben.

Die Situation beruhigt sich.

Ein Tumult mit Papa

Ich verlasse später das Haus. Ein erneuter Tumult. Was, wie und warum passierte habe ich nicht genau verfolgen können.

Ich sehe kurze Zeit später wie der Vater eines neun-jährigen Kindes von mehreren Polizeibeamten brutal am Boden festgehalten wird. Sein Kind schaut nicht weg. Nach etwa einer halben Minute berichten Umstehende von Atemnot.

Die Absperrung wird vergrößert.

Eine Räumung des Sperrgebiets

Der abgesperrte Vorplatz wird geräumt. Ich stehe abseits, eigentlich sicher und auch leicht kontrollierbar, alleine, mit meinem Rücken mittig an einem Pkw gelehnt. Ich kann mich dieser Maßnahme nicht ausnehmen.

Den dann unmittelbar folgenden Wurf durch mehrere Beamte meiner gegen ein Hamburger Gitter überstehe ich unversehrt; Die Absperrung öffnet sich dabei. Ich werde seitlich rausgeschubst, schaffe es mein Gleichgewicht nicht zu verlieren. Im Jargon der Beamten wird dies vermutlich noch „einfache körperliche Gewalt“ genannt.

Ich nehme Abstand. Die Absperrung wird nun auf die komplette Straßenbreite erweitert.

Trotz diverser In-Gewahrsamnahmen respektive Festnahmen: Der Abend bleibt hier, zumindest seitens der versammelten Nachbarschaft, weitgehend friedlich.

Wohin mit Geflüchteten im Bezirk?

Bislang kümmert sich eigentlich der Verein „Friedrichshain hilft“ mit um die Betreuung der zwei Notunterkünfte für Geflüchtete im Bezirk. Der Sprecher und Geschäftsführer, Thorsten Buhl, weiss mir am selben Abend zu berichten, dass die beiden Notunterkünfte nun demnächst geschlossen werden.

Der dem Sozialsatz zugrundeliegende Mietspiegel ist nun auch hier für entsprechende Sozialwohnungen schon zu hoch.

Dies passierte alles am vergangen Sonntag.

Auf dem Dorfplatz bleibt es friedlich. Seitens der Nachbarschaft.

Polizisten stechen persönliche Daten an Nazis durch?

Vier Tage später veröffentlichen Neo-Nazis die Namen von 10 Menschen, die am 14. Januar diesen Jahres an der Rigaer Straße 94 kontrolliert wurden. Am Vortag hat die Polizei mit rund 550 Beamten eine „Begehung“ des Hinterhauses vollzogen, welche von Betroffenen eher als Razzia beschrieben wird. Die Nazis behaupten nun 73 Datensätze von der Polizei erhalten zu haben. 10 davon wurden veröffentlicht.

Abphotorgraphiert von einem Smartphone werden Nachnamen, Geburtsjahre, Anschriften und die Zeitpunkte der jeweiligen Kontrolle präsentiert. Von den Personen eins bis vier seien auch Photos angefertigt worden. Wonach die Datenbank genau abgefragt wurde, verbleibt unklar.

Vornehmlich handelt es sich um die Identitäten solcher Menschen, deren Namen nicht deutsch klingten Zwei von den veröffentlichten Namen stammen aus dem deutschen Kulturkreis. Im Gegensatz zu den nicht-deutsch klingenden Namen werden nur bei diesen beiden die Nachnamen, nicht aber die Vornamen gekürzt dargestellt.

Die Daten sind echt.

Nun ermittelt der Staatsschutz des LKA, vermutlich auch gegen die eigenen Reihen.

Eine Person heisst mit Vornamen Christian.
Ein andere ist erst neun Jahre alt.

 

Die eingespielte Musik stammt von dem Stück „Gefahrengebiet“ von „Geigerzähler“, es referenziert unter anderem Ereignisse in der Rigaer Straße vom Januar 2016.

Am 13. Juli hat das Landgericht Berlin geurteilt, dass die Räumung nicht rechtens war. Zwar erging soweit nur ein Versäumnisurteil, aber die Richterin habe unabhängig davon die Räumung als illegal erklärt.


Ein Feature von Karl Kolumne. Alle Bilder CC-BY Karl Kolumne, metronaut.de

13 Kommentare

  1. nik says:

    Die ständigen Unterbrechungen durch Musik sind irgendwie nervig beim Anhören. Und Formulierungen wie „den Wurf meiner“ einigermaßen irritierend. Ansonsten ganz interessant.

    • John F. Nebel says:

      Ich möchte da unseren Gastreporter in Schutz nehmen, denn ich mag die Dialoge seines Features sehr. Und auch sonst finde ich das sehr gelungen. Bei Kritik bitte immer auch im Hinterkopf behalten, dass hier jemand aus Spaß an der Freude tagelang seine Zeit investiert hat, dass Podcasts ein Experimentierfeld sind und dass es halt unterschiedliche Hörgewohnheiten und Geschmäcker gibt. Sonst ist so ein einziger Kommentar, trotz mehrerer tausend Hörerinner und Hörern doch sehr demotivierend.

