Kampagne fordert Zugang zu Gesundheitsversorgung für Flüchtlinge

In Deutschland lebende Menschen ohne gültigen Aufenthaltstitel sind von medizinischer Versorgung weitgehend ausgeschlossen. In den letzten Jahren verzeichnen Unterstützungsorganisationen zudem verstärkten Zulauf von weiteren Migrantengruppen, die aus dem Gesundheitssystem fallen. Das Berliner Büro für medizinische Flüchtlingshilfe (Medibüro) hat nun einen Aufruf veröffentlicht, um diesen Zustand zu beenden. Er findet prominente Unterstützung.

Von Alexandre Froidevaux

Im vergangenen Herbst machten Asylsuchende zum wiederholten Male mit einem Hungerstreik am Brandenburger Tor auf ihre prekären Lebensverhältnisse in Deutschland aufmerksam. Die Aktivist_innen des Medibüros nahmen sich den Protest zum Anlass, die Tatsache zu skandalisieren, dass in der Bundesrepublik Flüchtlinge ohne Zugang zu ärztlichen Leistungen leben.

Im November 2013 richteten sie sich mit einem Aufruf an Funktionsträger im Gesundheitswesen, in dem es heißt: „Aus ethischer […] Sicht müssen alle PatientInnen die notwendige medizinische Versorgung bekommen – was ist aber, wenn die Rechnung nicht bezahlt werden kann?“ Dies betrifft in den letzten Jahren zunehmend osteuropäische EU-Bürger_innen, die sich in der Bundesrepublik legal aufhalten. Unter ihnen befinden sich viele Roma, die aufgrund massiver sozialer Benachteiligung und Diskriminierung in ihren Herkunftsländern über keinerlei Krankenversicherung verfügen.

„Da klafft eine deutliche Lücke zwischen der Personenfreizügigkeit in der EU und der Gewährleistung grundlegender sozialer Rechte wie dem auf Gesundheitsversorgung“, kritisiert Elène Misbach vom Medibüro. Sie erzählt, dass ihre Organisation das Problem schon vor drei, vier Jahren thematisiert habe – damals noch mit wenig Resonanz. Inzwischen seien auch Wohlfahrtsverbände wie die Diakonie und das Rote Kreuz darauf aufmerksam geworden und leisteten wichtige Aufklärungsarbeit.

Auch die so genannten Lampedusa-Flüchtlinge, die bei den Flüchtlingsprotesten eine wichtige Rolle spielen, leben in Deutschland ohne Krankenversicherungsschutz. Diese Menschen sind über das Mittelmeer nach Europa gekommen und haben in Italien oder Spanien einen Aufenthaltstitel erhalten. Doch dort haben sie aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Lage wenig Aussicht auf einen Job, weswegen sie ihr Glück weiter im Norden suchen. Nach der EU-Drittstaatenregelung sind allein die Erstaufnahmeländer für soziale Leistungen zuständig, was diese jedoch nicht immer gewährleisten.

In das Medibüro im Kreuzberger Mehringhof kommen Patient_innen mit der kompletten Palette an gesundheitlichen Problemen, angefangen von Erkältungen über akute Zahnentzündungen bis hin zu HIV und Tumorerkrankungen. Unter den Hilfesuchenden befinden sich auch Asylbewerber_innen. Das Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG) garantiert nur eine reduzierte medizinische Versorgung bei Schmerzen und akut behandlungsbedürftigen Erkrankungen. Andere medizinische Leistungen müssen nur gewährt werden, wenn es zur Sicherung der Gesundheit unerlässlich ist. Was genau darunter fällt, ist immer wieder Gegenstand von Auseinandersetzungen. Dabei entscheiden Sachbearbeiter_innen ohne medizinische Ausbildung über die Notwendigkeit einer Behandlung – und verweigern diese nicht selten.

Eigentlich haben sich medizinische Flüchtlingshilfen einmal gegründet, um sans papiers bei gesundheitlichen Problemen nicht alleine zu lassen. Auch Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus haben laut AsylbLG einen Rechtsanspruch auf medizinische Versorgung. Nach § 87 des Aufenthaltsgesetzes ist das Sozialamt allerdings verpflichtet, Personen ohne gültigen Papiere bei der Ausländerbehörde zu melden, wenn sie einen Krankenschein beantragen. Damit droht die Abschiebung, weswegen Illegalisierte diesen Weg meiden.

Das Medibüro fordert daher die Abschaffung des Paragraphen. „Es kann nicht sein“, meint Elène Misbach, „dass diese Menschen auf Projekte wie das unsrige angewiesen sind. Der Staat kommt seiner menschenrechtlichen Verant­wortung nicht nach und setzt darauf, dass Parallelstrukturen die schlimmsten sozialen Verwerfungen kompensieren. Unbezahlt und auf Spendenbasis ist eine vernünftige medizinische Versorgung je­doch nicht zu gewährleisten.“

Staat kommt seiner menschenrechtlichen Verantwortung nicht nach

Der Aufruf des Medibüros, in dem auch die Abschaffung aller Sondergesetze für Flüchtlinge gefordert wird, hat bundesweit ein großes Echo gefunden. „Auch viele Personen aus dem Gesundheitsbereich, der Politik und den kritischen Wissenschaften halten es für einen einen politischen Skandal, dass nicht alle Geflüchteten in Deutschland eine reguläre medizinische Versorgung genießen“, be­merkt Misbach. Dem Aufruf haben sich neben zahlreichen antirassistischen Initiativen namhafte Or­ganisation wie medico international, Ärzte der Welt oder die Deutsche Aidshilfe ebenso angeschlos­sen wie viele Einzelpersonen, darunter Frank Ulrich Montgomery, der Präsident der Bunde­särztekammer.

Der Aufruf kann weiterhin unterzeichnet werden. Er soll am Weltgesundheitstag (7. April) dem Gesundheitsministerium überreicht werden.

2 Kommentare

  1. Habnix says:

    Der Staat sind wir alle.Die Verursacher der Flüchtlings Probleme sind meisten Willfährige Politiker im Auftrag der Konzerne.Der Verursacher sollte die Rechnung bezahlen.

  2. Karsten Rydzy says:

    Korrekte fachärztliche und vor allem auch psychiatrisch-psychotherapeutische Diagnostik und Behandlung von Asylanten würde vielen Folteropfern „gerichtsfeste“Dokumentationen ihres Schicksals verschaffen-also vom Staat unerwünschte Abschiebehindernisse schaffen.
    Abschreckung durch Mangelversorgung ist und bleibt hier also ein regierungspolitisches Ziel.
    Eine wirksame kleine Gegenwehr kann es auch nur sein,wenn viele Ärzte regelmäßig Gratissprechstunden für Asylanten und Unversicherte anbieten.
    Großkapital wird niemals für Folgen seiner Ausbeuterei und Unterdrückung einstehen.
    Unter den ärztlichen“ Kleinunternehmerseelen“ können sich nur wenige Aktivisten in Berlin u.a.Großstädten dazu entschließen-meist vom VdÄÄ.
    Deshalb bitte wenigstens viele neue Unterschriften bis zum Weltgesundheitstag!

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