Umgang mit der AfD: Ein Land hat das Stockholm-Syndrom

Foto: CC-BY-SA 2.0 vollformat.berlin (Flickr)

Nach der erfolgreichen und hoffnungsvollen Demonstration von zehntausenden Menschen gegen die rechtsradikale AfD in Berlin, ist die Konsequenz nicht, dass sich die demokratischen Kräfte auf die Schulter klopfen. Sie könnten das tun, weil sie endlich und für alle sichtbar gemacht haben, dass die Rassistenpartei auf der Straße nicht dominieren kann. Sie könnten das tun, weil sie die größte antifaschistische Demo seit Jahren gemacht haben. Sie könnten es tun, weil das Bündnis sehr breit war. Sie könnten es tun, weil die Selbstvergewisserung der Demokraten ein wichtiger Baustein in der Bekämpfung der Autoritären ist. Es gibt zahlreiche Gründe, den vergangenen Sonntag als Erfolg zu sehen.

Doch stattdessen tobt nun ein Streit, wie Demokraten in der politischen Auseinandersetzung mit der rechtsradikalen Partei umgehen sollen. Das Tragische ist: Die ganze Debatte hilft erstens der AfD, weil sich viele nun deren Darstellung des Demo-Sonntages aufzwingen lassen. Und zweitens zeigt sie wie eng die Spielräume durch den Rechtsruck geworden sind und wie dominant die AfD in Medien hineinwirkt.

Die Spielräume werden enger

Nun hat die Großdemonstration der AfD-Gegner nicht mit Blockaden verhindern können, dass die rechtsradikale Partei marschieren kann. Angesichts der zahlenmäßigen Übermacht ist das schon erstaunlich. Und vielleicht war es auch ein strategischer Fehler: Denn immer da, wo Nazis erfolgreich blockiert wurden, schwand deren Mobilisierungskraft bei Folgeaufmärschen spürbar. Immer da, wo es für Nazis wirklich ungemütlich wurde, zogen sie den Kürzeren.

Vielerorts argumentierten Gegner der Rassistenpartei, dass man mit dem Verzicht massenhafter Blockaden, verhindert hätte, dass die AfD sich als Opfer darstellen könne. Doch das ist Quatsch: Denn schon im Vorfeld bereitete das AfD- Umfeld Opfergeschichten vor, welche die eher maue Mobilisierungskraft als böse Blutgrätsche der Demokraten aussehen lassen sollte. Und wenn es dann später tatsächlich keine Blockaden gibt, welche die Partei als undemokratisch darstellen kann, dann wird eben das Bekippen von einer Handvoll AfD-Demoteilnehmern mit einer schwarzen Flüssigkeit als dramatischer Angriff der zehntausenden Demonstranten hochgejazzt. Oder das Skandieren des Spruches „Ganz Berlin hasst die AfD“.

Die Lehre daraus kann nur sein: Die AfD wird sogar eine Opfer-Geschichte daraus stricken, wenn ihr Demokraten treudoof mit Deutschlandfähnchen vom Straßenrand aus zujubeln.

Die Opferrolle als Strategie erkennen

Demokraten wollen nicht, dass der politische Gegner zum Opfer wird. Das ist richtig und wichtig. Unter Demokraten. Aber das Konzept greift eben nicht bei einem rechtsradikalen Gegner, der neben Angst, völkischem Nationalismus, Pseudo-Elitenbashing, Lügen und rassistischer Hetze eben genau diese Opferrolle als eine der konstituierenden Säulen seiner Existenz hat – und sie geschickt nach innen und außen einzusetzen weiß.

Die AfD ist mit diesem Konzept in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Manche Journalisten und Politiker fordern im Gleichklang mit der Partei ein, dass man die AfD quasi mit Samthandschuhen anfassen und gleichberechtigt behandeln solle. Nur so könne man die Anhänger der Partei noch erreichen. Sie fordern nicht weniger als Toleranz für diejenigen, welche die Demokratie abschaffen wollen. Sie spielen damit das Spiel der AfD.