  2. Nicky says:

    Na dann will ich auch mal wenn ich den Schlusssatz von John F. Nebel lese. Zum ersten, Kompliment, ich mag den Podcast sehr. Und zum zweiten fand ich dieses Feature durchaus sehr gelungen. Mag so gebaute Beiträge eh und die Mucke hat da definitiv gut reingepasst. Thematisch war es das was ich mir als nächsten Podcast von euch gewünscht habe. Wohne im Saarland weit weg vom Brennpunkt und von daher DANKE an die Redax und Karl Kolumne. Dank der Umsetzung bekommt man zumindest einen kleinen Eindruck von vor Ort.

  3. Karl Kolumne says:

    Nik, Sie haben Recht; ob meiner Weise des Ausdrucks meiner habe ich sicher einiges Potential zwecks Erhöhung der breiteren Verständlichkeit meiner.

    Auch bezüglich der auch schon von einem anderen Menschen als „hart“ empfundenen Schnitte möchte ich Ihnen mein Verständis zu Teil werden lassen; selber hätte ich auch gern mehr Zeit auf die Nachbearbeitung verwandt.

    Mich freut Ihr sonstiges Interesse sehr und hoffe Ihnen eine Bereicherung beschert haben zu können!

  4. Nicky says:

    Da ich euren Podcast mit Catcher höre, habe ich wie immer nach einem breiten, glücklichen Grinsen die neue Folge blind eingeschaltet und war erstmal kurz überrascht. Ein gebauter Beitrag – von sowas bin ich neuerdings Fan. Klar hat man gehört das da jemand dran sitzt der das noch nicht hundertemale gemacht hat. Gut so. Fand die Musikauswahl sehr treffend, die Übergänge sind ein wenig hart, aber mit Perfektionismus sitzt man wahrscheinlich auch im Dezember noch unzufrieden vor seinem Beitrag. Und für mich als Mensch der von der ganzen Geschichte um die Rigaer nur aus Netz und Zeitung weiß (wohne im Saarland), möchte ich an dieser Stelle mal ein fettes DANKE da lassen. Dank der Atmo und O-Töne war ich dann doch irgendwie „näher“ dran.

  5. Danke, dass Ihr den Weg in das Gefahrengebiet auf Euch genommen habt. Freut mich, dass im Podcast Musik von mir verwendet wird. Passt ja auch ganz gut. Falls sich das jemand mal als Ganzes anhören will: https://soundcloud.com/geigerzaehler/gefahrengebiet

    • metrolaut says:

      Hallo Paul,

      sorry, dass wir vergessen haben, den Link zu setzen – und danke für den Hinweis und den coolen Song.

      Wir haben den Link nun auch oben ergänzt…

  6. Mirko says:

    Also ich fands super, ich mag ja sowieso Reportagen und live Atmo ganz gerne (auch und vor allem in Podcasts), dass da viel Arbeit drin steckt hört man schon, imo.

    Kleine inhaltliche Anmerkung: Unser schönes Gefahrengebiet hier ersteckt sich ja über einige Strassenzüge (klingt im Podcast so, als waere nur die 94 betroffen) und Personenkontrollen finden da schon seit der „Begehung“ der 94 im Januar statt, eben auch mit den üblichen Schikanen, da musst du dann z.B. schon mal ne halbe Stunde im Regen warten, bis dein Name durch alle Datenbanken gerattert ist. usw. usf. Natürlcih werden haupsächlich Leute kontrolliert, die irgendwie nach Subkultur aussehen, so dass die „Zecken“ am Ende von der Polizei genervt sind, und die StiNos von dem ganzen Aufzug, den die Linken ja vermeintlich verursachen… so kann man auch schön die Bevölkerung spalten.

    Und eben sah ich noch, dass es auf Twitter durchaus Beifallsbekundungen für den Podcast gab, sind wohl nur alle zu faul um auf die Webseite zu gehn :)

    • Karl Kolumne says:

      Danke für Rückmeldung und die inhaltliche Anmerkung!

      In der Tat ist mir das nach dem Einsprechen auch aufgefallen; glücklicherweise habe ich dabei wenigstens noch „Teil eines Gefahrengebietes“ gesprochen.

      Herr Nebel; Können wir an dieser Stelle den Wortlaut ergänzen? Also bitte: „Es ist /Teil/ eines von gemutmaßt rund 30 sogenannter Gefahrengebiete …“ Danke.

  7. Lisa says:

    Krass, dass sowas in Deutschland möglich ist! Berlin ist echt so kaputt!
    Danke für den Beitrag!

  8. Karin says:

    Danke für die Informationen. Ist aber schlimm was zurzeit alles so passiert.

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