Mein erster Castor


Ich sitze in einem tiefergelegten Nissan, der mit 130 durch die Dörfer rund um Hitzacker prescht. Es läuft glorioser Proll-Metal auf der dicken Anlage. Der Drehzahlmesser schnellt nach oben. Mein Fahrer ist ein 19-jähriger mit Emo-Frisur, dem sichtlich gefällt zwei schwarz gekleideten Demonstranten mit seiner halsbrecherischen Fahrweise Angst zu machen. Er habe Amerikaner, Franzosen und Leute aus allen Teilen Deutschlands den ganzen Tag durch die Gegend gefahren. „Man tut, was man kann“ sagt der wortkarge Wendländer und bedankt sich, dass wir hier sind. Es ist Montag nacht und drei Uhr. Der Castor steht immer noch im Verladebahnhof von Dannenberg.

Ich war auf vielen Demos, Gipfeln, Protesten und politischen Aktionen. Noch nie habe ich das Gefühl gehabt, dass alle solidarisch sind mit dem, was ich hier mache. Oftmals geht man auf Demos und ist Außerirdischer mit seinem Anliegen. Im Wendland wird nicht doof aus den Fenstern geglotzt, sondern Hand angelegt. Ob Kaffee, der einem nachts aus dem Carport gereicht wird oder die Schmalzstulle einer Bäuerin – was ich vor ein paar Tagen noch als sozialromantischen Quatsch abgetan hätte, wird im Wendland zur Realität. Das ist der große Unterschied, das macht diesen Widerstand gegen ein Endlager in Gorleben so stark, so unberechenbar und zu einem echten Problem für die Politik.

Der „beste Castor aller Zeiten“ liegt hinter uns: noch nie wurde der Atommüll-Transport so lange aufgehalten, die Polizei ans Ende ihrer Kräfte gedrängt. Angefangen hat das Wendland-Abenteuer am Donnerstag auf dem Camp in Hitzacker, wo unter anderem Widersetzen und das Aktionsbündnis „Atomkraft Wegbassen“ ihre Zelte aufgeschlagen haben. Am Freitag abend findet im Camp die große Party statt, während es draußen in Strömen regnet, wird in einem großen marokkanischen Hochzeitszelt wild getanzt bis morgens um vier. Am nächsten Tag dann Großdemo. 50.000 Leute stehen auf einem Maisfeld bei Splietau. Soviele wie noch nie. Die Oppositionsparteien haben tausende ihrer Anhänger mobilisiert, die hier Fähnchen schwingen und dann wieder abreisen. Der Großteil der Samstags-Demonstranten wird sich nicht an den Blockaden und Schotter-Aktionen beteiligen können, sondern ist nur für die bunte, aber langweilige Großdemo angereist.

Am Rande der Großdemo versuchen Menschen die Straße zu unterhöhlen. Wir sind mit einem kleinen Baby unterwegs als plötzlich vermummte Hundertschaften auf das Feld stürmen. Ein paar Autonomenkiddies werfen Kartoffeln, irgendwo zischt eine Leuchtspurrakete durch die Luft. Die Polizei setzt Knüppel und Pfefferspray ein, die Lage beruhigt sich nach ein paar Minuten. Der Castor hat mittlerweile die Grenze nach Deutschland passiert. Wir ziehen mit einem Demo-Truck Richtung Camp zurück, morgen ist Sonntag.

Für Sonntag sind die meisten Aktionen des zivilen Ungehorsams geplant. Ich lege mich nochmal für zwei Stunden hin, stehe um 4 Uhr morgens auf. Am Auto und auf den Zelten hat sich Eis gebildet, es ist richtig kalt. Jetzt zahlen sich Thermounterhosen, dicke Pullover und Handschuhe aus. Wir wollen zum Camp Köhlingen und bei der Aktion „Castor schottern“ dabei sein. Als wir um fünf Uhr in Köhlingen ankommen, sind dort schon alle auf den Beinen. Mit der bewährten 5-Finger-Taktik, die auch schon beim G8-Gipfel in Heiligendamm angewendet wurden, soll es direkt auf die Schiene gehen. Die Hand (alle Demonstranten am Startpunkt) teilt sich dabei in mehrere Finger auf, die an verschiedenen Stellen die Polizeiketten an den Schienen umfließen soll. Die Aufsplittung macht es der Polizei schwer, weil sie sich auf viele Stellen konzentrieren muss. Im Vergleich zu den Aktivisten in Köhlingen ist unsere Bezugsgruppe eher schlecht organisiert – wir schließen uns einfach einem Finger an und ziehen los. Noch ist es dunkel.

