Der Weg in den Autoritarismus beginnt nicht mit Krawallen

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Den vielleicht klügsten und wichtigsten Text zum politischen Umgang mit den Krawallen beim G20 hat Danijel Majic in einem Tweetstorm veröffentlicht. Und damit der Text nicht bei Twitter irgendwann verschwindet, haben wir ihn einfach mal hier ungefragt veröffentlicht. Majic ist Autor bei der Online-Ausgabe der Frankfurter Rundschau und hat den Tweets einen Disclaimer vorangestellt.

Der Weg in den Autoritarismus beginnt nicht – wie ich heute schon lesen durfte – mit Krawallen. Er beginnt mit Aufrufen an Bürger, sich vorbehaltlos mit der Staatsmacht insbesondere den Sicherheitsbehörden zu identifizieren. Er beginnt damit, dass nicht mehr von „der“, sondern von „unserer“ Polizei die Rede ist. Er beginnt damit, dass Journalisten andere Journalisten dafür kritisieren, wenn Sie der Staatsmachts insbesondere den Sicherheitsbehörden nicht 100-prozentig Vertrauen und es wagen, kritische Nachfragen zu stellen oder gar offene Kritik zu üben.

Er beginnt da, wo der Begriff des Terrorismus instrumentalisiert und gedankenlos erweitert wird. Er beginnt da, wo Politiker und Publizisten den Faschismusbegriff so einsetzen, wie es ihnen gerade ins Kalkül passt. Er beginnt da, wo Zentren subkulturellen Widerstands geschlossen werden sollen. Er beginnt da, wo der Öffentlichkeit es nicht mehr auffällt, dass Politiker in einem Satz von Rechtsstaat reden und im darauffolgenden die Aufhebung grundlegendster Prinzipien eben dieses Rechtsstaats fordern. Kurz: Er beginnt nicht randalierenden Autonomen im Schanzenviertel.

Er beginnt mit denen, die das Lippenbekenntnis zum Rechtsstaat über seine Prinzipien setzen. Die oft genug nur deshalb von „Rechtsstaat“ sprechen, weil Vaterland historisch ein klein wenig vorbelastet ist. Bei denen, die auf Pathos setzen statt auf Logos. Bei denen, die in Krawallen von Linken in Deutschland den Faschismus wittern, bei Krawallen unter Beteiligung von Faschisten in anderen Ecken Europas, aber deren Anwesenheit für nicht weiter erwähnenswert halten. Die in jedem anderen Land die staatlichen Behörden kritisch beäugen und ihnen misstrauen, aber hier in Deutschland sich nicht vorstellen können, dass Institutionen wie die Polizei politische Akteure mit eigenen Interessen sind. Und nicht nur das: Die jeden, der die anders sieht, für „realitätsfremd“ erklären.

Auf gut Deutsch: Die Krawalle gestern gefährden den Rechtsstaat in Deutschland nicht. Aber was in ihrer Folge von einigen Kollegen und Politikern so abgesondert wurde, das lässt es mir kalt den Rücken runter laufen. Hoffen wir, dass wenn sich die Wut gelegt hat, ein paar von von ihnen wieder zur Besinnung kommen. Gute Nacht!

2 Kommentare

  1. Niklas van Thorn says:

    Sehr gut – aber um dies zu verstehen, mangelt es den meisten Politikern offenbar an Sensibilität und Fingerspitzengefühl – oder der Wille zum Taktieren und zum Kalkül aus reinen Machterhaltungs-Interessen ist stärker als die politische Vernunft. Wir brauchen Politiker, die durch Wort und Tat den demokratischen Rechtsstaat sichern – und nicht die Macht um jeden Preis.

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