Fast niemand hätte sich am Sonntag beschwert, wenn Menschen „Ganz Berlin hasst den Rassismus“, „Ganz Berlin hasst das 3. Reich“ oder „Ganz Berlin hasst die NPD“ gerufen hätten. Aber für ausgerechnet die Partei, die mittlerweile programmatisch genauso weit rechts steht wie die NPD, soll es nicht gelten, wie der ZDF-Journalist Daniel Bröckerhoff in seinem persönlichen Blog schrieb. Warum? Weil die AfD strategisch klug den positiven Bezug auf den Nationalsozialismus vorrübergehend noch in der Schublade versteckt? Weil sie ja nur „schleichend“ in fünf Jahren von rechts nach extrem Rechts gerutscht ist? Weil wir verpasst haben, sie wie die NPD von Anfang an als politischen Paria auszuschließen und sie jetzt eben ganz normal ist?

Jeder Schritt auf diese Partei zu, ist ein Rückschritt für die Demokratie. Natürlich darf ich gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit hassen oder einen Rechtsruck, der persönliche Freiheiten und gesellschaftliche Errungenschaften zurückdrehen sowie die liberale Demokratie abschaffen will. Ich darf auch Parteien hassen, von denen genau diese Impulse ausgehen. Verachtung, Wut und Hass sind keine schönen Gefühle, aber sie zeigen laut und deutlich die Abwehrkräfte der demokratischen Mehrheitsgesellschaft. Das ist viel Wert, wenn die Demokratie als ganzes in Deutschland und in ganz Europa von Rechtspopulisten und Autoritären unter Beschuss steht. Wer Faschisten hasst, umarmt sie wenigstens nicht.

Der „neutrale“ Journalist als Helfer der AfD

Redakteure der Zeit mokieren sich unterdessen darüber, dass Journalisten an den Gegenprotesten teilgenommen hätten. Zwischen den Zeilen schimmert dann aber durch, dass es gar nicht so sehr um vermeintliche Neutralität geht, sondern darum, dass man den journalistischen Zugang zu den Populisten verlieren würde.

Wieviel Selbstachtung als Journalist muss ich eigentlich verloren haben, wenn ich zusehe, wie Kollegen auf AfD-nahen Demos verprügelt werden, wenn ich mich ständig als „Lügenpresse“ beschimpfen lasse, während die Partei bei Parteitagen sorgfältig kritische Journalisten ausschließt. Die gleichen Verächter der Pressefreiheit aus dem Parteiumfeld rufen dann laut „Neutralität“ und fordern – mit gezogenem Knüppel hinterm Rücken, mit Fakenews bewaffnet und der Troll-Armee im Anschlag – eine wohlwollende Berichterstattung ein. Wer sich als Journalist auf sowas einlässt, leidet entweder unter dem Stockholm-Syndrom oder ist selbst schon soweit nach rechts gerückt, dass er nicht mehr merkt, welche Gefahr da eigentlich droht.

Überhaupt ist die Annahme falsch, dass jemand nicht faktentreu, quellengenau und nach allen Regeln der journalistischen Sorgfaltspflicht arbeiten könne, wenn er in erbitterter Gegnerschaft zum Gegenstand seiner Berichterstattung steht. Oder wenn er auf Demos geht. Es ist sicherlich eine weitere Herausforderung des Berufes, aber zahlreiche Journalisten und Historiker haben gezeigt, dass es ohne weiteres möglich ist. Sie haben gerade durch die emotionale Verbundenheit mit dem Thema tiefer, länger und kritischer recherchiert. Um es mit Hanning Voigts zu sagen:

Journalist_innen können nicht neutral, objektiv und unpolitisch sein. Aber sie können gut recherchieren, ihre Quellen schützen, viele Standpunkte berücksichtigen, Gewohntes hinterfragen, Involviertheit offenlegen, Meinung und Bericht trennen, kurz: professionell arbeiten.

3 Kommentare

  1. 1horn says:

    Danke. Ihr sprecht mir aus der Seele. Dieses Mimimi wie soll ich neutral über Rassisten schreiben, geht mir so aufs Horn – ja vielleicht gar nicht?!

  2. Che Guarana says:

    Gegen rechts muss immer gelten! Genau jetzt muss Widerstand zur Pflicht werden!

    Nazis im Parlament? So weit ist es schon gekommen!

  3. Alex says:

    Fazit ist perfekt!!

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