Nach zwei Kilometern wird es hell. Irgendwo grüßen uns Menschen aus einem Haus. Bezugsgruppen rufen ihr Codewort um zusammenzubleiben. Die Stimmung ist gut, solidarisch und entschlossen. Nach etwa vier Kilometern strammen Fußmarsch taucht die Polizei auf und läuft neben uns her. Wir biegen ab in ein Feld, damit die Polizei es schwerer hat uns zu folgen. An einem Hügel tauchen Beamte von den BFE-Einheiten, den berüchtigten Schlägertrupps der Polizei auf. Ohne Vorwarnung geht die Polizei auf uns los. Mit Pfefferspray, Knüppeln, Schlägen, Tritten, Rammen und Beinstellen versuchen uns die Polizisten am Weitergehen zu hindern. Der Untergrund ist schlammig, es geht den Berg hoch. Ich kann über das gestellte Bein eines Bullen gerade noch rüberspringen, das geflügelte Wort des „Sprung von Köhlingen“ ist geboren. So geht es weiter durch Wälder, wir werden verfolgt von Reiterstaffeln, gejagt von aggressiven Hundertschaften. Protest kann ganz schön anstrengend sein, denke ich mir als ich fast Blut huste. Das nächste Mal muss ich wohl Monate vorher mit Zirkel- und Konditionstraining beginnen, um diese Tortur besser durchzuhalten. Als wir die Schiene erreichen, bin ich am Ende. Wir beschließen als Bezugsgruppe, dass wir zusammenbleiben und nicht mit auf die Schienen kommen können. Die anderen Schotterer ziehen weiter, werden misshandelt von der Polizei, etwa 1.000 Menschen werden verletzt. Polizeisanitäter prügeln mit. Und französische Polizisten beteiligen sich aktiv und vollkommen illegal an der Gewalt gegen Demonstranten.

Irgendwo ertönt leise ein Bass aus dem Wald. Die anderen denken, ich habe schon Halluzinationen. Wir laufen in die Richtung der Musik. Kommen an der Mahnwache Leitstade an, wo ein fetter Truck von „Atomkraft Wegbassen“ steht. Endlich mal wieder ausruhen. Suppe. Frühstück. Von Leitstade aus ziehen wir mit einem mobilen Soundsystem gut fünf Kilometer Richtung Harlingen. Dort soll eine große Sitzblockade auf den Schienen sein. Als wir die Blockade erreichen kommt Jubel auf. Wir gehen runter und setzen uns erstmal auf einen Raschelsack, wie die Strohsäcke im Wendland genannt werden. Die Blockade ist riesig und wird von Unterstützern prima mit Essen, Decken und heißem Tee versorgt. Mein Sitznachbar fragt sich, ob Mästen die neue Strategie sei, damit das Wegtragen schwieriger wird.

Meine verschwitzten Schotter-Klamotten sind immer noch nicht trocken, mir ist scheißkalt in der Blockade. Es ist ungefähr Mitternacht und ich schleiche mich raus. Ein blödes Gefühl, die anderen hier alleine zu lassen. Draußen sehe ich sicherlich 200 Polizeifahrzeuge und immer mehr kommen zur Blockade, die wohl bald geräumt werden soll. Wir fahren nach Hitzacker, erstmal schlafen. Zumindest für ein paar Stunden.

Heute ist Montag. Die Castoren haben den Verladebahnhof erreicht. Wir entschließen uns zum „Blockade- und Aktionssightseeing“. Von der Kundgebung in Splietau fahren wir mit jemand Richtung Gorleben. Dort sitzen 4000 Menschen auf der Straße. Auf der Fahrt kommt über das Protestradio die Meldung, dass 1200 Schafe und 500 Ziegen auf der Transportstrecke seien. Wir freuen uns: Wird die Polizei Zwangsmittel gegen die Schafe einsetzen? Wasserwerfer? Tränengas? Oder gar die Tiere erkennungsdienstlich behandeln?

Zur Blockade in Gorleben muss man etwa einen Kilometer durch den Wald laufen. Direkt am Zwischenlager vorbei. Die Stimmung in der Blockade von x-tausendmalquer ist gut, doch uns ein bisschen zu hippiesk, zu wenig Action. Nach einer Stunde gehen wir zurück nach Gedelitz, setzen uns in die einzige Kneipe. Der Wirt erzählt, dass ihm die ARD die Tapete gezahlt hätte. Damals als sie den Wendland-Tatort gedreht haben. Er würde nie soviel Geld für eine Wand ausgeben. Wir essen eine Bockwurst, schauen auf die Hirschgeweihe und trinken ein Bier. Deutsche Gemütlichkeit meets Protest.

Auf dem Rückweg nach Hitzacker nimmt uns ein Journalist mit. In mehreren Dörfern stehen Treckerblockaden. In einem anderen Dorf parken die Autos so „schlecht“, dass größere Fahrzeuge wie Wasserwerfer nicht durchkommen. Irgendwer hat zufällig einen Baum in seinem Garten falsch abgesägt. Er liegt mitten auf der Straße. In Dannenberg schauen wir uns den Greenpeacelaster am Verladekran an. In der nächsten Tanke läuft der Fernseher. Als ein Sprecher sagt, dass es noch lange dauere, brandet Jubel auf. Wir wollen weiter nach Hitzacker. Ein tiefergelegter Nissan hält an und bringt uns hin.

Wir sitzen am Feuer und hören Radio „Freies Wendland“. Es ist immer noch alles blockiert. Um vier Uhr fragt mich jemand, ob ich das Finale sehen wolle. Ich habe keine Ahnung, wovon er spricht und fahre mit. Unser Ziel ist Laase. Ein großer Acker direkt an der Castorstrecke. Noch ist es dunkel. Nur die Scheinwerfer von acht Wasserwerfern sind auf uns gerichtet. Ein martialisches Aufgebot für die paar hundert Leute, die hier warten. Auf der anderen Seite des Feldes steht der „Mobilisierende Musikkampfwagen“ (MMKW), der das Finale mit Musik und Moderation begleiten wird. Über Twitter wird gesagt, dass Greenpeacewagen, Pyramide und die Sitzblockade bald geräumt sein werden. Langsam dämmert es. In Kürze wird der Castor hier vorbei rollen. Irgendwer zündet zwei Strohballen auf dem Feld an, die Polizei rückt mit mehreren Hundertschaften vor. Der Musikkampfwagen moderiert die Choreographie der Staatsgewalt. Dann steigt jemand auf einen brennenden Strohballen und strippt sich die vier Lagen Kleidung vom Körper. Ich bin übermüdet, die Situation ist skurril, irgendwo rennen ein paar Leute Richtung Wald, die Reiterstaffel hinterher. Dann kommt der Castor, es den Boxen tönt „The Final Countdown“ und alle singen „Final Castor“. Während sechs Transporthubschrauber über dem Gelände kreisen, taucht ein Paraglider von Greenpeace auf.

Jetzt weiß ich, was mit Finale gemeint war. Es ist vorbei. Obwohl der Transport durchkommt, haben wir gewonnen. Und nächstes Mal werden wir noch mehr Leute sein. Ich werde wieder dabei sein.

5 Kommentare

  1. rr says:

    Meine Hochachtung und Danke für Deinen Bericht.

  2. nj says:

    Dito, Danke! Ich weiß nicht warum mir beim Lesen plötzlich Wir werden siegen von Peter Licht im Ohr herumsummte :-) Das nächste Mal bin ich auch dabei.

  3. Webwombel says:

    Respekt für alle Demonstranten, die ihren A+sch hingehalten haben, um diesen Wahnsinn(stransport) zu verhindern.

    Bis 2011!

  4. siggi says:

    Also verhindert haben die Demonstranten garnichts soweit ich weiss. Für mich drängt sich also die Meinung auf, das die Leute das nächste Mal einfach zur Arbeit gehen sollen. Ich kann eh nicht verstehen wie mache da an den Gleisen schottern wobei sicherlich die hälfte der Leute noch nie was gearbeitet haben ;-)

    Das erste Video hat mich auf jeden Fall schon ziemlich begeistert. So mit Schlagstock und Pferferspray … das hätte mir auch gefallen.

    Letztendlich hat die Aktion nur Geld gekostet … das von mir und das von euch.

  5. John F. Nebel says:

    Ja, Guido, is gut.

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